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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Naturwissenschaft und Theismus

nicht wissen, und was wir nicht wissen können, die zwischen Tatsachen und
Hypothesen unterscheidet und diese ehrlich als das bezeichnet, was sie sind.
Dieser echten Wissenschaft stehe eine Afterwissenschaft entgegen, "die Tatsachen
und Hirngespinste durcheinander mengt und daraus Dogmen knetet, die als
unfehlbare Weisheit verkündet werden". Obgleich er von Vertretern dieser
Afterwissenschaft wiederholt in beschimpfender Weise angegriffen worden sei,
habe er doch Haeckels Namen nur dreimal in der Öffentlichkeit genannt, das
einemal ihm gegenüber an die UnHaltbarkeit des biogenetischen Grundgesetzes
erinnert, dann in einem Vortrage die Behauptung Haeckels, daß der Mensch
erwiesn ermaßen von einem Affen abstamme, als Flunkerei bezeichnet, und in
einem andern Vortrage einige Urteile Chcimberlains über Haeckel zusammen¬
gestellt (aus dessen Kantbuche. Ich habe im zweiten Bande des Jahrgangs 1906
der Grenzboten auf S. 413 die Seiten des Kantbuches angegeben, auf denen
der Leser Chamberlains Haeckelkritik findet). Sich ausdrücklich gegen Haeckel
zu wenden, habe ihn auch dessen neuestes Buch: "Lebenswunder" noch nicht
bestimmt, das in der Unwissenschaftlichkeit die "Welträtsel" womöglich noch
überbiete; erst der Umstand, daß sich unter Haeckels Ehrenvorsitze der Monisten¬
bund konstituiert habe, lasse es ihm als Pflicht erscheinen, aus seiner Reserve
hervorzutreten. Am 10. Mai des Jahres habe er die Aufmerksamkeit des Herren¬
hauses auf den Gegenstand gelenkt.

Der Wortlaut seiner Herrenhausrede ist in die Broschüre aufgenommen
worden. Es heißt darin: Der am 11. Januar 1906 zu Jena unter Haeckels
Vorsitz gegründete Monistenbund verfolge den ausgesprochnen Zweck, die christ¬
liche Weltanschauung umzustürzen, "die nach Z 14 der preußischen Verfassung
bei allen Einrichtungen des Staates, die mit der Religionsübung zusammen¬
hängen, zugrunde gelegt werden soll". Das Programm freilich sei diplomatisch
und vorsichtig gehalten; einer deutlichern Sprache befleißigten sich die Flug¬
schriften des Bundes. In der ersten werde behauptet: durch die Herrschaft der
Naturgesetze seien die drei großen Zentraldogmen, der persönliche Gott, der freie
Wille und die Unsterblichkeit der Seele ausgeschlossen. In der zweiten heiße
es in Beziehung auf das Christentum: "Diese geistige Armseligkeit und jene
bewußte oder unbewußte Heuchelei, sie eben begründen die Weltherrschaft der
Gedankenlosen, 16 est der frommen Schafe mit ihren Hirten an der Spitze;
sie eben halten das geistige, gesellschaftliche und staatliche Leben Europas in
einer Sklaverei, die beschämend, die empörend ist. Und diese offenbare Kalamität,
die kein ehrlicher Mensch mehr zu leugnen wagt, sie wird nicht eher weichen,
als bis die Gebildeten unsrer Nation klar und deutlich erkennen:

Erstens: daß das Christentum als Weltanschauung völlig zersetzt und auf¬
gelöst, als Ethik heute völlig ungenügend ist;

zweitens: daß wir imstande sind, an die Stelle des Alten, Veralteten' eine
neue und entwicklungsfähige Weltanschauung zu setzen, die ein Ergebnis natur¬
wissenschaftlich-philosophischen Denkens ist und in ihrer Anwendung auf das
Einzel- und Gesellschaftsleben die segensreichsten Wirkungen verspricht;


Naturwissenschaft und Theismus

nicht wissen, und was wir nicht wissen können, die zwischen Tatsachen und
Hypothesen unterscheidet und diese ehrlich als das bezeichnet, was sie sind.
Dieser echten Wissenschaft stehe eine Afterwissenschaft entgegen, „die Tatsachen
und Hirngespinste durcheinander mengt und daraus Dogmen knetet, die als
unfehlbare Weisheit verkündet werden". Obgleich er von Vertretern dieser
Afterwissenschaft wiederholt in beschimpfender Weise angegriffen worden sei,
habe er doch Haeckels Namen nur dreimal in der Öffentlichkeit genannt, das
einemal ihm gegenüber an die UnHaltbarkeit des biogenetischen Grundgesetzes
erinnert, dann in einem Vortrage die Behauptung Haeckels, daß der Mensch
erwiesn ermaßen von einem Affen abstamme, als Flunkerei bezeichnet, und in
einem andern Vortrage einige Urteile Chcimberlains über Haeckel zusammen¬
gestellt (aus dessen Kantbuche. Ich habe im zweiten Bande des Jahrgangs 1906
der Grenzboten auf S. 413 die Seiten des Kantbuches angegeben, auf denen
der Leser Chamberlains Haeckelkritik findet). Sich ausdrücklich gegen Haeckel
zu wenden, habe ihn auch dessen neuestes Buch: „Lebenswunder" noch nicht
bestimmt, das in der Unwissenschaftlichkeit die „Welträtsel" womöglich noch
überbiete; erst der Umstand, daß sich unter Haeckels Ehrenvorsitze der Monisten¬
bund konstituiert habe, lasse es ihm als Pflicht erscheinen, aus seiner Reserve
hervorzutreten. Am 10. Mai des Jahres habe er die Aufmerksamkeit des Herren¬
hauses auf den Gegenstand gelenkt.

Der Wortlaut seiner Herrenhausrede ist in die Broschüre aufgenommen
worden. Es heißt darin: Der am 11. Januar 1906 zu Jena unter Haeckels
Vorsitz gegründete Monistenbund verfolge den ausgesprochnen Zweck, die christ¬
liche Weltanschauung umzustürzen, „die nach Z 14 der preußischen Verfassung
bei allen Einrichtungen des Staates, die mit der Religionsübung zusammen¬
hängen, zugrunde gelegt werden soll". Das Programm freilich sei diplomatisch
und vorsichtig gehalten; einer deutlichern Sprache befleißigten sich die Flug¬
schriften des Bundes. In der ersten werde behauptet: durch die Herrschaft der
Naturgesetze seien die drei großen Zentraldogmen, der persönliche Gott, der freie
Wille und die Unsterblichkeit der Seele ausgeschlossen. In der zweiten heiße
es in Beziehung auf das Christentum: „Diese geistige Armseligkeit und jene
bewußte oder unbewußte Heuchelei, sie eben begründen die Weltherrschaft der
Gedankenlosen, 16 est der frommen Schafe mit ihren Hirten an der Spitze;
sie eben halten das geistige, gesellschaftliche und staatliche Leben Europas in
einer Sklaverei, die beschämend, die empörend ist. Und diese offenbare Kalamität,
die kein ehrlicher Mensch mehr zu leugnen wagt, sie wird nicht eher weichen,
als bis die Gebildeten unsrer Nation klar und deutlich erkennen:

Erstens: daß das Christentum als Weltanschauung völlig zersetzt und auf¬
gelöst, als Ethik heute völlig ungenügend ist;

zweitens: daß wir imstande sind, an die Stelle des Alten, Veralteten' eine
neue und entwicklungsfähige Weltanschauung zu setzen, die ein Ergebnis natur¬
wissenschaftlich-philosophischen Denkens ist und in ihrer Anwendung auf das
Einzel- und Gesellschaftsleben die segensreichsten Wirkungen verspricht;


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/194>, abgerufen am 01.09.2024.