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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Adolf Schmitthenner

redet er nur mit sich selbst. Er besitzt in ihm seine Welt, die ihm allein
gehört und niemanden anders etwas angeht. Weil er nun aber Künstler ist,
macht es ihm Lust, aus diesem Stoff ein Kunstwerk zu schaffen. Er gibt ihm
die Form des Schönen. Nicht willkürlich macht er diese Form; er erlauscht
sie aus der Natur des Stoffes, läßt sie behutsam werden und achtet ehrfürchtig
ihre inwendigen Gesetze. An die andern Menschen, an das Publikum, an den
Markt, an die Gemeinde der Gebildeten, an "mein deutsches Volk" denkt er
dabei mit keinem Gedanken, sondern es quült ihn nur die einzige Sorge, daß
ihm die Form zur höchsten Schönheit gelinge. Hat er dies erreicht, so fällt
ihm die Verbreitung seiner Ideen und die Einwirkung auf Herz und Gewissen
von selbst zu. Denn die Sprache der Schönheit wird von jedem mit Lust
gehört, von jedem verstanden. Was die Schönheit sagt, wird von jedem ohne
Widerstreben geglaubt, die Schönheit überzeugt die Sinne und die Seele. Nicht
die Lehren haben die Welt bekehrt, sondern nur allein die großen Persönlich¬
keiten und die großen Kunstwerke."

Weil das Frenssen vergessen habe, seien wir genötigt, neben dem be¬
deutenden Dichter Frenssen einen höchst unbedeutenden, ja schülerhaften
Sozialethiker, Popularphilosophen, Theologen, Christen Frenssen anzuschauen.
Und auch die ethischen Anstöße entspringen nach Schmitthenner demselben
Grundfehler: statt lediglich durch die Mittel der Schönheit zu wirken, "will
er den Lesern die Prüderie abgewöhnen, er will die alten Jungfern cm-
trnmpfen. Durch solche Absichtlichkeit entgleitet die Sinnlichkeit dem Banne
der Schönheit. Wo die Schönheit sitzt, da sitzt auch die Scham, dagegen wird
die Pädagogik leicht schamlos."

Merkwürdig übrigens, wie seine Charakterisierung Schillers auf sein
eignes Schaffen zutrifft, womit ich selbstverständlich Schmitthenner nicht an
Schiller heranrücke und auch jedem Versuch, Vergleichungspunkte für beide zu
finden, so nahe er am Ende läge, widerstehe. Aber es galt auch von ihm,
mit dem selbstverständlichen Vorbehalt, daß, was Schmitthenner dem Genie zu¬
schreibt, sich demi Talent etwas minder gestaltet, was er von Schiller sagt:
was er war, war er aus seiner Natur heraus. Aber nicht durch Wachstum
ist er es geworden, sondern durch Auferbaucn seiner selbst. Vieles verdankt
er der Welt und dem Leben. Aber alles, was ihm Geschichte und Vaterland
gegeben haben, hat er in dem Maße schillerisch gemacht, daß es wie Renten¬
ertrag eines persönlichen Vermögens aussieht. Was er uicht schillerisch macheu
konnte, fiel schließlich an ihm hinunter. Was er mit Willen festhielt, das
haben seine Seelenkräfte umgewandelt, dergestalt, daß daraus Fleisch von seinem
Fleisch und Bein vou seinem Bein geworden ist.

Und auch das dreifache gilt von Schmitthenner, was er bei Schiller ge¬
funden hat, daß er einige Gegenstände mit unglaublicher Willenskraft in den
Bereich seiner künstlerischen Wirksamkeit hereingezogen hat, daß er sich mit
andern Dingen eine Weile beschäftigte, aber sie vorläufig liegen ließ, und daß


Adolf Schmitthenner

redet er nur mit sich selbst. Er besitzt in ihm seine Welt, die ihm allein
gehört und niemanden anders etwas angeht. Weil er nun aber Künstler ist,
macht es ihm Lust, aus diesem Stoff ein Kunstwerk zu schaffen. Er gibt ihm
die Form des Schönen. Nicht willkürlich macht er diese Form; er erlauscht
sie aus der Natur des Stoffes, läßt sie behutsam werden und achtet ehrfürchtig
ihre inwendigen Gesetze. An die andern Menschen, an das Publikum, an den
Markt, an die Gemeinde der Gebildeten, an »mein deutsches Volk« denkt er
dabei mit keinem Gedanken, sondern es quült ihn nur die einzige Sorge, daß
ihm die Form zur höchsten Schönheit gelinge. Hat er dies erreicht, so fällt
ihm die Verbreitung seiner Ideen und die Einwirkung auf Herz und Gewissen
von selbst zu. Denn die Sprache der Schönheit wird von jedem mit Lust
gehört, von jedem verstanden. Was die Schönheit sagt, wird von jedem ohne
Widerstreben geglaubt, die Schönheit überzeugt die Sinne und die Seele. Nicht
die Lehren haben die Welt bekehrt, sondern nur allein die großen Persönlich¬
keiten und die großen Kunstwerke."

Weil das Frenssen vergessen habe, seien wir genötigt, neben dem be¬
deutenden Dichter Frenssen einen höchst unbedeutenden, ja schülerhaften
Sozialethiker, Popularphilosophen, Theologen, Christen Frenssen anzuschauen.
Und auch die ethischen Anstöße entspringen nach Schmitthenner demselben
Grundfehler: statt lediglich durch die Mittel der Schönheit zu wirken, „will
er den Lesern die Prüderie abgewöhnen, er will die alten Jungfern cm-
trnmpfen. Durch solche Absichtlichkeit entgleitet die Sinnlichkeit dem Banne
der Schönheit. Wo die Schönheit sitzt, da sitzt auch die Scham, dagegen wird
die Pädagogik leicht schamlos."

Merkwürdig übrigens, wie seine Charakterisierung Schillers auf sein
eignes Schaffen zutrifft, womit ich selbstverständlich Schmitthenner nicht an
Schiller heranrücke und auch jedem Versuch, Vergleichungspunkte für beide zu
finden, so nahe er am Ende läge, widerstehe. Aber es galt auch von ihm,
mit dem selbstverständlichen Vorbehalt, daß, was Schmitthenner dem Genie zu¬
schreibt, sich demi Talent etwas minder gestaltet, was er von Schiller sagt:
was er war, war er aus seiner Natur heraus. Aber nicht durch Wachstum
ist er es geworden, sondern durch Auferbaucn seiner selbst. Vieles verdankt
er der Welt und dem Leben. Aber alles, was ihm Geschichte und Vaterland
gegeben haben, hat er in dem Maße schillerisch gemacht, daß es wie Renten¬
ertrag eines persönlichen Vermögens aussieht. Was er uicht schillerisch macheu
konnte, fiel schließlich an ihm hinunter. Was er mit Willen festhielt, das
haben seine Seelenkräfte umgewandelt, dergestalt, daß daraus Fleisch von seinem
Fleisch und Bein vou seinem Bein geworden ist.

Und auch das dreifache gilt von Schmitthenner, was er bei Schiller ge¬
funden hat, daß er einige Gegenstände mit unglaublicher Willenskraft in den
Bereich seiner künstlerischen Wirksamkeit hereingezogen hat, daß er sich mit
andern Dingen eine Weile beschäftigte, aber sie vorläufig liegen ließ, und daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/96>, abgerufen am 06.02.2025.