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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Die Zukunft Ägyptens

Das wichtigste Bindeglied im Osten für die verschiednen Rassen aber ist
ebenso wie für die einzelnen Individuen der gemeinsame Glaube, die gleiche
Religionsübung. Er läßt auch keinerlei Dankbarkeit für Wohltaten auf dem
Gebiete staatlicher Ordnung und Zivilisation aufkommen. Durch dieses Band
des gemeinsamen Glaubens fühlen sich Mauren, Malaien, Sudanesen, Tunesier
enger verbunden als ein paar an demselben Ort und in derselben Beschäftigung
lebende Fellachen, von denen der eine Mohammedaner, der andre Köpke ist.
Diese Glaubensgemeinschaft ist ein überaus enges Band, von dessen Festigkeit
man sich in Europa höchstens vielleicht in slawischen Gebieten eine Vorstellung
machen kann.

In Ägypten selbst haben die letzten Monate eine Reihe von Anzeichen
deutlicher Unzufriedenheit unter der mohammedanischen Bevölkerung gebracht;
die Unruhen in Alexandrien, der Anschlag auf das Arsenal in Khartum, der
Angriff früherer sudanesischer Soldaten des Khalifen auf eine von englisch-
ägyptischen Soldaten besetzte Örtlichkeit, die plötzliche Besetzung von Akaba durch
türkische Truppen sind alles zum Teil Zeichen der Unzufriedenheit mit unan¬
genehmen und unvolkstümlichen Reformen oder noch mehr Zeichen des gemein¬
samen Glaubens aller ägyptischen Anhänger des Propheten, der in Abdul Hamid
verchrungsvoll das Haupt des Islams sieht.

Sobald Lord Cromer den Ernst der Lage erkannt hatte, handelte er mit
einer Raschheit und mit einer mutigen, zielbewußter Entschlossenheit, die den
Dank Englands verdienen. Die Lage der Engländer in Ägypten kann auch nur
dann als kritisch erachtet werden, wenn je die Negierung Zweifel an ihrer festen
Entschlossenheit aufkommen ließe. Aber ebenso ist es für alle christlichen Mächte,
die Besitzungen, Einflnßgebiete oder Protektorate im dunkeln Erdteil haben, eine
Lebensfrage, daß sie gemeinsame Sache machen gegen jede Glaubenserhebung
in irgendeinem Teile von Afrika, mögen sie noch so fern sein von dem un¬
mittelbaren Schauplatz eines Streites zwischen Kreuz und Halbmond. In Betracht
kommen hier nur vier europäische Großmächte: England, Frankreich, Italien
und Deutschland. Sie zu einer Art von paneuropäischer Liga zum Schutz der
christlichen Niederlassungen in mohammedanischen Ländern zu vereinigen, wird
die größte Schwierigkeit haben. Aber schon die Anerkennung des Satzes, daß
eine mohammedanische Erhebung in irgendeinem Staat eine gemeinsame Gefahr
für alle ist, ist wertvoll, aber auch notwendig. Diese europäischen Staaten sollten
deshalb jeden Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten aus dem Wege zu schaffen
suchen. England und Frankreich werden zurzeit durch ein Band gemeinsamer
Politik geeint. Die Haltung der beiden andern Mächte wird von dem Verhalten
der beiden Freunde ihnen gegenüber abhängen. Mögen auch die Beziehungen
Frankreichs zu Deutschland einer Annäherung weniger günstig sein, so hat doch
England ein starkes persönliches Interesse ein der aufrichtigen Teilnahme Deutsch¬
lands an seinen Bestrebungen, ein Wiederaufflammen des mohammedanischen
Fanatismus zu bekämpfen.


Die Zukunft Ägyptens

Das wichtigste Bindeglied im Osten für die verschiednen Rassen aber ist
ebenso wie für die einzelnen Individuen der gemeinsame Glaube, die gleiche
Religionsübung. Er läßt auch keinerlei Dankbarkeit für Wohltaten auf dem
Gebiete staatlicher Ordnung und Zivilisation aufkommen. Durch dieses Band
des gemeinsamen Glaubens fühlen sich Mauren, Malaien, Sudanesen, Tunesier
enger verbunden als ein paar an demselben Ort und in derselben Beschäftigung
lebende Fellachen, von denen der eine Mohammedaner, der andre Köpke ist.
Diese Glaubensgemeinschaft ist ein überaus enges Band, von dessen Festigkeit
man sich in Europa höchstens vielleicht in slawischen Gebieten eine Vorstellung
machen kann.

In Ägypten selbst haben die letzten Monate eine Reihe von Anzeichen
deutlicher Unzufriedenheit unter der mohammedanischen Bevölkerung gebracht;
die Unruhen in Alexandrien, der Anschlag auf das Arsenal in Khartum, der
Angriff früherer sudanesischer Soldaten des Khalifen auf eine von englisch-
ägyptischen Soldaten besetzte Örtlichkeit, die plötzliche Besetzung von Akaba durch
türkische Truppen sind alles zum Teil Zeichen der Unzufriedenheit mit unan¬
genehmen und unvolkstümlichen Reformen oder noch mehr Zeichen des gemein¬
samen Glaubens aller ägyptischen Anhänger des Propheten, der in Abdul Hamid
verchrungsvoll das Haupt des Islams sieht.

Sobald Lord Cromer den Ernst der Lage erkannt hatte, handelte er mit
einer Raschheit und mit einer mutigen, zielbewußter Entschlossenheit, die den
Dank Englands verdienen. Die Lage der Engländer in Ägypten kann auch nur
dann als kritisch erachtet werden, wenn je die Negierung Zweifel an ihrer festen
Entschlossenheit aufkommen ließe. Aber ebenso ist es für alle christlichen Mächte,
die Besitzungen, Einflnßgebiete oder Protektorate im dunkeln Erdteil haben, eine
Lebensfrage, daß sie gemeinsame Sache machen gegen jede Glaubenserhebung
in irgendeinem Teile von Afrika, mögen sie noch so fern sein von dem un¬
mittelbaren Schauplatz eines Streites zwischen Kreuz und Halbmond. In Betracht
kommen hier nur vier europäische Großmächte: England, Frankreich, Italien
und Deutschland. Sie zu einer Art von paneuropäischer Liga zum Schutz der
christlichen Niederlassungen in mohammedanischen Ländern zu vereinigen, wird
die größte Schwierigkeit haben. Aber schon die Anerkennung des Satzes, daß
eine mohammedanische Erhebung in irgendeinem Staat eine gemeinsame Gefahr
für alle ist, ist wertvoll, aber auch notwendig. Diese europäischen Staaten sollten
deshalb jeden Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten aus dem Wege zu schaffen
suchen. England und Frankreich werden zurzeit durch ein Band gemeinsamer
Politik geeint. Die Haltung der beiden andern Mächte wird von dem Verhalten
der beiden Freunde ihnen gegenüber abhängen. Mögen auch die Beziehungen
Frankreichs zu Deutschland einer Annäherung weniger günstig sein, so hat doch
England ein starkes persönliches Interesse ein der aufrichtigen Teilnahme Deutsch¬
lands an seinen Bestrebungen, ein Wiederaufflammen des mohammedanischen
Fanatismus zu bekämpfen.


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[0665] Die Zukunft Ägyptens Das wichtigste Bindeglied im Osten für die verschiednen Rassen aber ist ebenso wie für die einzelnen Individuen der gemeinsame Glaube, die gleiche Religionsübung. Er läßt auch keinerlei Dankbarkeit für Wohltaten auf dem Gebiete staatlicher Ordnung und Zivilisation aufkommen. Durch dieses Band des gemeinsamen Glaubens fühlen sich Mauren, Malaien, Sudanesen, Tunesier enger verbunden als ein paar an demselben Ort und in derselben Beschäftigung lebende Fellachen, von denen der eine Mohammedaner, der andre Köpke ist. Diese Glaubensgemeinschaft ist ein überaus enges Band, von dessen Festigkeit man sich in Europa höchstens vielleicht in slawischen Gebieten eine Vorstellung machen kann. In Ägypten selbst haben die letzten Monate eine Reihe von Anzeichen deutlicher Unzufriedenheit unter der mohammedanischen Bevölkerung gebracht; die Unruhen in Alexandrien, der Anschlag auf das Arsenal in Khartum, der Angriff früherer sudanesischer Soldaten des Khalifen auf eine von englisch- ägyptischen Soldaten besetzte Örtlichkeit, die plötzliche Besetzung von Akaba durch türkische Truppen sind alles zum Teil Zeichen der Unzufriedenheit mit unan¬ genehmen und unvolkstümlichen Reformen oder noch mehr Zeichen des gemein¬ samen Glaubens aller ägyptischen Anhänger des Propheten, der in Abdul Hamid verchrungsvoll das Haupt des Islams sieht. Sobald Lord Cromer den Ernst der Lage erkannt hatte, handelte er mit einer Raschheit und mit einer mutigen, zielbewußter Entschlossenheit, die den Dank Englands verdienen. Die Lage der Engländer in Ägypten kann auch nur dann als kritisch erachtet werden, wenn je die Negierung Zweifel an ihrer festen Entschlossenheit aufkommen ließe. Aber ebenso ist es für alle christlichen Mächte, die Besitzungen, Einflnßgebiete oder Protektorate im dunkeln Erdteil haben, eine Lebensfrage, daß sie gemeinsame Sache machen gegen jede Glaubenserhebung in irgendeinem Teile von Afrika, mögen sie noch so fern sein von dem un¬ mittelbaren Schauplatz eines Streites zwischen Kreuz und Halbmond. In Betracht kommen hier nur vier europäische Großmächte: England, Frankreich, Italien und Deutschland. Sie zu einer Art von paneuropäischer Liga zum Schutz der christlichen Niederlassungen in mohammedanischen Ländern zu vereinigen, wird die größte Schwierigkeit haben. Aber schon die Anerkennung des Satzes, daß eine mohammedanische Erhebung in irgendeinem Staat eine gemeinsame Gefahr für alle ist, ist wertvoll, aber auch notwendig. Diese europäischen Staaten sollten deshalb jeden Anlaß zu Meinungsverschiedenheiten aus dem Wege zu schaffen suchen. England und Frankreich werden zurzeit durch ein Band gemeinsamer Politik geeint. Die Haltung der beiden andern Mächte wird von dem Verhalten der beiden Freunde ihnen gegenüber abhängen. Mögen auch die Beziehungen Frankreichs zu Deutschland einer Annäherung weniger günstig sein, so hat doch England ein starkes persönliches Interesse ein der aufrichtigen Teilnahme Deutsch¬ lands an seinen Bestrebungen, ein Wiederaufflammen des mohammedanischen Fanatismus zu bekämpfen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/665>, abgerufen am 06.02.2025.