Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Zukunft Ägyptens

ernennen wollte, dem Khediven das Recht des Verkehrs mit fremden Mächten
anders als durch die britische Agentur zu nehmen und dadurch die bei Seiner
Hoheit beglaubigten Generalkonsuln in Handelskonsuln zu verwandeln. Dadurch
würde sich nach und nach die vollständige Autokratie ohne jede Aufsicht heraus¬
gebildet haben, ein System, das kaum unter einem so edeln und hochgesinnten
Regenten, wie Lord Cromer, günstig gewirkt haben würde, geschweige denn
unter ganz anders gearteten Charakteren, wie sie unter seinen Nachfolgern doch
auftreten können.

Daß Dicey gerade dieser Seite der Regierungstätigkeit und politischen Be¬
strebungen Lord Cromers seine Zustimmung versagt, ist schon erwähnt worden.
Seine wiederholt ausgesprochne Ansicht geht dahin, daß die unbedingte Be¬
herrschung der Heerstraße nach Indien für die Wohlfahrt des britischen Reiches
unerläßlich sei, und daß aus diesem Grunde England berechtigt sein müsse,
Ägypten so lange besetzt zu halten, bis das Protektorat aufhört, im wesentlichen
Interesse Englands zu liegen. Daß Ägypten in absehbarer Zeit ein unab-
hängiger, selbständiger Staat werden könne, glaubt er nicht. Sollte aus irgend¬
einem Grunde die britische Besetzung Ägyptens ein Ende finden, so würde eine
andre Macht in ihre Fußtapfen treten. Ägypten ist zu reich und einem Angriff
zu sehr ausgesetzt, als daß es allein stehn könnte; muß es aber unter fremdem
Schutz stehn, so, glaubt Dicey, kann es von keiner andern Großmacht besser
geschützt werden als von England.

Es handelt sich also zum Schluß nur noch darum, zu zeigen, wie sich
Dicey in Zukunft die Regierung und Verwaltung Ägyptens denkt. Nach seiner
Ansicht, die sich auf dem Gefühl schwerer übernommner Pflichten und vollster
Verantwortung gegenüber dem besetzten fremden Lande und seinen Einwohnern
aufbaut, darf die von niemand geglaubte Täuschung nicht länger aufrecht
erhalten werden, die Engländer seien nach Ägypten gekommen und blieben dort
einzig und allein zum Besten des Landes. Die eingeborne Bevölkerung mag
Wohl einsehn gelernt haben, daß die englische Verwaltung ihres Landes ihr viele
Vorteile gebracht hat. Sie wird aus diesem Grunde die Entfernung der Eng¬
länder nicht etwa geradezu wünschen. Es darf aber nie vergessen werden, daß
in Ägypten die Religion eine ganz andre Rolle spielt als in Europa, und daß
der im verborgnen ruhende Fanatismus auch gelegentlich wieder zum Vorschein
kommen kann. Darum muß es einer der ersten Grundsätze staatskluger Leitung
der Dinge in Ägypten, und in noch höherm Maße im Sudan, sein, ohne Grund
der an sich friedlichen Bevölkerung keinen Anlaß zu dem Verdacht zu geben,
man wolle die geheiligten Sitten und Gebräuche des Islams antasten.

Abgesehn aber von den Bewässerungsanlagen, deren Nutzen die Fellachen
einzusehn vermögen, erregen die von englischer Seite beabsichtigten Reformen
Argwohn; man vermutet in ihnen Angriffe gegen die Hoheit des Korans. Ein
konservativer Glauben ist jedem Wechsel abgeneigt; eine Neuerung wird um so
weniger wohlwollend aufgenommen, wenn fremde, der Sprache des Landes


Die Zukunft Ägyptens

ernennen wollte, dem Khediven das Recht des Verkehrs mit fremden Mächten
anders als durch die britische Agentur zu nehmen und dadurch die bei Seiner
Hoheit beglaubigten Generalkonsuln in Handelskonsuln zu verwandeln. Dadurch
würde sich nach und nach die vollständige Autokratie ohne jede Aufsicht heraus¬
gebildet haben, ein System, das kaum unter einem so edeln und hochgesinnten
Regenten, wie Lord Cromer, günstig gewirkt haben würde, geschweige denn
unter ganz anders gearteten Charakteren, wie sie unter seinen Nachfolgern doch
auftreten können.

Daß Dicey gerade dieser Seite der Regierungstätigkeit und politischen Be¬
strebungen Lord Cromers seine Zustimmung versagt, ist schon erwähnt worden.
Seine wiederholt ausgesprochne Ansicht geht dahin, daß die unbedingte Be¬
herrschung der Heerstraße nach Indien für die Wohlfahrt des britischen Reiches
unerläßlich sei, und daß aus diesem Grunde England berechtigt sein müsse,
Ägypten so lange besetzt zu halten, bis das Protektorat aufhört, im wesentlichen
Interesse Englands zu liegen. Daß Ägypten in absehbarer Zeit ein unab-
hängiger, selbständiger Staat werden könne, glaubt er nicht. Sollte aus irgend¬
einem Grunde die britische Besetzung Ägyptens ein Ende finden, so würde eine
andre Macht in ihre Fußtapfen treten. Ägypten ist zu reich und einem Angriff
zu sehr ausgesetzt, als daß es allein stehn könnte; muß es aber unter fremdem
Schutz stehn, so, glaubt Dicey, kann es von keiner andern Großmacht besser
geschützt werden als von England.

Es handelt sich also zum Schluß nur noch darum, zu zeigen, wie sich
Dicey in Zukunft die Regierung und Verwaltung Ägyptens denkt. Nach seiner
Ansicht, die sich auf dem Gefühl schwerer übernommner Pflichten und vollster
Verantwortung gegenüber dem besetzten fremden Lande und seinen Einwohnern
aufbaut, darf die von niemand geglaubte Täuschung nicht länger aufrecht
erhalten werden, die Engländer seien nach Ägypten gekommen und blieben dort
einzig und allein zum Besten des Landes. Die eingeborne Bevölkerung mag
Wohl einsehn gelernt haben, daß die englische Verwaltung ihres Landes ihr viele
Vorteile gebracht hat. Sie wird aus diesem Grunde die Entfernung der Eng¬
länder nicht etwa geradezu wünschen. Es darf aber nie vergessen werden, daß
in Ägypten die Religion eine ganz andre Rolle spielt als in Europa, und daß
der im verborgnen ruhende Fanatismus auch gelegentlich wieder zum Vorschein
kommen kann. Darum muß es einer der ersten Grundsätze staatskluger Leitung
der Dinge in Ägypten, und in noch höherm Maße im Sudan, sein, ohne Grund
der an sich friedlichen Bevölkerung keinen Anlaß zu dem Verdacht zu geben,
man wolle die geheiligten Sitten und Gebräuche des Islams antasten.

Abgesehn aber von den Bewässerungsanlagen, deren Nutzen die Fellachen
einzusehn vermögen, erregen die von englischer Seite beabsichtigten Reformen
Argwohn; man vermutet in ihnen Angriffe gegen die Hoheit des Korans. Ein
konservativer Glauben ist jedem Wechsel abgeneigt; eine Neuerung wird um so
weniger wohlwollend aufgenommen, wenn fremde, der Sprache des Landes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0667" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302655"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Zukunft Ägyptens</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2912" prev="#ID_2911"> ernennen wollte, dem Khediven das Recht des Verkehrs mit fremden Mächten<lb/>
anders als durch die britische Agentur zu nehmen und dadurch die bei Seiner<lb/>
Hoheit beglaubigten Generalkonsuln in Handelskonsuln zu verwandeln. Dadurch<lb/>
würde sich nach und nach die vollständige Autokratie ohne jede Aufsicht heraus¬<lb/>
gebildet haben, ein System, das kaum unter einem so edeln und hochgesinnten<lb/>
Regenten, wie Lord Cromer, günstig gewirkt haben würde, geschweige denn<lb/>
unter ganz anders gearteten Charakteren, wie sie unter seinen Nachfolgern doch<lb/>
auftreten können.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2913"> Daß Dicey gerade dieser Seite der Regierungstätigkeit und politischen Be¬<lb/>
strebungen Lord Cromers seine Zustimmung versagt, ist schon erwähnt worden.<lb/>
Seine wiederholt ausgesprochne Ansicht geht dahin, daß die unbedingte Be¬<lb/>
herrschung der Heerstraße nach Indien für die Wohlfahrt des britischen Reiches<lb/>
unerläßlich sei, und daß aus diesem Grunde England berechtigt sein müsse,<lb/>
Ägypten so lange besetzt zu halten, bis das Protektorat aufhört, im wesentlichen<lb/>
Interesse Englands zu liegen. Daß Ägypten in absehbarer Zeit ein unab-<lb/>
hängiger, selbständiger Staat werden könne, glaubt er nicht. Sollte aus irgend¬<lb/>
einem Grunde die britische Besetzung Ägyptens ein Ende finden, so würde eine<lb/>
andre Macht in ihre Fußtapfen treten. Ägypten ist zu reich und einem Angriff<lb/>
zu sehr ausgesetzt, als daß es allein stehn könnte; muß es aber unter fremdem<lb/>
Schutz stehn, so, glaubt Dicey, kann es von keiner andern Großmacht besser<lb/>
geschützt werden als von England.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2914"> Es handelt sich also zum Schluß nur noch darum, zu zeigen, wie sich<lb/>
Dicey in Zukunft die Regierung und Verwaltung Ägyptens denkt. Nach seiner<lb/>
Ansicht, die sich auf dem Gefühl schwerer übernommner Pflichten und vollster<lb/>
Verantwortung gegenüber dem besetzten fremden Lande und seinen Einwohnern<lb/>
aufbaut, darf die von niemand geglaubte Täuschung nicht länger aufrecht<lb/>
erhalten werden, die Engländer seien nach Ägypten gekommen und blieben dort<lb/>
einzig und allein zum Besten des Landes.  Die eingeborne Bevölkerung mag<lb/>
Wohl einsehn gelernt haben, daß die englische Verwaltung ihres Landes ihr viele<lb/>
Vorteile gebracht hat. Sie wird aus diesem Grunde die Entfernung der Eng¬<lb/>
länder nicht etwa geradezu wünschen. Es darf aber nie vergessen werden, daß<lb/>
in Ägypten die Religion eine ganz andre Rolle spielt als in Europa, und daß<lb/>
der im verborgnen ruhende Fanatismus auch gelegentlich wieder zum Vorschein<lb/>
kommen kann. Darum muß es einer der ersten Grundsätze staatskluger Leitung<lb/>
der Dinge in Ägypten, und in noch höherm Maße im Sudan, sein, ohne Grund<lb/>
der an sich friedlichen Bevölkerung keinen Anlaß zu dem Verdacht zu geben,<lb/>
man wolle die geheiligten Sitten und Gebräuche des Islams antasten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2915" next="#ID_2916"> Abgesehn aber von den Bewässerungsanlagen, deren Nutzen die Fellachen<lb/>
einzusehn vermögen, erregen die von englischer Seite beabsichtigten Reformen<lb/>
Argwohn; man vermutet in ihnen Angriffe gegen die Hoheit des Korans. Ein<lb/>
konservativer Glauben ist jedem Wechsel abgeneigt; eine Neuerung wird um so<lb/>
weniger wohlwollend aufgenommen, wenn fremde, der Sprache des Landes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0667] Die Zukunft Ägyptens ernennen wollte, dem Khediven das Recht des Verkehrs mit fremden Mächten anders als durch die britische Agentur zu nehmen und dadurch die bei Seiner Hoheit beglaubigten Generalkonsuln in Handelskonsuln zu verwandeln. Dadurch würde sich nach und nach die vollständige Autokratie ohne jede Aufsicht heraus¬ gebildet haben, ein System, das kaum unter einem so edeln und hochgesinnten Regenten, wie Lord Cromer, günstig gewirkt haben würde, geschweige denn unter ganz anders gearteten Charakteren, wie sie unter seinen Nachfolgern doch auftreten können. Daß Dicey gerade dieser Seite der Regierungstätigkeit und politischen Be¬ strebungen Lord Cromers seine Zustimmung versagt, ist schon erwähnt worden. Seine wiederholt ausgesprochne Ansicht geht dahin, daß die unbedingte Be¬ herrschung der Heerstraße nach Indien für die Wohlfahrt des britischen Reiches unerläßlich sei, und daß aus diesem Grunde England berechtigt sein müsse, Ägypten so lange besetzt zu halten, bis das Protektorat aufhört, im wesentlichen Interesse Englands zu liegen. Daß Ägypten in absehbarer Zeit ein unab- hängiger, selbständiger Staat werden könne, glaubt er nicht. Sollte aus irgend¬ einem Grunde die britische Besetzung Ägyptens ein Ende finden, so würde eine andre Macht in ihre Fußtapfen treten. Ägypten ist zu reich und einem Angriff zu sehr ausgesetzt, als daß es allein stehn könnte; muß es aber unter fremdem Schutz stehn, so, glaubt Dicey, kann es von keiner andern Großmacht besser geschützt werden als von England. Es handelt sich also zum Schluß nur noch darum, zu zeigen, wie sich Dicey in Zukunft die Regierung und Verwaltung Ägyptens denkt. Nach seiner Ansicht, die sich auf dem Gefühl schwerer übernommner Pflichten und vollster Verantwortung gegenüber dem besetzten fremden Lande und seinen Einwohnern aufbaut, darf die von niemand geglaubte Täuschung nicht länger aufrecht erhalten werden, die Engländer seien nach Ägypten gekommen und blieben dort einzig und allein zum Besten des Landes. Die eingeborne Bevölkerung mag Wohl einsehn gelernt haben, daß die englische Verwaltung ihres Landes ihr viele Vorteile gebracht hat. Sie wird aus diesem Grunde die Entfernung der Eng¬ länder nicht etwa geradezu wünschen. Es darf aber nie vergessen werden, daß in Ägypten die Religion eine ganz andre Rolle spielt als in Europa, und daß der im verborgnen ruhende Fanatismus auch gelegentlich wieder zum Vorschein kommen kann. Darum muß es einer der ersten Grundsätze staatskluger Leitung der Dinge in Ägypten, und in noch höherm Maße im Sudan, sein, ohne Grund der an sich friedlichen Bevölkerung keinen Anlaß zu dem Verdacht zu geben, man wolle die geheiligten Sitten und Gebräuche des Islams antasten. Abgesehn aber von den Bewässerungsanlagen, deren Nutzen die Fellachen einzusehn vermögen, erregen die von englischer Seite beabsichtigten Reformen Argwohn; man vermutet in ihnen Angriffe gegen die Hoheit des Korans. Ein konservativer Glauben ist jedem Wechsel abgeneigt; eine Neuerung wird um so weniger wohlwollend aufgenommen, wenn fremde, der Sprache des Landes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/667
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/667>, abgerufen am 06.02.2025.