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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Frau und das Kunstgewerbe

lichtechte Stoffe herstellen, der Färber erlebt in seiner Arbeit sicherlich eine
gewaltige Förderung, wenn er seine Leistungen geschätzt weiß. Wir haben
keine lichtechten Stoffe, weil das Publikum nicht gewöhnt ist, Garantien für
die Lichtechtheit zu verlangen. Ja es wirft nicht einmal die Frage auf. Wie
augenscheinlich das Publikum gegen sein eignes Interesse handelt, erhellt aus
der Tatsache, daß die Kleiderstoffe und die Möbelstoffe heutzutage in der
Regel nur auf Wochen, bestenfalls nur auf Monate hin standhalten, sodciß
fortwährende Neuanschaffungen nötig sind, während die Seiden und sonstigen
Stoffe unsrer Großmütter und Urgroßmutter Generationen überstanden und
noch den späten Enkeln ein Entzücken sind. Man muß nachdrücklich die
Schauläden befragen, wenn man den Geschmack des Publikums feststellen will.

Was die Frauen in ihren Kleidermoden, ihren abenteuerlichen und lächer¬
lichen Hutformen verlangen oder sich bieten lassen, spottet jeder Beschreibung.
Dem ungeheuerlichen, wogenden Aufputz der Hüte entspricht die völlige Un-
sachlichkeit der eigentlichen Hutform und in der Regel die völlige Minder¬
wertigkeit des Materials. Es ist natürlich, daß infolge der Unzweckmüßigkeit,
der Minderwertigkeit und der auf den bloßen Reiz der Neuheit gerichteten
Forderung von Saison zu Saison die Formen und Materialien und "Neu¬
heiten" gewechselt werden, daß also von Saison zu Saison neue Ausgaben
auf die unzweckmäßigsten Dinge der Welt verwandt werden müssen.

Welcher Segen wäre es nun für die Industrie, für die Arbeiter, für die
Geschäftswelt und nicht zuletzt für das kaufende Publikum, wenn an die Stelle
dieser atemloser Hetze nach Neuheiten die Pflege der Qualität treten würde.
Die Qualität kann natürlich nicht ganz billig sein. Kein denkender Mensch
wird aber leugnen, daß die immer wiederholte Neuanschaffung schlechter Er¬
zeugnisse wesentlich teurer ist als die erhöhte Auslage für die dauerhafte
Qualität, ganz abgesehen davon, daß wir durch die Gediegenheit in unsrer
innern Verfassung nur gewinnen können. Für wen schmücken sich die Frauen,
wenn nicht mit dem bewußten oder unbewußten Seitenblick auf die Männer?
Aber die minderwertigen und aufgedonnerten Fetzen, aus denen sich das
heutige Modebild zusammensetzt, können bestenfalls das Entzücken hohler Lassen
erwecken.

Es ist doch eine recht bezeichnende Tatsache, daß es den Frauen nicht
gelungen ist, eine sachliche und zweckmäßige Form des Kleides in Verbindung
mit gewissen ästhetischen Gesetzen zu entwickeln und zur Herrschaft zu bringen.
Die Sache würde an und für sich keine welterschütternde Bedeutung haben,
wenn dieselbe Grundstimmung nicht zugleich auch in den andern Erzeugungen
festgehalten würde. Es ist nicht leicht möglich, Küchengerätschaften, Metall¬
geräte, Bestecke, Gefäße usw. aufzutreiben, die anstatt durch störende, über¬
flüssige Verzierungen durch wohlüberlegte, sachliche Gestaltung im Verein mit
der solidesten Ausführung auffallen. Wie sieht es in den Wohnungen aus, mit
den Öfen, den Tapeten, den Bildern und Bilderrahmen und endlich mit


Die Frau und das Kunstgewerbe

lichtechte Stoffe herstellen, der Färber erlebt in seiner Arbeit sicherlich eine
gewaltige Förderung, wenn er seine Leistungen geschätzt weiß. Wir haben
keine lichtechten Stoffe, weil das Publikum nicht gewöhnt ist, Garantien für
die Lichtechtheit zu verlangen. Ja es wirft nicht einmal die Frage auf. Wie
augenscheinlich das Publikum gegen sein eignes Interesse handelt, erhellt aus
der Tatsache, daß die Kleiderstoffe und die Möbelstoffe heutzutage in der
Regel nur auf Wochen, bestenfalls nur auf Monate hin standhalten, sodciß
fortwährende Neuanschaffungen nötig sind, während die Seiden und sonstigen
Stoffe unsrer Großmütter und Urgroßmutter Generationen überstanden und
noch den späten Enkeln ein Entzücken sind. Man muß nachdrücklich die
Schauläden befragen, wenn man den Geschmack des Publikums feststellen will.

Was die Frauen in ihren Kleidermoden, ihren abenteuerlichen und lächer¬
lichen Hutformen verlangen oder sich bieten lassen, spottet jeder Beschreibung.
Dem ungeheuerlichen, wogenden Aufputz der Hüte entspricht die völlige Un-
sachlichkeit der eigentlichen Hutform und in der Regel die völlige Minder¬
wertigkeit des Materials. Es ist natürlich, daß infolge der Unzweckmüßigkeit,
der Minderwertigkeit und der auf den bloßen Reiz der Neuheit gerichteten
Forderung von Saison zu Saison die Formen und Materialien und „Neu¬
heiten" gewechselt werden, daß also von Saison zu Saison neue Ausgaben
auf die unzweckmäßigsten Dinge der Welt verwandt werden müssen.

Welcher Segen wäre es nun für die Industrie, für die Arbeiter, für die
Geschäftswelt und nicht zuletzt für das kaufende Publikum, wenn an die Stelle
dieser atemloser Hetze nach Neuheiten die Pflege der Qualität treten würde.
Die Qualität kann natürlich nicht ganz billig sein. Kein denkender Mensch
wird aber leugnen, daß die immer wiederholte Neuanschaffung schlechter Er¬
zeugnisse wesentlich teurer ist als die erhöhte Auslage für die dauerhafte
Qualität, ganz abgesehen davon, daß wir durch die Gediegenheit in unsrer
innern Verfassung nur gewinnen können. Für wen schmücken sich die Frauen,
wenn nicht mit dem bewußten oder unbewußten Seitenblick auf die Männer?
Aber die minderwertigen und aufgedonnerten Fetzen, aus denen sich das
heutige Modebild zusammensetzt, können bestenfalls das Entzücken hohler Lassen
erwecken.

Es ist doch eine recht bezeichnende Tatsache, daß es den Frauen nicht
gelungen ist, eine sachliche und zweckmäßige Form des Kleides in Verbindung
mit gewissen ästhetischen Gesetzen zu entwickeln und zur Herrschaft zu bringen.
Die Sache würde an und für sich keine welterschütternde Bedeutung haben,
wenn dieselbe Grundstimmung nicht zugleich auch in den andern Erzeugungen
festgehalten würde. Es ist nicht leicht möglich, Küchengerätschaften, Metall¬
geräte, Bestecke, Gefäße usw. aufzutreiben, die anstatt durch störende, über¬
flüssige Verzierungen durch wohlüberlegte, sachliche Gestaltung im Verein mit
der solidesten Ausführung auffallen. Wie sieht es in den Wohnungen aus, mit
den Öfen, den Tapeten, den Bildern und Bilderrahmen und endlich mit


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[0684] Die Frau und das Kunstgewerbe lichtechte Stoffe herstellen, der Färber erlebt in seiner Arbeit sicherlich eine gewaltige Förderung, wenn er seine Leistungen geschätzt weiß. Wir haben keine lichtechten Stoffe, weil das Publikum nicht gewöhnt ist, Garantien für die Lichtechtheit zu verlangen. Ja es wirft nicht einmal die Frage auf. Wie augenscheinlich das Publikum gegen sein eignes Interesse handelt, erhellt aus der Tatsache, daß die Kleiderstoffe und die Möbelstoffe heutzutage in der Regel nur auf Wochen, bestenfalls nur auf Monate hin standhalten, sodciß fortwährende Neuanschaffungen nötig sind, während die Seiden und sonstigen Stoffe unsrer Großmütter und Urgroßmutter Generationen überstanden und noch den späten Enkeln ein Entzücken sind. Man muß nachdrücklich die Schauläden befragen, wenn man den Geschmack des Publikums feststellen will. Was die Frauen in ihren Kleidermoden, ihren abenteuerlichen und lächer¬ lichen Hutformen verlangen oder sich bieten lassen, spottet jeder Beschreibung. Dem ungeheuerlichen, wogenden Aufputz der Hüte entspricht die völlige Un- sachlichkeit der eigentlichen Hutform und in der Regel die völlige Minder¬ wertigkeit des Materials. Es ist natürlich, daß infolge der Unzweckmüßigkeit, der Minderwertigkeit und der auf den bloßen Reiz der Neuheit gerichteten Forderung von Saison zu Saison die Formen und Materialien und „Neu¬ heiten" gewechselt werden, daß also von Saison zu Saison neue Ausgaben auf die unzweckmäßigsten Dinge der Welt verwandt werden müssen. Welcher Segen wäre es nun für die Industrie, für die Arbeiter, für die Geschäftswelt und nicht zuletzt für das kaufende Publikum, wenn an die Stelle dieser atemloser Hetze nach Neuheiten die Pflege der Qualität treten würde. Die Qualität kann natürlich nicht ganz billig sein. Kein denkender Mensch wird aber leugnen, daß die immer wiederholte Neuanschaffung schlechter Er¬ zeugnisse wesentlich teurer ist als die erhöhte Auslage für die dauerhafte Qualität, ganz abgesehen davon, daß wir durch die Gediegenheit in unsrer innern Verfassung nur gewinnen können. Für wen schmücken sich die Frauen, wenn nicht mit dem bewußten oder unbewußten Seitenblick auf die Männer? Aber die minderwertigen und aufgedonnerten Fetzen, aus denen sich das heutige Modebild zusammensetzt, können bestenfalls das Entzücken hohler Lassen erwecken. Es ist doch eine recht bezeichnende Tatsache, daß es den Frauen nicht gelungen ist, eine sachliche und zweckmäßige Form des Kleides in Verbindung mit gewissen ästhetischen Gesetzen zu entwickeln und zur Herrschaft zu bringen. Die Sache würde an und für sich keine welterschütternde Bedeutung haben, wenn dieselbe Grundstimmung nicht zugleich auch in den andern Erzeugungen festgehalten würde. Es ist nicht leicht möglich, Küchengerätschaften, Metall¬ geräte, Bestecke, Gefäße usw. aufzutreiben, die anstatt durch störende, über¬ flüssige Verzierungen durch wohlüberlegte, sachliche Gestaltung im Verein mit der solidesten Ausführung auffallen. Wie sieht es in den Wohnungen aus, mit den Öfen, den Tapeten, den Bildern und Bilderrahmen und endlich mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/684>, abgerufen am 06.02.2025.