Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Frau und das Aunstgewerbe dem Hausrat, den Kunstwerken, Galanteriewaren und den oft barbarischen Aber das ist es gerade, daß im Publikum selber der Sinn für die Echt¬ Grenzboten II 1907 88
Die Frau und das Aunstgewerbe dem Hausrat, den Kunstwerken, Galanteriewaren und den oft barbarischen Aber das ist es gerade, daß im Publikum selber der Sinn für die Echt¬ Grenzboten II 1907 88
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0685" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302673"/> <fw type="header" place="top"> Die Frau und das Aunstgewerbe</fw><lb/> <p xml:id="ID_2970" prev="#ID_2969"> dem Hausrat, den Kunstwerken, Galanteriewaren und den oft barbarischen<lb/> Erzeugnissen der Luxusindustrie? Wo sind die Grundsätze einer durchaus<lb/> sachlichen Gestaltung und einer soliden Ausführung in gutem, dauerhaftem<lb/> Material, mit der vollsten Klarheit und Eindringlichkeit bis in die kleinsten<lb/> Details erkannt und wirksam? Glaubt man denn, daß die Kunst im Hause<lb/> von den Kunstgegenständen abhängt, von all dem überflüssigen Plunder, den<lb/> die Industrie als Kunstgegenstände auf den Markt wirft, von den lächer¬<lb/> lichen Zieraten und Schnörkeln, mit denen die Wände und Gebrauchsgegen¬<lb/> stände überwuchert sind, um in der Regel die unsolide Mache und das<lb/> minderwertige Material zu verkleiden? In der einfachsten Bauernhütte, wo<lb/> nur rohgezimmerte, scheuerbare Tische und Bänke an den milchweißen<lb/> Wänden entlang und einige bunte Blumen im irdnen Topf am Fenster<lb/> stehn, waltet mehr Kunstsegen als in den von allerlei Kunstgegenständen<lb/> und kunstverziertem Plunder überfüllten Wohnungen. Wir dürfen nicht ver¬<lb/> gessen, daß jede Art von Schundproduktion in England, auch wenn sie nicht<lb/> aus Deutschland kommt, als Naäs in (zleriuan^ bezeichnet wird. Treten wir<lb/> in ein Berliner Warenhaus ein, das ja ein Spiegelbild für die meisten Kauf¬<lb/> häuserverhältnisse abgibt, so finden wir unter dem sogenannten feinen Anstrich<lb/> fast durchwegs unechtes Material, Produkte, die auf den falschen Schein zurecht¬<lb/> gemacht sind und keiner Prüfung standhalten. Wir finden Schreibmappen,<lb/> Albums mit Lederdecken aus gepreßtem Papier, Schuhsohlen aus Pappen¬<lb/> deckel, Schildpattkümme aus Zelluloid, französische Bronzen aus Zinkguß,<lb/> «echtimitierte" Nickel- und Bronzegarnituren für Schreibtische aus gestrichnem<lb/> Eisenguß, Seidenblusen mit 70 Prozent Baumwolle, echt „vergoldete" Schmuck¬<lb/> sachen, Portemonnaies und Brieftaschen in Farbe und Geruch Juchtenleder<lb/> vortäuschend, Schraubenzieher aus Eisen, die sich bei der ersten Schraube ver¬<lb/> biegen, Zangen, die sofort zerspringen, bunte Stoffe und Gewebe, die im ersten<lb/> Sonnenstrahl die Farbe wechseln, kurz, ein Tausenderlei, das viel verspricht<lb/> und nichts hält. Während wir in schlechten Surrogaten alles finden können,<lb/> hat es seine liebe Not, auch nur einen einzigen dieser Gegenstände, und sei<lb/> er noch so einfach, in wirklich echtem Material und wirklich anständiger Arbeit<lb/> zu erlangen. Achselzuckend bedauert der Verkäufer, daß nach einem so be¬<lb/> schaffner Gegenstande keine Nachfrage, und daß darum kein Vorrat sei. Die<lb/> Sache geht so weit, daß die Frau, die weiß, daß Batist, Linnen oder reine<lb/> Baumwolle haltbarer und anständiger ist, viel lieber eine weniger haltbare<lb/> Bluse kauft, wenn sie nach Seide aussieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_2971" next="#ID_2972"> Aber das ist es gerade, daß im Publikum selber der Sinn für die Echt¬<lb/> heit und Gediegenheit, der zunächst zur Einfachheit und Wahrhaftigkeit zwingt,<lb/> fehlt, und daher keine Nachfrage nach so beschaffner Dingen ist. Hier setzt<lb/> nun das moderne Kunstgewerbe ein und sucht diesen Gedanken der Veredlung<lb/> und Vereinfachung zur Geltung zu bringen. Dieser Gedanke enthält zugleich<lb/> eine Bereicherung, indem er den Arbeitswert und die Tüchtigkeit steigert und</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1907 88</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0685]
Die Frau und das Aunstgewerbe
dem Hausrat, den Kunstwerken, Galanteriewaren und den oft barbarischen
Erzeugnissen der Luxusindustrie? Wo sind die Grundsätze einer durchaus
sachlichen Gestaltung und einer soliden Ausführung in gutem, dauerhaftem
Material, mit der vollsten Klarheit und Eindringlichkeit bis in die kleinsten
Details erkannt und wirksam? Glaubt man denn, daß die Kunst im Hause
von den Kunstgegenständen abhängt, von all dem überflüssigen Plunder, den
die Industrie als Kunstgegenstände auf den Markt wirft, von den lächer¬
lichen Zieraten und Schnörkeln, mit denen die Wände und Gebrauchsgegen¬
stände überwuchert sind, um in der Regel die unsolide Mache und das
minderwertige Material zu verkleiden? In der einfachsten Bauernhütte, wo
nur rohgezimmerte, scheuerbare Tische und Bänke an den milchweißen
Wänden entlang und einige bunte Blumen im irdnen Topf am Fenster
stehn, waltet mehr Kunstsegen als in den von allerlei Kunstgegenständen
und kunstverziertem Plunder überfüllten Wohnungen. Wir dürfen nicht ver¬
gessen, daß jede Art von Schundproduktion in England, auch wenn sie nicht
aus Deutschland kommt, als Naäs in (zleriuan^ bezeichnet wird. Treten wir
in ein Berliner Warenhaus ein, das ja ein Spiegelbild für die meisten Kauf¬
häuserverhältnisse abgibt, so finden wir unter dem sogenannten feinen Anstrich
fast durchwegs unechtes Material, Produkte, die auf den falschen Schein zurecht¬
gemacht sind und keiner Prüfung standhalten. Wir finden Schreibmappen,
Albums mit Lederdecken aus gepreßtem Papier, Schuhsohlen aus Pappen¬
deckel, Schildpattkümme aus Zelluloid, französische Bronzen aus Zinkguß,
«echtimitierte" Nickel- und Bronzegarnituren für Schreibtische aus gestrichnem
Eisenguß, Seidenblusen mit 70 Prozent Baumwolle, echt „vergoldete" Schmuck¬
sachen, Portemonnaies und Brieftaschen in Farbe und Geruch Juchtenleder
vortäuschend, Schraubenzieher aus Eisen, die sich bei der ersten Schraube ver¬
biegen, Zangen, die sofort zerspringen, bunte Stoffe und Gewebe, die im ersten
Sonnenstrahl die Farbe wechseln, kurz, ein Tausenderlei, das viel verspricht
und nichts hält. Während wir in schlechten Surrogaten alles finden können,
hat es seine liebe Not, auch nur einen einzigen dieser Gegenstände, und sei
er noch so einfach, in wirklich echtem Material und wirklich anständiger Arbeit
zu erlangen. Achselzuckend bedauert der Verkäufer, daß nach einem so be¬
schaffner Gegenstande keine Nachfrage, und daß darum kein Vorrat sei. Die
Sache geht so weit, daß die Frau, die weiß, daß Batist, Linnen oder reine
Baumwolle haltbarer und anständiger ist, viel lieber eine weniger haltbare
Bluse kauft, wenn sie nach Seide aussieht.
Aber das ist es gerade, daß im Publikum selber der Sinn für die Echt¬
heit und Gediegenheit, der zunächst zur Einfachheit und Wahrhaftigkeit zwingt,
fehlt, und daher keine Nachfrage nach so beschaffner Dingen ist. Hier setzt
nun das moderne Kunstgewerbe ein und sucht diesen Gedanken der Veredlung
und Vereinfachung zur Geltung zu bringen. Dieser Gedanke enthält zugleich
eine Bereicherung, indem er den Arbeitswert und die Tüchtigkeit steigert und
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