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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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ertragen hätte als sie. Es sei nicht daher gekommen, daß er mehr gelernt habe,
sondern weil er ein innerlich gebildeter Mensch gewesen sei, der sich in der
Gewalt gehabt habe.

Diese Art Bildung ist es, die für den Offizier erstrebt werden muß, ob
sie sich der Einzelne nun mit oder ohne Abiturientenexamen aneignet. Die
einseitige Förderung rein verstandesmäßiger Ausbildung ist jedenfalls der Ent¬
wicklung kraftvoller Persönlichkeiten, wie es Männer der Tat sein müssen, und
wie ihrer Blücher einer war, unbedingt schädlich. Darum ist die Forderung
des Abiturientenexamens als Bedingung für jeden, der die Offizierslaufbahn
ergreifen will, jedenfalls zu verwerfen. Wir klagen mit Recht über die Früh¬
reife der heutigen Jugend, bedenken aber nicht, daß sie mit eine Folge davon
ist, daß bereits zwei vorhergehende Generationen eine übertriebne und einseitige
Belastung des Gehirns in ihrer Jugendzeit erfahren haben. Statt in unsrer
Examenswut, die kein geringrer als Bismarck schon verspottet hat, noch weiter
fortzuschreiten und die Jugend über Gebühr lange an die Schulbank zu fesseln,
sollten wir vielmehr danach trachten, sie früh fertig zu machen, wie es die
Jünglinge zu Blüchers Zeit waren, damit würde einer ungesunden Frühreife am
wirksamsten vorgebeugt. Eine Masse von Kenntnissen allein gibt jedenfalls nicht
die geeignete Grundlage, auf der jener "harmonische Verein von Kräften" gedeiht,
der nach Clausewitz das Kennzeichen einer edeln Soldatennatur ist.

Die Sorge Friedrichs des Großen galt nach dem Hubertusburger Frieden
vor allem der Wiederherstellung der Disziplin in der Armee. Ihr zuliebe
hat der alternde König über mancherlei Auswüchse, die sich dabei einschlichen,
hinweggesehen, und auch sonst läßt sich sagen, daß die vielen Schäden, die sich
1806 so übel bemerkbar machten, doch zum großen Teil schon zu Lebzeiten
Friedrichs des Großen vorhanden waren. Der Wechsel zwischen der von ihm
geübten schonungsloser Härte, die auch Blücher zu fühlen hatte, da seine
mehrfachen Gesuche um Wiederanstellung in der Armee immer unberücksichtigt
blieben, und der Milde Friedrich Wilhelms des Zweiten konnte allerdings nicht
günstig wirken. Für das Vaterland aber war es ein Glück, daß der neue Herr
auch Blücher seine Gnade zuwandte. Das Jahr 1787 brachte ihm die Wieder-
einreihung in sein altes Regiment vor einem Offizier, der ihm einst vorgezogen
worden war, unter Beförderung zum Major und Nichtanrechnung der vierzehn
Jahre, die er außer Dienst gewesen war!

Das Urteil der Nachwelt über einen Zeitabschnitt der Geschichte wird
vielfach anders lauten als das der Zeitgenossen. So gewinnt man aus dem
Buche des Generals von Unger nicht den Eindruck, daß man in der preußischen
Armee nach dem Tode Friedrichs des Großen das Bewußtsein hatte, in einer
Zeit des Niederganges zu leben, und das um so weniger, als die Taten der
preußischen Truppen im Revolutionskrige wohl darüber hinwegtäuschen und
den Glauben erwecken konnten, daß die Armee noch auf ihrer alten Höhe stehe.
Dieser Krieg war zwar nicht dazu angetan, die moralische Kraft des Heeres zu


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ertragen hätte als sie. Es sei nicht daher gekommen, daß er mehr gelernt habe,
sondern weil er ein innerlich gebildeter Mensch gewesen sei, der sich in der
Gewalt gehabt habe.

Diese Art Bildung ist es, die für den Offizier erstrebt werden muß, ob
sie sich der Einzelne nun mit oder ohne Abiturientenexamen aneignet. Die
einseitige Förderung rein verstandesmäßiger Ausbildung ist jedenfalls der Ent¬
wicklung kraftvoller Persönlichkeiten, wie es Männer der Tat sein müssen, und
wie ihrer Blücher einer war, unbedingt schädlich. Darum ist die Forderung
des Abiturientenexamens als Bedingung für jeden, der die Offizierslaufbahn
ergreifen will, jedenfalls zu verwerfen. Wir klagen mit Recht über die Früh¬
reife der heutigen Jugend, bedenken aber nicht, daß sie mit eine Folge davon
ist, daß bereits zwei vorhergehende Generationen eine übertriebne und einseitige
Belastung des Gehirns in ihrer Jugendzeit erfahren haben. Statt in unsrer
Examenswut, die kein geringrer als Bismarck schon verspottet hat, noch weiter
fortzuschreiten und die Jugend über Gebühr lange an die Schulbank zu fesseln,
sollten wir vielmehr danach trachten, sie früh fertig zu machen, wie es die
Jünglinge zu Blüchers Zeit waren, damit würde einer ungesunden Frühreife am
wirksamsten vorgebeugt. Eine Masse von Kenntnissen allein gibt jedenfalls nicht
die geeignete Grundlage, auf der jener „harmonische Verein von Kräften" gedeiht,
der nach Clausewitz das Kennzeichen einer edeln Soldatennatur ist.

Die Sorge Friedrichs des Großen galt nach dem Hubertusburger Frieden
vor allem der Wiederherstellung der Disziplin in der Armee. Ihr zuliebe
hat der alternde König über mancherlei Auswüchse, die sich dabei einschlichen,
hinweggesehen, und auch sonst läßt sich sagen, daß die vielen Schäden, die sich
1806 so übel bemerkbar machten, doch zum großen Teil schon zu Lebzeiten
Friedrichs des Großen vorhanden waren. Der Wechsel zwischen der von ihm
geübten schonungsloser Härte, die auch Blücher zu fühlen hatte, da seine
mehrfachen Gesuche um Wiederanstellung in der Armee immer unberücksichtigt
blieben, und der Milde Friedrich Wilhelms des Zweiten konnte allerdings nicht
günstig wirken. Für das Vaterland aber war es ein Glück, daß der neue Herr
auch Blücher seine Gnade zuwandte. Das Jahr 1787 brachte ihm die Wieder-
einreihung in sein altes Regiment vor einem Offizier, der ihm einst vorgezogen
worden war, unter Beförderung zum Major und Nichtanrechnung der vierzehn
Jahre, die er außer Dienst gewesen war!

Das Urteil der Nachwelt über einen Zeitabschnitt der Geschichte wird
vielfach anders lauten als das der Zeitgenossen. So gewinnt man aus dem
Buche des Generals von Unger nicht den Eindruck, daß man in der preußischen
Armee nach dem Tode Friedrichs des Großen das Bewußtsein hatte, in einer
Zeit des Niederganges zu leben, und das um so weniger, als die Taten der
preußischen Truppen im Revolutionskrige wohl darüber hinwegtäuschen und
den Glauben erwecken konnten, daß die Armee noch auf ihrer alten Höhe stehe.
Dieser Krieg war zwar nicht dazu angetan, die moralische Kraft des Heeres zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/352>, abgerufen am 01.09.2024.