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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Naturwissenschaft und Theismus

drittens: daß dieses Neue und Bessere nicht nur das Recht sondern auch
die Pflicht hat, sich im organisierten Kampfe gegenüber dem organisierten Alten
diejenige Stellung im Geistesleben der Menschheit zu erringen, die seiner kulturellen
Bedeutung entspricht."

Weiterhin wird bemerkt, das Vorhandensein dieser Weltanschauung auch
noch in unsrer Zeit könne man nur noch nach Analogie mit rudimentären
Organen in einem Organismus beurteilen. "Wie diese, z. B. der Blinddarm,
dem Organismus in seiner Gesamtheit gefährlich, lebenhemmend, lebenvernichtend
werden können, so jene Weltanschauung für die Kultur eines Volksganzen.
LxeniM äovsnt: Italien, Spanien. Mogegen zu beachten ist, daß Italien
einen viel größern Prozentsatz von Atheisten hat als die Staaten der größten¬
teils bigott gläubigen Angelsachsen: England und die Vereinigten Staaten.)
Und wenn wir dies erkannt haben, wenn wir die christliche Weltanschauung als
für die Gegenwart irrig und kulturhemmcnd erkannt haben, so ist es unsre ver¬
dammte Pflicht und Schuldigkeit, diese Weltanschauung zu bekämpfen, wo sie
sich breit macht." Nach weitern Anführungen aus dieser Flugschrift fährt
Reinke fort: "Wenn ein Philosoph in seiner Studierstube ein noch so religions¬
feindliches System ausheckt und dies literarisch bekannt macht, so wird das für
die Organe des Staates, insbesondre für die parlamentarischen Körperschaften
höchstens ein indirektes Interesse haben. Wenn aber derartige grundstürzende
Gedanken von einer Schar von Fanatikern aufgegriffen werden, die unter ein¬
heitlicher Leitung in festgefügter Organisation damit zur Propaganda der Tat
schreiten, so stehn wir vor dem Versuch, den Monismus durch die Gewalt, die
jeder festverbundnen und zielbewußt geführten Masse von Menschen innewohnt,
in unserm Staate und in unsrer Gesellschaft gewissermaßen zwangsweise zum
Siege zu verhelfen. Meine Herren, ich glaube, daß hier der Punkt ist, wo
auch unser Staat auf der Hut zu sein hat, und wo wir als parlamentarische
Körperschaft zu mahnen haben: xrineixiis odsw! Meine Herren, es könnte
mir hier von weniger gut unterrichteter Seite der Artikel 20 der Verfassung
entgegengehalten werden, der lautet: Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.
Auch ich halte diesen Artikel für ein wertvolles Palladium unsrer Freiheit, zu
denken und zu forschen, die ich mir nun und nimmer verkümmern lassen werde;
aber, meine Herrn, dieser Artikel trifft hier nicht zu. Im Gegenteil, der Monis¬
mus Haeckelscher Observanz sucht die wahre Wissenschaft unter das kaudinische
Joch der Unwissenschaftlichkeit zu beugen." Reinke erinnert daran, wie die
einzelnen Teile der "Welträtsel", dieses Korans des Haeckelschen Monismus,
von Fachmännern beurteilt worden sind. Professor Loofs hat die Unwissen¬
schaftlichkeit der theologischen Abschnitte, Paulsen die der philosophischen, Chwolson
(siehe das achte diesjährige Heft der Grenzboten) die der physikalischen nach¬
gewiesen. Der biologische Inhalt der Welträtsel könne aber kaum wissenschaft¬
licher genannt werden, als der physikalische, der theologische und der philo¬
sophische (obwohl Haeckel Professor der Zoologie an einer deutschen Uni¬
versität ist), "weil Haeckel auf biologischen Gebiet fortwährend Bewiesnes und


Naturwissenschaft und Theismus

drittens: daß dieses Neue und Bessere nicht nur das Recht sondern auch
die Pflicht hat, sich im organisierten Kampfe gegenüber dem organisierten Alten
diejenige Stellung im Geistesleben der Menschheit zu erringen, die seiner kulturellen
Bedeutung entspricht."

Weiterhin wird bemerkt, das Vorhandensein dieser Weltanschauung auch
noch in unsrer Zeit könne man nur noch nach Analogie mit rudimentären
Organen in einem Organismus beurteilen. „Wie diese, z. B. der Blinddarm,
dem Organismus in seiner Gesamtheit gefährlich, lebenhemmend, lebenvernichtend
werden können, so jene Weltanschauung für die Kultur eines Volksganzen.
LxeniM äovsnt: Italien, Spanien. Mogegen zu beachten ist, daß Italien
einen viel größern Prozentsatz von Atheisten hat als die Staaten der größten¬
teils bigott gläubigen Angelsachsen: England und die Vereinigten Staaten.)
Und wenn wir dies erkannt haben, wenn wir die christliche Weltanschauung als
für die Gegenwart irrig und kulturhemmcnd erkannt haben, so ist es unsre ver¬
dammte Pflicht und Schuldigkeit, diese Weltanschauung zu bekämpfen, wo sie
sich breit macht." Nach weitern Anführungen aus dieser Flugschrift fährt
Reinke fort: „Wenn ein Philosoph in seiner Studierstube ein noch so religions¬
feindliches System ausheckt und dies literarisch bekannt macht, so wird das für
die Organe des Staates, insbesondre für die parlamentarischen Körperschaften
höchstens ein indirektes Interesse haben. Wenn aber derartige grundstürzende
Gedanken von einer Schar von Fanatikern aufgegriffen werden, die unter ein¬
heitlicher Leitung in festgefügter Organisation damit zur Propaganda der Tat
schreiten, so stehn wir vor dem Versuch, den Monismus durch die Gewalt, die
jeder festverbundnen und zielbewußt geführten Masse von Menschen innewohnt,
in unserm Staate und in unsrer Gesellschaft gewissermaßen zwangsweise zum
Siege zu verhelfen. Meine Herren, ich glaube, daß hier der Punkt ist, wo
auch unser Staat auf der Hut zu sein hat, und wo wir als parlamentarische
Körperschaft zu mahnen haben: xrineixiis odsw! Meine Herren, es könnte
mir hier von weniger gut unterrichteter Seite der Artikel 20 der Verfassung
entgegengehalten werden, der lautet: Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei.
Auch ich halte diesen Artikel für ein wertvolles Palladium unsrer Freiheit, zu
denken und zu forschen, die ich mir nun und nimmer verkümmern lassen werde;
aber, meine Herrn, dieser Artikel trifft hier nicht zu. Im Gegenteil, der Monis¬
mus Haeckelscher Observanz sucht die wahre Wissenschaft unter das kaudinische
Joch der Unwissenschaftlichkeit zu beugen." Reinke erinnert daran, wie die
einzelnen Teile der „Welträtsel", dieses Korans des Haeckelschen Monismus,
von Fachmännern beurteilt worden sind. Professor Loofs hat die Unwissen¬
schaftlichkeit der theologischen Abschnitte, Paulsen die der philosophischen, Chwolson
(siehe das achte diesjährige Heft der Grenzboten) die der physikalischen nach¬
gewiesen. Der biologische Inhalt der Welträtsel könne aber kaum wissenschaft¬
licher genannt werden, als der physikalische, der theologische und der philo¬
sophische (obwohl Haeckel Professor der Zoologie an einer deutschen Uni¬
versität ist), „weil Haeckel auf biologischen Gebiet fortwährend Bewiesnes und


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[0195] Naturwissenschaft und Theismus drittens: daß dieses Neue und Bessere nicht nur das Recht sondern auch die Pflicht hat, sich im organisierten Kampfe gegenüber dem organisierten Alten diejenige Stellung im Geistesleben der Menschheit zu erringen, die seiner kulturellen Bedeutung entspricht." Weiterhin wird bemerkt, das Vorhandensein dieser Weltanschauung auch noch in unsrer Zeit könne man nur noch nach Analogie mit rudimentären Organen in einem Organismus beurteilen. „Wie diese, z. B. der Blinddarm, dem Organismus in seiner Gesamtheit gefährlich, lebenhemmend, lebenvernichtend werden können, so jene Weltanschauung für die Kultur eines Volksganzen. LxeniM äovsnt: Italien, Spanien. Mogegen zu beachten ist, daß Italien einen viel größern Prozentsatz von Atheisten hat als die Staaten der größten¬ teils bigott gläubigen Angelsachsen: England und die Vereinigten Staaten.) Und wenn wir dies erkannt haben, wenn wir die christliche Weltanschauung als für die Gegenwart irrig und kulturhemmcnd erkannt haben, so ist es unsre ver¬ dammte Pflicht und Schuldigkeit, diese Weltanschauung zu bekämpfen, wo sie sich breit macht." Nach weitern Anführungen aus dieser Flugschrift fährt Reinke fort: „Wenn ein Philosoph in seiner Studierstube ein noch so religions¬ feindliches System ausheckt und dies literarisch bekannt macht, so wird das für die Organe des Staates, insbesondre für die parlamentarischen Körperschaften höchstens ein indirektes Interesse haben. Wenn aber derartige grundstürzende Gedanken von einer Schar von Fanatikern aufgegriffen werden, die unter ein¬ heitlicher Leitung in festgefügter Organisation damit zur Propaganda der Tat schreiten, so stehn wir vor dem Versuch, den Monismus durch die Gewalt, die jeder festverbundnen und zielbewußt geführten Masse von Menschen innewohnt, in unserm Staate und in unsrer Gesellschaft gewissermaßen zwangsweise zum Siege zu verhelfen. Meine Herren, ich glaube, daß hier der Punkt ist, wo auch unser Staat auf der Hut zu sein hat, und wo wir als parlamentarische Körperschaft zu mahnen haben: xrineixiis odsw! Meine Herren, es könnte mir hier von weniger gut unterrichteter Seite der Artikel 20 der Verfassung entgegengehalten werden, der lautet: Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Auch ich halte diesen Artikel für ein wertvolles Palladium unsrer Freiheit, zu denken und zu forschen, die ich mir nun und nimmer verkümmern lassen werde; aber, meine Herrn, dieser Artikel trifft hier nicht zu. Im Gegenteil, der Monis¬ mus Haeckelscher Observanz sucht die wahre Wissenschaft unter das kaudinische Joch der Unwissenschaftlichkeit zu beugen." Reinke erinnert daran, wie die einzelnen Teile der „Welträtsel", dieses Korans des Haeckelschen Monismus, von Fachmännern beurteilt worden sind. Professor Loofs hat die Unwissen¬ schaftlichkeit der theologischen Abschnitte, Paulsen die der philosophischen, Chwolson (siehe das achte diesjährige Heft der Grenzboten) die der physikalischen nach¬ gewiesen. Der biologische Inhalt der Welträtsel könne aber kaum wissenschaft¬ licher genannt werden, als der physikalische, der theologische und der philo¬ sophische (obwohl Haeckel Professor der Zoologie an einer deutschen Uni¬ versität ist), „weil Haeckel auf biologischen Gebiet fortwährend Bewiesnes und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/195>, abgerufen am 01.09.2024.