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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Schmittheimer

dagegen waren ganz schlicht und einfach, gemütvoll und zu Herzen gehend.
Inhaltlich hielten alle die Mitte zwischen moderner Theologie und mehr
konservativer Auffassung, wie denn Schmiedhammer auch wie dazu geschaffen
war, die theologische Vermittlung des Alten und des Neuen in den Kreisen
seiner Amtsbruder zu übernehmen. Von jener ersten Art der Predigten geben
die sieben Predigten Zeugnis, die in der "Modernen Predigtbibliothek" unter
dem Titel: "Herr, dn dises" von ihm erschienen sind (Göttingen, Vandenhoeck
und Ruprecht, 1906). Schmiedhammer war selbst eine tief religiöse Natur;
und zwar war ihm die Religion nicht bloß ein Gegenstand seines Empfindungs¬
lebens, sondern die religiösen Probleme beschäftigten ihn unausgesetzt. Merk¬
würdig ist deshalb, daß das eigentlich Religiöse in seinen Erzählungen fast
ganz fehlt, auch da, wo es sich fast mit einer gewissen Notwendigkeit herzu¬
drängt. Am meisten findet sich das Religiöse noch in seiner "Psyche", wo
es aber doch nur äußerlich religiöse Konflikte sind, später so gut wie nicht
mehr, obgleich auch Pfarrer verschiedentlich vorkommen. Wie tief er aber in die
religiösen Probleme eingedrungen war, das zeigt sein Vortrag über "Schillers
Stellung zur Religion" (Berlin, C. A. Schwetschke, 1905), mit das beste und
tiefste, was meines Trachtens über Schillers dichterische Persönlichkeit und
über sein Verhältnis zur Religion im Schillerjahre gesagt worden ist. Man
kann angesichts dieses Vortrags nur bedauern, daß Schmiedhammer zu solchen
Arbeiten so wenig Zeit fand; denn außer einem Aufsatz über Dante und
Ibsen und im letzten Jahre noch über Frenssens "Hilligenlei" hat er nichts
dieser Art geschrieben.

Diese Kritik Hilligcnlcis (in Webskys "Protestantischen Monatsheften",
5. Heft 1906) ist dadurch bemerkenswert, daß Schmitthenncr als Dichter mit
dem Dichter rechtet und den unerquicklichen Eindruck, den auch ihm Hilligenlei
gemacht hat, auf den einen Grundfehler einer falschen Ästhetik zurückführt.
Schmittheuner erkennt zwar vollkommen an, was an den Gestalten Frenssens
anzuerkennen ist; er meint, sie seien "von solcher Kraft und Lebendigkeit, daß
wir ihren Odem spüren, und jetzt küssen, jetzt ohrfeigen möchten". Aber er
bekennt sich zu dem ethisch-ästhetischen Maßstab, den man aus unsern Klassikern
gewinnt, und wünscht Frenssen, daß er weniger von Ellen Key und Johannes
Müller und viel, viel mehr von Goethe gelernt hätte. Dann hätte er wenigstens
die eine Regel begriffen, ,,daß die Form von ungeheurer Bedeutung für das
Kunstwerk ist, ja daß die Form alles ist, weil sie allein den Stoff zum Kunst¬
werk adelt", lind nun macht Schmittheuner aus den Erfahrungen seiner eignen
Dichterseele und dichterischen Gestaltung heraus folgende feine und durchaus
zutreffende Bemerkungen:

"Frenssen trägt Dinge vor, die ihm sehr wichtig erscheinen, und von denen
er uus überzeugen möchte. Das ist verdienstlich, und er hat ein Recht dazu
wie jeder andre. Aber wenn er es als Dichter tut, begeht er eine Sünde.
Nur allein vermittelst der Form redet der Dichter mit andern, durch den Stoff


Adolf Schmittheimer

dagegen waren ganz schlicht und einfach, gemütvoll und zu Herzen gehend.
Inhaltlich hielten alle die Mitte zwischen moderner Theologie und mehr
konservativer Auffassung, wie denn Schmiedhammer auch wie dazu geschaffen
war, die theologische Vermittlung des Alten und des Neuen in den Kreisen
seiner Amtsbruder zu übernehmen. Von jener ersten Art der Predigten geben
die sieben Predigten Zeugnis, die in der „Modernen Predigtbibliothek" unter
dem Titel: „Herr, dn dises" von ihm erschienen sind (Göttingen, Vandenhoeck
und Ruprecht, 1906). Schmiedhammer war selbst eine tief religiöse Natur;
und zwar war ihm die Religion nicht bloß ein Gegenstand seines Empfindungs¬
lebens, sondern die religiösen Probleme beschäftigten ihn unausgesetzt. Merk¬
würdig ist deshalb, daß das eigentlich Religiöse in seinen Erzählungen fast
ganz fehlt, auch da, wo es sich fast mit einer gewissen Notwendigkeit herzu¬
drängt. Am meisten findet sich das Religiöse noch in seiner „Psyche", wo
es aber doch nur äußerlich religiöse Konflikte sind, später so gut wie nicht
mehr, obgleich auch Pfarrer verschiedentlich vorkommen. Wie tief er aber in die
religiösen Probleme eingedrungen war, das zeigt sein Vortrag über „Schillers
Stellung zur Religion" (Berlin, C. A. Schwetschke, 1905), mit das beste und
tiefste, was meines Trachtens über Schillers dichterische Persönlichkeit und
über sein Verhältnis zur Religion im Schillerjahre gesagt worden ist. Man
kann angesichts dieses Vortrags nur bedauern, daß Schmiedhammer zu solchen
Arbeiten so wenig Zeit fand; denn außer einem Aufsatz über Dante und
Ibsen und im letzten Jahre noch über Frenssens „Hilligenlei" hat er nichts
dieser Art geschrieben.

Diese Kritik Hilligcnlcis (in Webskys „Protestantischen Monatsheften",
5. Heft 1906) ist dadurch bemerkenswert, daß Schmitthenncr als Dichter mit
dem Dichter rechtet und den unerquicklichen Eindruck, den auch ihm Hilligenlei
gemacht hat, auf den einen Grundfehler einer falschen Ästhetik zurückführt.
Schmittheuner erkennt zwar vollkommen an, was an den Gestalten Frenssens
anzuerkennen ist; er meint, sie seien „von solcher Kraft und Lebendigkeit, daß
wir ihren Odem spüren, und jetzt küssen, jetzt ohrfeigen möchten". Aber er
bekennt sich zu dem ethisch-ästhetischen Maßstab, den man aus unsern Klassikern
gewinnt, und wünscht Frenssen, daß er weniger von Ellen Key und Johannes
Müller und viel, viel mehr von Goethe gelernt hätte. Dann hätte er wenigstens
die eine Regel begriffen, ,,daß die Form von ungeheurer Bedeutung für das
Kunstwerk ist, ja daß die Form alles ist, weil sie allein den Stoff zum Kunst¬
werk adelt", lind nun macht Schmittheuner aus den Erfahrungen seiner eignen
Dichterseele und dichterischen Gestaltung heraus folgende feine und durchaus
zutreffende Bemerkungen:

„Frenssen trägt Dinge vor, die ihm sehr wichtig erscheinen, und von denen
er uus überzeugen möchte. Das ist verdienstlich, und er hat ein Recht dazu
wie jeder andre. Aber wenn er es als Dichter tut, begeht er eine Sünde.
Nur allein vermittelst der Form redet der Dichter mit andern, durch den Stoff


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/95>, abgerufen am 06.02.2025.