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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Kamarilla?

n frühern Zeiten war das Denken die Bedingung des Schreibens.
Man dachte zuerst, und dann schrieb man, und man dachte
mehr, als man schrieb. Später, als sich mauches Technische
und auch manches Geistige änderte, wurde das Schreiben ein
Ersatz des Denkens. Man schrieb mehr, als man dachte, oder
man schrieb zuerst und dachte hinterher nichts. An Stelle der Gedanken
traten nun oftmals die Schlagworte -- bequeme leicht greifbare Handhaben,
dle der Mühe des Denkens entheben und den scheinbar charakteristischen
Klang an Stelle der präzisen Bedeutung zu geben pflegen. Das Wort ist
I" das große Allheilmittel, der beste Lückenbüßer; wer das Wort hat, kaun
Reh fest daran halten, wer den Namen seiner Krankheit kennt, fühlt sich ge¬
heilt. Aber die Worte, denen die Wirklichkeit keinen festen Sinn gibt, ver¬
brauchen schnell ihre Kraft -- und daher kommt dann dieser hastige Wechsel
großer Worte, die plötzlich aus einem Volk, einer Gruppe Menschen, einer
öffentlichen Meinung aufsteigen, eine Zeitlang herrschen und vergessen werden
Müssen, ehe sie wieder kommen können. Es ist noch nicht lange her, daß
über tausend Artikeln die Überschrift stand: "Das persönliche Regiment", und
null ist auf einmal "Kamarilla" der große Trost der Unglücklichen geworden,
d'e schreiben müssen. Nach einem Zusammenhange zu fragen, wäre Verlorne
Mühe, denn die verschwommne Vorstellung ist nicht wie der Verstand an die
^ogik gebunden und macht das Unmögliche möglich, nämlich zwei kontra-
dlktorischc Bestimmungen an demselben Objekte.

Kein Wort ist in den letzten Wochen so oft gebraucht und so wenig
präzisiert worden wie das Wort "Kamarilla". So wie es gebraucht wurde,
deckt dieses eine Wort sehr verschiedne Dinge. Man hat es gegen den Hof
des Kaisers gerichtet, ohne wesentlich verschiedne Bedeutungen zu trennen,
ohne darauf zu achten, daß die Vorstellung des Lesenden mit der des
Schreibenden zusammenfalle, ohne auch nur zu unterscheiden zwischen der
Existenz einer sogenannten Kamarilla und dem Versuche, eine zu bilden, zwischen
Macht oder Machtlosigkeit; trotz der von mancher Seite erfolgten nachdenklichen
Einschränkungen und Verwahrungen wird der, der diese Erörterungen verfolgt


Grenzboten II 1307 76


Kamarilla?

n frühern Zeiten war das Denken die Bedingung des Schreibens.
Man dachte zuerst, und dann schrieb man, und man dachte
mehr, als man schrieb. Später, als sich mauches Technische
und auch manches Geistige änderte, wurde das Schreiben ein
Ersatz des Denkens. Man schrieb mehr, als man dachte, oder
man schrieb zuerst und dachte hinterher nichts. An Stelle der Gedanken
traten nun oftmals die Schlagworte — bequeme leicht greifbare Handhaben,
dle der Mühe des Denkens entheben und den scheinbar charakteristischen
Klang an Stelle der präzisen Bedeutung zu geben pflegen. Das Wort ist
I« das große Allheilmittel, der beste Lückenbüßer; wer das Wort hat, kaun
Reh fest daran halten, wer den Namen seiner Krankheit kennt, fühlt sich ge¬
heilt. Aber die Worte, denen die Wirklichkeit keinen festen Sinn gibt, ver¬
brauchen schnell ihre Kraft — und daher kommt dann dieser hastige Wechsel
großer Worte, die plötzlich aus einem Volk, einer Gruppe Menschen, einer
öffentlichen Meinung aufsteigen, eine Zeitlang herrschen und vergessen werden
Müssen, ehe sie wieder kommen können. Es ist noch nicht lange her, daß
über tausend Artikeln die Überschrift stand: „Das persönliche Regiment", und
null ist auf einmal „Kamarilla" der große Trost der Unglücklichen geworden,
d'e schreiben müssen. Nach einem Zusammenhange zu fragen, wäre Verlorne
Mühe, denn die verschwommne Vorstellung ist nicht wie der Verstand an die
^ogik gebunden und macht das Unmögliche möglich, nämlich zwei kontra-
dlktorischc Bestimmungen an demselben Objekte.

Kein Wort ist in den letzten Wochen so oft gebraucht und so wenig
präzisiert worden wie das Wort „Kamarilla". So wie es gebraucht wurde,
deckt dieses eine Wort sehr verschiedne Dinge. Man hat es gegen den Hof
des Kaisers gerichtet, ohne wesentlich verschiedne Bedeutungen zu trennen,
ohne darauf zu achten, daß die Vorstellung des Lesenden mit der des
Schreibenden zusammenfalle, ohne auch nur zu unterscheiden zwischen der
Existenz einer sogenannten Kamarilla und dem Versuche, eine zu bilden, zwischen
Macht oder Machtlosigkeit; trotz der von mancher Seite erfolgten nachdenklichen
Einschränkungen und Verwahrungen wird der, der diese Erörterungen verfolgt


Grenzboten II 1307 76
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[0593] [Abbildung] Kamarilla? n frühern Zeiten war das Denken die Bedingung des Schreibens. Man dachte zuerst, und dann schrieb man, und man dachte mehr, als man schrieb. Später, als sich mauches Technische und auch manches Geistige änderte, wurde das Schreiben ein Ersatz des Denkens. Man schrieb mehr, als man dachte, oder man schrieb zuerst und dachte hinterher nichts. An Stelle der Gedanken traten nun oftmals die Schlagworte — bequeme leicht greifbare Handhaben, dle der Mühe des Denkens entheben und den scheinbar charakteristischen Klang an Stelle der präzisen Bedeutung zu geben pflegen. Das Wort ist I« das große Allheilmittel, der beste Lückenbüßer; wer das Wort hat, kaun Reh fest daran halten, wer den Namen seiner Krankheit kennt, fühlt sich ge¬ heilt. Aber die Worte, denen die Wirklichkeit keinen festen Sinn gibt, ver¬ brauchen schnell ihre Kraft — und daher kommt dann dieser hastige Wechsel großer Worte, die plötzlich aus einem Volk, einer Gruppe Menschen, einer öffentlichen Meinung aufsteigen, eine Zeitlang herrschen und vergessen werden Müssen, ehe sie wieder kommen können. Es ist noch nicht lange her, daß über tausend Artikeln die Überschrift stand: „Das persönliche Regiment", und null ist auf einmal „Kamarilla" der große Trost der Unglücklichen geworden, d'e schreiben müssen. Nach einem Zusammenhange zu fragen, wäre Verlorne Mühe, denn die verschwommne Vorstellung ist nicht wie der Verstand an die ^ogik gebunden und macht das Unmögliche möglich, nämlich zwei kontra- dlktorischc Bestimmungen an demselben Objekte. Kein Wort ist in den letzten Wochen so oft gebraucht und so wenig präzisiert worden wie das Wort „Kamarilla". So wie es gebraucht wurde, deckt dieses eine Wort sehr verschiedne Dinge. Man hat es gegen den Hof des Kaisers gerichtet, ohne wesentlich verschiedne Bedeutungen zu trennen, ohne darauf zu achten, daß die Vorstellung des Lesenden mit der des Schreibenden zusammenfalle, ohne auch nur zu unterscheiden zwischen der Existenz einer sogenannten Kamarilla und dem Versuche, eine zu bilden, zwischen Macht oder Machtlosigkeit; trotz der von mancher Seite erfolgten nachdenklichen Einschränkungen und Verwahrungen wird der, der diese Erörterungen verfolgt Grenzboten II 1307 76

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/593>, abgerufen am 05.02.2025.