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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr.

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Frankreichs Allianzversuchc ^868 bis ^870

Glaubte man wirklich, daß sich der Kaiser Napoleon zu diesem Zugeständnis
in Sachen Roms verstehen werde? Selbst in diesem Augenblick wagte er es
nicht, die weltliche Papstmacht preiszugeben. Die Ehre, hieß es im französischen
Ministerrat vom 25. Juli, gebiete es, Rom nicht zu verlassen, außer gegen das
Versprechen Italiens, den Septembervertrag zu halten. Weisungen in diesem
Sinne waren noch an demselben Tage nach Wien und nach Florenz ergangen.
"Frankreich kann nicht seine Ehre am Rhein verteidigen und am Tiber auf¬
opfern. Wir haben dem Heiligen Stuhl bereits den Abmarsch unsrer Truppen
angekündigt. Er wird nicht stattfinden, wenn Italien uns nicht offiziell seine
Absicht erklärt, seinerseits die Septemberkonvention zu beobachten." Daß sich
Beust, der Protestant, in dieser Frage vorgedrängt und sich erboten hatte, dem
Kaiser Napoleon die Verantwortung für die Lösung des römischen Problems
abzunehmen, wurde vom Herzog von Gramont mit Ausdrücken des Wider¬
willens und der Entrüstung zurückgewiesen. Er sprach vom Verrat des öster¬
reichischen Kanzlers, und am 27. Juli telegraphierte er an den Fürsten Latour:
"Keinerlei Erwägung vermag uns vom Boden der Septemberkonvention abzu¬
drängen; lieber verzichten wir auf die Allianzen, die wir gesucht haben." An
demselben Tage telegraphierte Gramont nach Florenz: "Wenn man die Sep¬
temberkonvention aufrecht halten will, werden unsre Truppen am 5. August die
päpstlichen Staaten räumen. Im andern Fall warten wir ab, bis die italie¬
nische Regierung uns wissen läßt, wie sie sich entschließen wird." Und jetzt
gab die italienische Regierung nach. Sie ließ am 28. Juli durch den Gesandten
Nigra erklären, daß, wie Frankreich, so auch Italien zur Ausführung des Sep¬
tembervertrags und seiner Verpflichtungen zurückkehre.

Das war ein überraschender Schritt und schien dem Herzog von Gramont
ein großer Erfolg der französischen Politik zu sein. Es war nicht die einzige
Täuschung, der er in diesen Tagen verfiel. In seiner Kurzsichtigkeit durchschaute
er nicht, daß die Nachgiebigkeit der Italiener noch eine ganz andre Deutung zuließ.
Wenn ihnen ihr Hauptwunsch, ihre Grundbedingung von Frankreich verweigert
wurde, so mußten sie sich fragen, ob sie dann noch irgendeinen Grund hätten,
für Frankreich die Waffen zu ergreifen. Insofern war ihre Nachgiebigkeit eher
ein Abrücken von der Tripelallianz. Durch die Rückkehr zum Septembervertrag
erlangten sie den Abzug der Franzosen aus Rom, und damit sahen sie ihr Ziel
in greifbarer Nähe, ohne daß sie sich dafür in ein kriegerisches Abenteuer stürzen
mußten. Denn die Tatsache des Abzugs der Franzosen wog mehr als die Be¬
dingung, die sich die Italiener für diesen Fall auferlegten. Wenn nur einmal
die Franzosen den Kirchenstaat geräumt hatten -- das weitere konnte man der
Logik der Ereignisse überlassen. So sah es auch der Vatikan an, wo man von
der Aussicht, daß die Integrität des Kirchenstaats künftig durch die Soldaten
Viktor Emanuels geschützt werden sollte, nichts weniger als erbaut war.

Das war zu einer Zeit, wo die kriegerischen Operationen schon begonnen
hatten, aber nicht mit dem Erfolg, den man sich in Paris und auch bei den


Frankreichs Allianzversuchc ^868 bis ^870

Glaubte man wirklich, daß sich der Kaiser Napoleon zu diesem Zugeständnis
in Sachen Roms verstehen werde? Selbst in diesem Augenblick wagte er es
nicht, die weltliche Papstmacht preiszugeben. Die Ehre, hieß es im französischen
Ministerrat vom 25. Juli, gebiete es, Rom nicht zu verlassen, außer gegen das
Versprechen Italiens, den Septembervertrag zu halten. Weisungen in diesem
Sinne waren noch an demselben Tage nach Wien und nach Florenz ergangen.
„Frankreich kann nicht seine Ehre am Rhein verteidigen und am Tiber auf¬
opfern. Wir haben dem Heiligen Stuhl bereits den Abmarsch unsrer Truppen
angekündigt. Er wird nicht stattfinden, wenn Italien uns nicht offiziell seine
Absicht erklärt, seinerseits die Septemberkonvention zu beobachten." Daß sich
Beust, der Protestant, in dieser Frage vorgedrängt und sich erboten hatte, dem
Kaiser Napoleon die Verantwortung für die Lösung des römischen Problems
abzunehmen, wurde vom Herzog von Gramont mit Ausdrücken des Wider¬
willens und der Entrüstung zurückgewiesen. Er sprach vom Verrat des öster¬
reichischen Kanzlers, und am 27. Juli telegraphierte er an den Fürsten Latour:
„Keinerlei Erwägung vermag uns vom Boden der Septemberkonvention abzu¬
drängen; lieber verzichten wir auf die Allianzen, die wir gesucht haben." An
demselben Tage telegraphierte Gramont nach Florenz: „Wenn man die Sep¬
temberkonvention aufrecht halten will, werden unsre Truppen am 5. August die
päpstlichen Staaten räumen. Im andern Fall warten wir ab, bis die italie¬
nische Regierung uns wissen läßt, wie sie sich entschließen wird." Und jetzt
gab die italienische Regierung nach. Sie ließ am 28. Juli durch den Gesandten
Nigra erklären, daß, wie Frankreich, so auch Italien zur Ausführung des Sep¬
tembervertrags und seiner Verpflichtungen zurückkehre.

Das war ein überraschender Schritt und schien dem Herzog von Gramont
ein großer Erfolg der französischen Politik zu sein. Es war nicht die einzige
Täuschung, der er in diesen Tagen verfiel. In seiner Kurzsichtigkeit durchschaute
er nicht, daß die Nachgiebigkeit der Italiener noch eine ganz andre Deutung zuließ.
Wenn ihnen ihr Hauptwunsch, ihre Grundbedingung von Frankreich verweigert
wurde, so mußten sie sich fragen, ob sie dann noch irgendeinen Grund hätten,
für Frankreich die Waffen zu ergreifen. Insofern war ihre Nachgiebigkeit eher
ein Abrücken von der Tripelallianz. Durch die Rückkehr zum Septembervertrag
erlangten sie den Abzug der Franzosen aus Rom, und damit sahen sie ihr Ziel
in greifbarer Nähe, ohne daß sie sich dafür in ein kriegerisches Abenteuer stürzen
mußten. Denn die Tatsache des Abzugs der Franzosen wog mehr als die Be¬
dingung, die sich die Italiener für diesen Fall auferlegten. Wenn nur einmal
die Franzosen den Kirchenstaat geräumt hatten — das weitere konnte man der
Logik der Ereignisse überlassen. So sah es auch der Vatikan an, wo man von
der Aussicht, daß die Integrität des Kirchenstaats künftig durch die Soldaten
Viktor Emanuels geschützt werden sollte, nichts weniger als erbaut war.

Das war zu einer Zeit, wo die kriegerischen Operationen schon begonnen
hatten, aber nicht mit dem Erfolg, den man sich in Paris und auch bei den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_302701/186>, abgerufen am 01.09.2024.