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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Sie Frau und das Runstgewerbe

trennbar ist, sind nicht nur die Hersteller, sondern auch die Verkäufer oder
Händler und vor allem auch die Käufer, das Publikum ethisch und wirtschaftlich
beteiligt, weil schlechte Qualität oder Schundware keinem Menschen, der etwas
auf sich hält, dauernd Freude machen kann.

Wenn auch niemand in der Welt ernstlich daran zweifeln kann, daß der Ge¬
danke einer solchen Veredlung siegen wird, so ist dennoch die Sachlage heute noch
bedenklich genug, wenn man den geistigen Rückstand des Publikums dieser Be¬
wegung gegenüber ermißt. Die Frauen sind uns in dieser Sache bis auf
den heutigen Tag alles schuldig geblieben, was wir künstlerisch und im Geiste
einer edeln, gediegnen Arbeit, im Kampf um die Qualität von ihnen erwarten
durften. Ich kann nicht glauben, daß eine geistige Unfruchtbarkeit vorliegt,
ich will vielmehr annehmen, daß es nur einer energischen Aufforderung be¬
darf, die Frau zur Bundesgenossin in dieser edeln Sache zu machen. Denn
so viel scheint mir gewiß, daß der Kampf der Frau um die geistige Gleich¬
berechtigung und um die daraus entspringenden soziale", politischen und wirt¬
schaftlichen Rechte nicht mit Erfolg geführt werden kann, wenn sich die Frauen
nicht entschlossen und befähigt zeigen, in der bedeutsamsten Kulturbewegung
des zwanzigsten Jahrhunderts ein Echo zu geben. Man werfe doch einmal
einen Blick in die Legion von Frauenzeitungen und Haushaltblättchen, die zu
Hunderttausenden im Volke abgesetzt werden, und man wird finden, daß kaum
noch ein erleuchtender Gedanke unsrer neuen und tiefeingreifenden bildsamen
Jdeenmacht in jene Niederungen hineingedrungen ist. Dort herrscht noch in
allen Fragen des Geschmacks und der Gestaltung eine geradezu babylonische
Verstündnislosigkeit, haarsträubende Geschmacksverwirrungen und eine betrübende
Verkennung aller sachlichen und ethischen Grundlagen unsrer Kulturarbeit.
Schundmäßigkeit ist die Marke. Es ist bekannt, daß sich jede Art von
Schund mit der Maske einer gewissen Modernität einschmuggelt, und daß die
Tagesmode darin das äußerste leistet. Modeneuheit hat in der Regel Schund¬
mäßigkeit zur Voraussetzung, und in der Modenarrheit machen alle diese Haus-
frauenblättchen getreulich mit.

Es ist klar, daß ein Frauenpublikum, das seinen Geschmack und seine
Ansprüche an die Erzeugung aus diesen trüben Quellen bezieht, nicht imstande
sein kann, auf die Produktion veredelnd zu wirken und vom Händler oder
vom Fabrikanten Qualität, das ist solide Arbeit, sachliche Gestaltung und
echtes Material zu erzwingen. Der findige Händler bequemt sich mit Leichtigkeit
dem Ungeschmack an, der ihm vielleicht persönlich näher liegt, weil er dadurch
die Neigung des Publikums zu erschmeicheln hofft, und zwingt seinerseits die
Industrie zur Qualitütsverminderung, zum Surrogatenwesen und zur Ver¬
schlechterung der Erzeugnisse, wofern nicht von Haus aus schon aus andern
Ursachen diese Neigung besteht. Nicht auf die Gediegenheit, sondern vor allem
auf den Reiz der Neuheit ist der Ehrgeiz gerichtet. Warum haben wir keine
lichtechten Stoffe? Der Fabrikant würde ganz bestimmt mit größerer Vorliebe


Sie Frau und das Runstgewerbe

trennbar ist, sind nicht nur die Hersteller, sondern auch die Verkäufer oder
Händler und vor allem auch die Käufer, das Publikum ethisch und wirtschaftlich
beteiligt, weil schlechte Qualität oder Schundware keinem Menschen, der etwas
auf sich hält, dauernd Freude machen kann.

Wenn auch niemand in der Welt ernstlich daran zweifeln kann, daß der Ge¬
danke einer solchen Veredlung siegen wird, so ist dennoch die Sachlage heute noch
bedenklich genug, wenn man den geistigen Rückstand des Publikums dieser Be¬
wegung gegenüber ermißt. Die Frauen sind uns in dieser Sache bis auf
den heutigen Tag alles schuldig geblieben, was wir künstlerisch und im Geiste
einer edeln, gediegnen Arbeit, im Kampf um die Qualität von ihnen erwarten
durften. Ich kann nicht glauben, daß eine geistige Unfruchtbarkeit vorliegt,
ich will vielmehr annehmen, daß es nur einer energischen Aufforderung be¬
darf, die Frau zur Bundesgenossin in dieser edeln Sache zu machen. Denn
so viel scheint mir gewiß, daß der Kampf der Frau um die geistige Gleich¬
berechtigung und um die daraus entspringenden soziale», politischen und wirt¬
schaftlichen Rechte nicht mit Erfolg geführt werden kann, wenn sich die Frauen
nicht entschlossen und befähigt zeigen, in der bedeutsamsten Kulturbewegung
des zwanzigsten Jahrhunderts ein Echo zu geben. Man werfe doch einmal
einen Blick in die Legion von Frauenzeitungen und Haushaltblättchen, die zu
Hunderttausenden im Volke abgesetzt werden, und man wird finden, daß kaum
noch ein erleuchtender Gedanke unsrer neuen und tiefeingreifenden bildsamen
Jdeenmacht in jene Niederungen hineingedrungen ist. Dort herrscht noch in
allen Fragen des Geschmacks und der Gestaltung eine geradezu babylonische
Verstündnislosigkeit, haarsträubende Geschmacksverwirrungen und eine betrübende
Verkennung aller sachlichen und ethischen Grundlagen unsrer Kulturarbeit.
Schundmäßigkeit ist die Marke. Es ist bekannt, daß sich jede Art von
Schund mit der Maske einer gewissen Modernität einschmuggelt, und daß die
Tagesmode darin das äußerste leistet. Modeneuheit hat in der Regel Schund¬
mäßigkeit zur Voraussetzung, und in der Modenarrheit machen alle diese Haus-
frauenblättchen getreulich mit.

Es ist klar, daß ein Frauenpublikum, das seinen Geschmack und seine
Ansprüche an die Erzeugung aus diesen trüben Quellen bezieht, nicht imstande
sein kann, auf die Produktion veredelnd zu wirken und vom Händler oder
vom Fabrikanten Qualität, das ist solide Arbeit, sachliche Gestaltung und
echtes Material zu erzwingen. Der findige Händler bequemt sich mit Leichtigkeit
dem Ungeschmack an, der ihm vielleicht persönlich näher liegt, weil er dadurch
die Neigung des Publikums zu erschmeicheln hofft, und zwingt seinerseits die
Industrie zur Qualitütsverminderung, zum Surrogatenwesen und zur Ver¬
schlechterung der Erzeugnisse, wofern nicht von Haus aus schon aus andern
Ursachen diese Neigung besteht. Nicht auf die Gediegenheit, sondern vor allem
auf den Reiz der Neuheit ist der Ehrgeiz gerichtet. Warum haben wir keine
lichtechten Stoffe? Der Fabrikant würde ganz bestimmt mit größerer Vorliebe


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[0683] Sie Frau und das Runstgewerbe trennbar ist, sind nicht nur die Hersteller, sondern auch die Verkäufer oder Händler und vor allem auch die Käufer, das Publikum ethisch und wirtschaftlich beteiligt, weil schlechte Qualität oder Schundware keinem Menschen, der etwas auf sich hält, dauernd Freude machen kann. Wenn auch niemand in der Welt ernstlich daran zweifeln kann, daß der Ge¬ danke einer solchen Veredlung siegen wird, so ist dennoch die Sachlage heute noch bedenklich genug, wenn man den geistigen Rückstand des Publikums dieser Be¬ wegung gegenüber ermißt. Die Frauen sind uns in dieser Sache bis auf den heutigen Tag alles schuldig geblieben, was wir künstlerisch und im Geiste einer edeln, gediegnen Arbeit, im Kampf um die Qualität von ihnen erwarten durften. Ich kann nicht glauben, daß eine geistige Unfruchtbarkeit vorliegt, ich will vielmehr annehmen, daß es nur einer energischen Aufforderung be¬ darf, die Frau zur Bundesgenossin in dieser edeln Sache zu machen. Denn so viel scheint mir gewiß, daß der Kampf der Frau um die geistige Gleich¬ berechtigung und um die daraus entspringenden soziale», politischen und wirt¬ schaftlichen Rechte nicht mit Erfolg geführt werden kann, wenn sich die Frauen nicht entschlossen und befähigt zeigen, in der bedeutsamsten Kulturbewegung des zwanzigsten Jahrhunderts ein Echo zu geben. Man werfe doch einmal einen Blick in die Legion von Frauenzeitungen und Haushaltblättchen, die zu Hunderttausenden im Volke abgesetzt werden, und man wird finden, daß kaum noch ein erleuchtender Gedanke unsrer neuen und tiefeingreifenden bildsamen Jdeenmacht in jene Niederungen hineingedrungen ist. Dort herrscht noch in allen Fragen des Geschmacks und der Gestaltung eine geradezu babylonische Verstündnislosigkeit, haarsträubende Geschmacksverwirrungen und eine betrübende Verkennung aller sachlichen und ethischen Grundlagen unsrer Kulturarbeit. Schundmäßigkeit ist die Marke. Es ist bekannt, daß sich jede Art von Schund mit der Maske einer gewissen Modernität einschmuggelt, und daß die Tagesmode darin das äußerste leistet. Modeneuheit hat in der Regel Schund¬ mäßigkeit zur Voraussetzung, und in der Modenarrheit machen alle diese Haus- frauenblättchen getreulich mit. Es ist klar, daß ein Frauenpublikum, das seinen Geschmack und seine Ansprüche an die Erzeugung aus diesen trüben Quellen bezieht, nicht imstande sein kann, auf die Produktion veredelnd zu wirken und vom Händler oder vom Fabrikanten Qualität, das ist solide Arbeit, sachliche Gestaltung und echtes Material zu erzwingen. Der findige Händler bequemt sich mit Leichtigkeit dem Ungeschmack an, der ihm vielleicht persönlich näher liegt, weil er dadurch die Neigung des Publikums zu erschmeicheln hofft, und zwingt seinerseits die Industrie zur Qualitütsverminderung, zum Surrogatenwesen und zur Ver¬ schlechterung der Erzeugnisse, wofern nicht von Haus aus schon aus andern Ursachen diese Neigung besteht. Nicht auf die Gediegenheit, sondern vor allem auf den Reiz der Neuheit ist der Ehrgeiz gerichtet. Warum haben wir keine lichtechten Stoffe? Der Fabrikant würde ganz bestimmt mit größerer Vorliebe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/683>, abgerufen am 06.02.2025.