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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversuche ^363 bis ^370

Bundesgenossen versprochen hatte. Im Aufmarsch der Armee ergaben sich un¬
erwartete Hemmnisse, mit dem raschen Vorstoß über den Oberrhein war es nichts,
und es war auch nichts mit der Neutralität der süddeutschen Staaten, denen
die fränkischen Heere die Befreiung vom Joch der Allianzverträge bringen
sollten. Graf Bray meldete nach Paris, die süddeutschen Staaten könnten nur
unter der Bedingung neutral bleiben, daß Frankreich und Preußen die Ver¬
pflichtung übernahmen, die Neutralität Süddeutschlands, einschließlich Badens,
zu achten. "Aber, schrieb der Herzog von Gramont am 19. Juli an Beust,
das hieße, uns die ganze Kriegführung unmöglich machen, und übrigens hat
Preußen, indem es Mainz und Rastatt besetzt hält, diese Klausel unmöglich
gemacht. Ich schließe daraus, daß die süddeutschen Höfe marschieren werden,
aber ohne Schwung und sozusagen an den Haaren herbeigezogen. ... In
Württemberg kann man von oben bis unten auf niemand zählen. Die wahren
Gesinnungen wird man erst nach einem Sieg erfahren. Und Sie kennen Varnbüler
hinlänglich, um zu wissen, welche plötzliche Zuneigung er für die Sieger em¬
pfindet. Diese Gesinnungen beunruhigen mich keineswegs. Ich habe diese
Situation vollkommen vorausgesehen, und eigentlich wäre die Neutralität der
süddeutschen Höfe ein beträchtliches Hindernis für uns vom strategischen Ge¬
sichtspunkt. Werfen Sie einen Blick auf die Karte und sagen Sie uns, wo
wir Preußen angreifen könnten, wenn wir Belgien, Luxemburg, Pfalz, Baden
und Württemberg respektieren sollen." Schon zwei Tage zuvor hatte Cazaux
aus Wien der Wahrheit gemäß telegraphiert: "Man kann die süddeutschen
Höfe nicht mehr zurückhalten. Das deutsche Nationalgefühl hat in einem
Tage alle Dämme durchbrochen. Die Freunde Frankreichs und Anhänger der
Neutralität sind jetzt in München und in Stuttgart zum Schweigen gebracht."

Gramont gab sich die Miene, als sei er darüber leicht getröstet. Aber
das Ausbleiben einer erfolgreichen Offensive, auf die man so bestimmt gehofft
hatte, war dem Fortgang der Allianzverhandlungen begreiflicherweise wenig
günstig. Zwar dem Zustandekommen des Zweibunds Österreich-Italien schien
nichts mehr im Wege zu stehen, nachdem sich Italien mit der Wiederherstellung
der Septemberkonvention begnügt hatte, und die Klausel von der Einmischung
des Wiener Kabinetts in die römische Frage fallen gelassen war. Ob aber
dieser vorläufige Zweibund, der nach einem weitern diplomatischen Stadium
möglicherweise von praktischen Folgen war, überhaupt noch einen großen Wert
hatte, mag schon damals den Unterhändlern zweifelhaft gewesen sein. Schon
sah alles in höchster Spannung den nächsten Kriegsereignissen entgegen. Jeden¬
falls tat Eile not. Den Vertrag vollends zum Abschluß zu bringen, über¬
nahmen Vitzthum und Vimercati, die beide am 29. Juli von Wien abreisten,
Vitzthum nach Florenz, Vimercati nach Paris, um die Zustimmung des Kaisers
Napoleon einzuholen. In Florenz wurde kein weiterer Anstand erhoben, und
am 1. August konnte Vitzthum nach Paris melden, König und Minister seien
günstig gestimmt, und die Sache werde ins reine kommen. Artikel 6 bestimmte,


Frankreichs Allianzversuche ^363 bis ^370

Bundesgenossen versprochen hatte. Im Aufmarsch der Armee ergaben sich un¬
erwartete Hemmnisse, mit dem raschen Vorstoß über den Oberrhein war es nichts,
und es war auch nichts mit der Neutralität der süddeutschen Staaten, denen
die fränkischen Heere die Befreiung vom Joch der Allianzverträge bringen
sollten. Graf Bray meldete nach Paris, die süddeutschen Staaten könnten nur
unter der Bedingung neutral bleiben, daß Frankreich und Preußen die Ver¬
pflichtung übernahmen, die Neutralität Süddeutschlands, einschließlich Badens,
zu achten. „Aber, schrieb der Herzog von Gramont am 19. Juli an Beust,
das hieße, uns die ganze Kriegführung unmöglich machen, und übrigens hat
Preußen, indem es Mainz und Rastatt besetzt hält, diese Klausel unmöglich
gemacht. Ich schließe daraus, daß die süddeutschen Höfe marschieren werden,
aber ohne Schwung und sozusagen an den Haaren herbeigezogen. ... In
Württemberg kann man von oben bis unten auf niemand zählen. Die wahren
Gesinnungen wird man erst nach einem Sieg erfahren. Und Sie kennen Varnbüler
hinlänglich, um zu wissen, welche plötzliche Zuneigung er für die Sieger em¬
pfindet. Diese Gesinnungen beunruhigen mich keineswegs. Ich habe diese
Situation vollkommen vorausgesehen, und eigentlich wäre die Neutralität der
süddeutschen Höfe ein beträchtliches Hindernis für uns vom strategischen Ge¬
sichtspunkt. Werfen Sie einen Blick auf die Karte und sagen Sie uns, wo
wir Preußen angreifen könnten, wenn wir Belgien, Luxemburg, Pfalz, Baden
und Württemberg respektieren sollen." Schon zwei Tage zuvor hatte Cazaux
aus Wien der Wahrheit gemäß telegraphiert: „Man kann die süddeutschen
Höfe nicht mehr zurückhalten. Das deutsche Nationalgefühl hat in einem
Tage alle Dämme durchbrochen. Die Freunde Frankreichs und Anhänger der
Neutralität sind jetzt in München und in Stuttgart zum Schweigen gebracht."

Gramont gab sich die Miene, als sei er darüber leicht getröstet. Aber
das Ausbleiben einer erfolgreichen Offensive, auf die man so bestimmt gehofft
hatte, war dem Fortgang der Allianzverhandlungen begreiflicherweise wenig
günstig. Zwar dem Zustandekommen des Zweibunds Österreich-Italien schien
nichts mehr im Wege zu stehen, nachdem sich Italien mit der Wiederherstellung
der Septemberkonvention begnügt hatte, und die Klausel von der Einmischung
des Wiener Kabinetts in die römische Frage fallen gelassen war. Ob aber
dieser vorläufige Zweibund, der nach einem weitern diplomatischen Stadium
möglicherweise von praktischen Folgen war, überhaupt noch einen großen Wert
hatte, mag schon damals den Unterhändlern zweifelhaft gewesen sein. Schon
sah alles in höchster Spannung den nächsten Kriegsereignissen entgegen. Jeden¬
falls tat Eile not. Den Vertrag vollends zum Abschluß zu bringen, über¬
nahmen Vitzthum und Vimercati, die beide am 29. Juli von Wien abreisten,
Vitzthum nach Florenz, Vimercati nach Paris, um die Zustimmung des Kaisers
Napoleon einzuholen. In Florenz wurde kein weiterer Anstand erhoben, und
am 1. August konnte Vitzthum nach Paris melden, König und Minister seien
günstig gestimmt, und die Sache werde ins reine kommen. Artikel 6 bestimmte,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/187>, abgerufen am 01.09.2024.