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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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l^ans von Kleist-Äetzow

Mit Bismarck und den übrigen Gesinnungsgenossen zusammen betrieb
Kleist im "Junkerparlament", in der Kreuzzeitung und im Landtage eifrig die
Reaktion. In Berlin und in Erfurt (Bismarck wurde in das Volkshaus des
Erfurter Parlaments gewählt, Kleist zum Mitgliede des Staatenhauses ernannt)
wohnte Bismarck mit dem nur vier Monate ältern Schwiegeronkel zusammen.
Abgesehen von der konservativ-monarchischen Gesinnung und dem Eisenkopf,
dessen sich beide erfreuten, waren Otto der Große und Pippin der Kleine, wie
sie einander, nicht ohne Beimischung von Ernst, scherzend nannten, so unähnlich
wie möglich, lebten aber in einer recht glücklichen Ehe miteinander, über die
Bismarck wunderhübsch an seine Frau berichtet; sogar zu einem langen Ge¬
dichte an "Hänschen", den "grauen Onkel", schwang er sich auf. Wenn dieser
ihn zum Gebet und in die Kirche kommandieren wollte, gab ihm Bismarck mit
liebenswürdigem Humor zu verstehen, daß er sich im Ton vergreife. Durch
ihren Lebenslauf auseinandergeführt, trafen sie sich aufs neue in der parla¬
mentarischen Arena, als Bismarck Minister geworden war. Diesesmal jedoch
kämpften sie nicht Schulter an Schulter, sondern rannten mit ihren Eisenköpfen
gegeneinander. Schon in der Konfliktzeit schien es dem starren Prinzipien¬
menschen Kleist, daß sich der alte Freund vom Linken umgarnen lasse; die
Beantragung der Indemnität nach Beendigung des Krieges mißbilligte er ent¬
schieden, und ini Kulturkampf übernahm er die Führung der konservativen
Opposition. Zivilehe und weltliche Schulaufsicht waren ihm ein Greuel. Wie
nur je ein katholischer Bischof, war er überzeugt, daß Christus mit den
Worten "Weide meine Lämmer" der Kirche die Schulaufsicht übertragen habe.
Als über die widerspenstigen katholischen Geistlichen die Temporaliensperre
verhängt wurde, meinte er (es gehörte keine große Prophetengabe sondern nur
ein bißchen praktische Psychologie zu dieser Voraussagmig): anstatt wie man
beabsichtige, das Zentrum zu sprengen, werde man durch dieses ewige Hiuein-
zerren von Kirchenangelegenheiten in die Gesetzgebung die Wirkung erzielen,
daß man zu dem katholischen Zentrum noch eine evangelische Partei bekomme.
.Künftige Biographen Bismarcks werden dem Abschnitte des Buches, der diesen
Konflikt behandelt, wertvolle Ergänzungen der schon bekannten Quellen ent¬
nehmen können.

Die Attentate des Jahres 1878 versöhnten die beiden Gegner. Kleist
war sofort entschieden für das Sozialistengesetz, obwohl er als tief religiöser
Mensch in Zwangsmaßregeln kein Heilmittel, sondern nur einen Notbehelf sehen
konnte. An seine Söhne schrieb er nach dem Falle des ersten Entwurfs und
der Neichstagsauflösung: "Es ist ja gewiß richtig, daß ein solches Gesetz den
Schaden nicht heilt, und es ist betrübend, wenn bei solchen Ereignissen und
Erscheinungen nicht zunächst und allgemein ans deren Ursachen zurückgegangen
und versucht wird, die Quellen zu verstopfen. Die Hauptursache bleibt Mangel
des Einflusses der Kirche auf die Massen, und darin wieder ein Doppeltes -'
Schwäche der Kirche selbst, und die Geringschätzung, mit der der Staat die


l^ans von Kleist-Äetzow

Mit Bismarck und den übrigen Gesinnungsgenossen zusammen betrieb
Kleist im „Junkerparlament", in der Kreuzzeitung und im Landtage eifrig die
Reaktion. In Berlin und in Erfurt (Bismarck wurde in das Volkshaus des
Erfurter Parlaments gewählt, Kleist zum Mitgliede des Staatenhauses ernannt)
wohnte Bismarck mit dem nur vier Monate ältern Schwiegeronkel zusammen.
Abgesehen von der konservativ-monarchischen Gesinnung und dem Eisenkopf,
dessen sich beide erfreuten, waren Otto der Große und Pippin der Kleine, wie
sie einander, nicht ohne Beimischung von Ernst, scherzend nannten, so unähnlich
wie möglich, lebten aber in einer recht glücklichen Ehe miteinander, über die
Bismarck wunderhübsch an seine Frau berichtet; sogar zu einem langen Ge¬
dichte an „Hänschen", den „grauen Onkel", schwang er sich auf. Wenn dieser
ihn zum Gebet und in die Kirche kommandieren wollte, gab ihm Bismarck mit
liebenswürdigem Humor zu verstehen, daß er sich im Ton vergreife. Durch
ihren Lebenslauf auseinandergeführt, trafen sie sich aufs neue in der parla¬
mentarischen Arena, als Bismarck Minister geworden war. Diesesmal jedoch
kämpften sie nicht Schulter an Schulter, sondern rannten mit ihren Eisenköpfen
gegeneinander. Schon in der Konfliktzeit schien es dem starren Prinzipien¬
menschen Kleist, daß sich der alte Freund vom Linken umgarnen lasse; die
Beantragung der Indemnität nach Beendigung des Krieges mißbilligte er ent¬
schieden, und ini Kulturkampf übernahm er die Führung der konservativen
Opposition. Zivilehe und weltliche Schulaufsicht waren ihm ein Greuel. Wie
nur je ein katholischer Bischof, war er überzeugt, daß Christus mit den
Worten „Weide meine Lämmer" der Kirche die Schulaufsicht übertragen habe.
Als über die widerspenstigen katholischen Geistlichen die Temporaliensperre
verhängt wurde, meinte er (es gehörte keine große Prophetengabe sondern nur
ein bißchen praktische Psychologie zu dieser Voraussagmig): anstatt wie man
beabsichtige, das Zentrum zu sprengen, werde man durch dieses ewige Hiuein-
zerren von Kirchenangelegenheiten in die Gesetzgebung die Wirkung erzielen,
daß man zu dem katholischen Zentrum noch eine evangelische Partei bekomme.
.Künftige Biographen Bismarcks werden dem Abschnitte des Buches, der diesen
Konflikt behandelt, wertvolle Ergänzungen der schon bekannten Quellen ent¬
nehmen können.

Die Attentate des Jahres 1878 versöhnten die beiden Gegner. Kleist
war sofort entschieden für das Sozialistengesetz, obwohl er als tief religiöser
Mensch in Zwangsmaßregeln kein Heilmittel, sondern nur einen Notbehelf sehen
konnte. An seine Söhne schrieb er nach dem Falle des ersten Entwurfs und
der Neichstagsauflösung: „Es ist ja gewiß richtig, daß ein solches Gesetz den
Schaden nicht heilt, und es ist betrübend, wenn bei solchen Ereignissen und
Erscheinungen nicht zunächst und allgemein ans deren Ursachen zurückgegangen
und versucht wird, die Quellen zu verstopfen. Die Hauptursache bleibt Mangel
des Einflusses der Kirche auf die Massen, und darin wieder ein Doppeltes -'
Schwäche der Kirche selbst, und die Geringschätzung, mit der der Staat die


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[0626] l^ans von Kleist-Äetzow Mit Bismarck und den übrigen Gesinnungsgenossen zusammen betrieb Kleist im „Junkerparlament", in der Kreuzzeitung und im Landtage eifrig die Reaktion. In Berlin und in Erfurt (Bismarck wurde in das Volkshaus des Erfurter Parlaments gewählt, Kleist zum Mitgliede des Staatenhauses ernannt) wohnte Bismarck mit dem nur vier Monate ältern Schwiegeronkel zusammen. Abgesehen von der konservativ-monarchischen Gesinnung und dem Eisenkopf, dessen sich beide erfreuten, waren Otto der Große und Pippin der Kleine, wie sie einander, nicht ohne Beimischung von Ernst, scherzend nannten, so unähnlich wie möglich, lebten aber in einer recht glücklichen Ehe miteinander, über die Bismarck wunderhübsch an seine Frau berichtet; sogar zu einem langen Ge¬ dichte an „Hänschen", den „grauen Onkel", schwang er sich auf. Wenn dieser ihn zum Gebet und in die Kirche kommandieren wollte, gab ihm Bismarck mit liebenswürdigem Humor zu verstehen, daß er sich im Ton vergreife. Durch ihren Lebenslauf auseinandergeführt, trafen sie sich aufs neue in der parla¬ mentarischen Arena, als Bismarck Minister geworden war. Diesesmal jedoch kämpften sie nicht Schulter an Schulter, sondern rannten mit ihren Eisenköpfen gegeneinander. Schon in der Konfliktzeit schien es dem starren Prinzipien¬ menschen Kleist, daß sich der alte Freund vom Linken umgarnen lasse; die Beantragung der Indemnität nach Beendigung des Krieges mißbilligte er ent¬ schieden, und ini Kulturkampf übernahm er die Führung der konservativen Opposition. Zivilehe und weltliche Schulaufsicht waren ihm ein Greuel. Wie nur je ein katholischer Bischof, war er überzeugt, daß Christus mit den Worten „Weide meine Lämmer" der Kirche die Schulaufsicht übertragen habe. Als über die widerspenstigen katholischen Geistlichen die Temporaliensperre verhängt wurde, meinte er (es gehörte keine große Prophetengabe sondern nur ein bißchen praktische Psychologie zu dieser Voraussagmig): anstatt wie man beabsichtige, das Zentrum zu sprengen, werde man durch dieses ewige Hiuein- zerren von Kirchenangelegenheiten in die Gesetzgebung die Wirkung erzielen, daß man zu dem katholischen Zentrum noch eine evangelische Partei bekomme. .Künftige Biographen Bismarcks werden dem Abschnitte des Buches, der diesen Konflikt behandelt, wertvolle Ergänzungen der schon bekannten Quellen ent¬ nehmen können. Die Attentate des Jahres 1878 versöhnten die beiden Gegner. Kleist war sofort entschieden für das Sozialistengesetz, obwohl er als tief religiöser Mensch in Zwangsmaßregeln kein Heilmittel, sondern nur einen Notbehelf sehen konnte. An seine Söhne schrieb er nach dem Falle des ersten Entwurfs und der Neichstagsauflösung: „Es ist ja gewiß richtig, daß ein solches Gesetz den Schaden nicht heilt, und es ist betrübend, wenn bei solchen Ereignissen und Erscheinungen nicht zunächst und allgemein ans deren Ursachen zurückgegangen und versucht wird, die Quellen zu verstopfen. Die Hauptursache bleibt Mangel des Einflusses der Kirche auf die Massen, und darin wieder ein Doppeltes -' Schwäche der Kirche selbst, und die Geringschätzung, mit der der Staat die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/626>, abgerufen am 06.02.2025.