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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Frau und das Runstgewerbe

Wirtschaftlich fruchtbar macht, indem er mit dem Grundsatz bricht, das an sich
kostbare Material durch Verfälschung und unsolide Arbeit zu verschwenden, indem
er endlich die deutsche Arbeit auf eine ethische Grundlage stellt, in der Qualität
konkurrenzfähig macht, dem Auslande die Spitze bietet und von dem Druck
schlecht entlohnter Schundarbeit befreit. In diesem Gedanken liegt eine
zwingende Aufforderung, die sich an das ganze Volk richtet, vor allem aber
an die Frauen, die als Käufer entscheiden, und die uns bisher im Stich ge¬
lassen haben. Mögen sich doch diese Frauen an den köstlichen Hausrat er¬
innern, an die Erbstücke aus Großmutters und Urgroßmutters Zeit, die wir
mit zärtlichem Gedanken hüten! Mögen sie doch nicht das Entzücken vergessen,
das jeden ergreift, der den Taffet aus Großmutters Feiertagskleid befühlt,
das zerknüllt durch ein Menschenalter in der Kommode gelegen hat, in unge¬
schwächter Farbenreinheit und in keiner Falte gebrochen noch unverwüstet da¬
steht und noch den Kindeskindern einen Prachtstaat gewährt, der mit den
heutigen Mitteln gar nicht möglich wäre. Die Großmütter wußten noch, was
sie verlangen durften, sie hatten Urteil. Die heutigen Frauen mögen darüber
nachdenken, was ihre Kinder und Kindeskinder einmal von ihnen denken
werden, wenn noch eine Spur von dem erbärmlichen Kram, damit sich die
Heutigen begnügen, auf sie vererbt wird?

Das deutsche Kunstgewerbe hat den überzeugenden Beweis geliefert, daß
es anders sein kann. Es hat uns die Möglichkeit gezeigt, daß wir in die
erste Reihe der produktiven Kulturvölker vorrücken könnten, wenn wir nur
wollten. Die deutschen Frauen dürfen sich nicht länger der unendlich segens¬
reichen nationalen Aufgabe verschließen, sie müssen tätigen Anteil nehmen
und sich, wie in allen Zeiten einer großen Bewegung, noch mehr als in der
Musik und in der Dichtkunst als unsre Bundesgenossinnen, als Förderinnen
und unermüdliche Mitarbeiterinnen fühlen.

Was sollen die Frauen nun tun? Sie sollen nicht länger von fernher
zusehen, als ob sie die ganze Sache nichts anginge, sie sollen unsre kunstge¬
werblichen Versammlungen besuchen, unsre Vorträge und Erläuterungen, sie
sollen aus eigner Initiative Erklärungen, Demonstrationen und Erläuterungen
veranlassen, sie sollen sich in Vereinigungen zusammentun und die Aufgabe
stellen, bei allen ihren Einkäufen und Anschaffungen auf Grund der so er-
worbnen Einsicht immer wieder nach der Qualität fragen, die Materialien
prüfen, die Solidität der Arbeit, die Sachlichkeit und Nützlichkeit als Prinzip
der formalen Gestaltung untersuchen und dahin zu kommen trachten, daß der
lächerliche Tand aus ihrem Gesichtskreis verschwindet, und daß das wirklich
Notwendige in der vollendetsten Form und Gediegenheit hervorgebracht werde.
Ich bin überzeugt, daß die ganze Industrie mit Vergnügen die Schwenkung
mitmacht, und daß die Widerstrebenden, jene, die in der Unsoliditüt ihre Zu¬
flucht suchen, den Widerstand schleunigst aufgeben werden, sobald sie sich von
dem überlegnen Publikum geschlagen wissen. Ob arm oder reich, sie können


Die Frau und das Runstgewerbe

Wirtschaftlich fruchtbar macht, indem er mit dem Grundsatz bricht, das an sich
kostbare Material durch Verfälschung und unsolide Arbeit zu verschwenden, indem
er endlich die deutsche Arbeit auf eine ethische Grundlage stellt, in der Qualität
konkurrenzfähig macht, dem Auslande die Spitze bietet und von dem Druck
schlecht entlohnter Schundarbeit befreit. In diesem Gedanken liegt eine
zwingende Aufforderung, die sich an das ganze Volk richtet, vor allem aber
an die Frauen, die als Käufer entscheiden, und die uns bisher im Stich ge¬
lassen haben. Mögen sich doch diese Frauen an den köstlichen Hausrat er¬
innern, an die Erbstücke aus Großmutters und Urgroßmutters Zeit, die wir
mit zärtlichem Gedanken hüten! Mögen sie doch nicht das Entzücken vergessen,
das jeden ergreift, der den Taffet aus Großmutters Feiertagskleid befühlt,
das zerknüllt durch ein Menschenalter in der Kommode gelegen hat, in unge¬
schwächter Farbenreinheit und in keiner Falte gebrochen noch unverwüstet da¬
steht und noch den Kindeskindern einen Prachtstaat gewährt, der mit den
heutigen Mitteln gar nicht möglich wäre. Die Großmütter wußten noch, was
sie verlangen durften, sie hatten Urteil. Die heutigen Frauen mögen darüber
nachdenken, was ihre Kinder und Kindeskinder einmal von ihnen denken
werden, wenn noch eine Spur von dem erbärmlichen Kram, damit sich die
Heutigen begnügen, auf sie vererbt wird?

Das deutsche Kunstgewerbe hat den überzeugenden Beweis geliefert, daß
es anders sein kann. Es hat uns die Möglichkeit gezeigt, daß wir in die
erste Reihe der produktiven Kulturvölker vorrücken könnten, wenn wir nur
wollten. Die deutschen Frauen dürfen sich nicht länger der unendlich segens¬
reichen nationalen Aufgabe verschließen, sie müssen tätigen Anteil nehmen
und sich, wie in allen Zeiten einer großen Bewegung, noch mehr als in der
Musik und in der Dichtkunst als unsre Bundesgenossinnen, als Förderinnen
und unermüdliche Mitarbeiterinnen fühlen.

Was sollen die Frauen nun tun? Sie sollen nicht länger von fernher
zusehen, als ob sie die ganze Sache nichts anginge, sie sollen unsre kunstge¬
werblichen Versammlungen besuchen, unsre Vorträge und Erläuterungen, sie
sollen aus eigner Initiative Erklärungen, Demonstrationen und Erläuterungen
veranlassen, sie sollen sich in Vereinigungen zusammentun und die Aufgabe
stellen, bei allen ihren Einkäufen und Anschaffungen auf Grund der so er-
worbnen Einsicht immer wieder nach der Qualität fragen, die Materialien
prüfen, die Solidität der Arbeit, die Sachlichkeit und Nützlichkeit als Prinzip
der formalen Gestaltung untersuchen und dahin zu kommen trachten, daß der
lächerliche Tand aus ihrem Gesichtskreis verschwindet, und daß das wirklich
Notwendige in der vollendetsten Form und Gediegenheit hervorgebracht werde.
Ich bin überzeugt, daß die ganze Industrie mit Vergnügen die Schwenkung
mitmacht, und daß die Widerstrebenden, jene, die in der Unsoliditüt ihre Zu¬
flucht suchen, den Widerstand schleunigst aufgeben werden, sobald sie sich von
dem überlegnen Publikum geschlagen wissen. Ob arm oder reich, sie können


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/686>, abgerufen am 06.02.2025.