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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Kamarilla?

hat, den Eindruck nicht los von dem häßlichen und giftigen Klang eines un¬
deutlichen, gedankenlos gesprochnen Wortes.

Das Wort "Kamarilla" kann sehr eng und sehr weit gefaßt werden.
Man kann einerseits jede Art von Beeinflussung, die nicht von den verant¬
wortlichen Ratgebern der Krone ausgeht, also die sogenannten unverantwort¬
lichen Einflüsse darunter versteh,?. Man kann andrerseits den Begriff ein¬
engen und auf seine wohl ursprüngliche Bedeutung zurückführen. Dann
könnte von Kamarilla nur dann die Rede sein, wenn die nächste Umgebung
eines Fürsten die eigentliche Herrschaft dadurch in Händen hält, daß sie die
Krankheit, Schwäche, die persönlichen Gewohnheiten und Begierden eines ent¬
arteten und königlicher Pflichten nicht mehr bewußten Monarchen unterstützt
und benützt. Zwischen den beiden Auffassungen sind viele Zwischenstufen und
ein weiter Spielraum, so weit, daß die eine mit der andern so gut wie nichts
mehr zu tun hat.

Die Geschichte gibt zahlreiche Beispiele, die den engern Begriff erläutern:
die deutlichsten und stärksten die Geschichte der römischen Kaiser von dem
Prütorianergeneral Sejcmus bis zu den Freigelassenen Neros, den Köchen des
Bitellius, den Astrologen Caraeallas. Vielleicht hätten manche gut getan, ehe
sie das Wort anwandten, den Sueton zu lesen und aus ihm zu erfahren, was
alles unter "Kamarilla" verstanden werden kann. Auch die Vergangenheit
andrer Monarchien gibt genaue Beispiele: der Orient, die Geschichte der rus¬
sischen Zaren, einzelne Könige aus dem Hause Valois. Ähnliches gab es
überall. Wer die Geschichte nicht liebt, wende sich an die Dichtung. Shake¬
speare schuf in "Richard II" ein klares Bild von Kamarilla. Alle diese Bei¬
spiele geben uns aber nicht nur die Erklärung des Begriffs, sondern auch
Lehren über die Bedingungen dieser Erscheinung. Wie mußte ein König, wie
ein Hof beschaffen sei", bei dem eine Kamarilla gedeihen konnte? Ihre Be¬
dingungen sind Abgeschlossenheit, Unselbständigkeit, Pflichtvergessenheit des
Monarchen. Sie kam überall da vor, wo sich ein ängstlicher Herrscher von
der Welt abschließt, wenige Vertraute um sich duldet, über nichts selbständig
zu urteilen vermag und der Sache seines Landes kein Interesse entgegenbringt.
Diese Eigenschaften des Monarchen liegen im Begriff der Kamnrillaherrschaft
enthalten. Und doch hat niemand auch von den stärksten Gegnern der kaiser¬
lichen Politik im entferntesten daran denken wollen und können, Wilhelm dem
Zweiten irgend eine Spur dieser drei Eigenschaften vorzuwerfen. Warum sind
also Leute, die noch vor kurzem sagten, unser Kaiser sei zu vielgeschüftig, zu
selbständig im Urteil oder gar zu wenig abgeschlossen im Verkehr, heute ge¬
dankenlos genug, seinem Hofe Kamarillaherrschaft vorzuwerfen, ohne den hä߬
lichen Vorwurf zu bedenken, den dieses Wort, präziser aufgenommen als aus¬
gesprochen, auf einen Herrscher haben muß, der nur der Sache selbst und seiner
monarchischen Pflicht lebt?

Das alles wäre nicht gut möglich, wenn nicht in manchen Kreisen, deren
Zusammenhang mit deutschem Wesen und preußischer Geschichte allerdings nicht


Kamarilla?

hat, den Eindruck nicht los von dem häßlichen und giftigen Klang eines un¬
deutlichen, gedankenlos gesprochnen Wortes.

Das Wort „Kamarilla" kann sehr eng und sehr weit gefaßt werden.
Man kann einerseits jede Art von Beeinflussung, die nicht von den verant¬
wortlichen Ratgebern der Krone ausgeht, also die sogenannten unverantwort¬
lichen Einflüsse darunter versteh,?. Man kann andrerseits den Begriff ein¬
engen und auf seine wohl ursprüngliche Bedeutung zurückführen. Dann
könnte von Kamarilla nur dann die Rede sein, wenn die nächste Umgebung
eines Fürsten die eigentliche Herrschaft dadurch in Händen hält, daß sie die
Krankheit, Schwäche, die persönlichen Gewohnheiten und Begierden eines ent¬
arteten und königlicher Pflichten nicht mehr bewußten Monarchen unterstützt
und benützt. Zwischen den beiden Auffassungen sind viele Zwischenstufen und
ein weiter Spielraum, so weit, daß die eine mit der andern so gut wie nichts
mehr zu tun hat.

Die Geschichte gibt zahlreiche Beispiele, die den engern Begriff erläutern:
die deutlichsten und stärksten die Geschichte der römischen Kaiser von dem
Prütorianergeneral Sejcmus bis zu den Freigelassenen Neros, den Köchen des
Bitellius, den Astrologen Caraeallas. Vielleicht hätten manche gut getan, ehe
sie das Wort anwandten, den Sueton zu lesen und aus ihm zu erfahren, was
alles unter „Kamarilla" verstanden werden kann. Auch die Vergangenheit
andrer Monarchien gibt genaue Beispiele: der Orient, die Geschichte der rus¬
sischen Zaren, einzelne Könige aus dem Hause Valois. Ähnliches gab es
überall. Wer die Geschichte nicht liebt, wende sich an die Dichtung. Shake¬
speare schuf in „Richard II" ein klares Bild von Kamarilla. Alle diese Bei¬
spiele geben uns aber nicht nur die Erklärung des Begriffs, sondern auch
Lehren über die Bedingungen dieser Erscheinung. Wie mußte ein König, wie
ein Hof beschaffen sei«, bei dem eine Kamarilla gedeihen konnte? Ihre Be¬
dingungen sind Abgeschlossenheit, Unselbständigkeit, Pflichtvergessenheit des
Monarchen. Sie kam überall da vor, wo sich ein ängstlicher Herrscher von
der Welt abschließt, wenige Vertraute um sich duldet, über nichts selbständig
zu urteilen vermag und der Sache seines Landes kein Interesse entgegenbringt.
Diese Eigenschaften des Monarchen liegen im Begriff der Kamnrillaherrschaft
enthalten. Und doch hat niemand auch von den stärksten Gegnern der kaiser¬
lichen Politik im entferntesten daran denken wollen und können, Wilhelm dem
Zweiten irgend eine Spur dieser drei Eigenschaften vorzuwerfen. Warum sind
also Leute, die noch vor kurzem sagten, unser Kaiser sei zu vielgeschüftig, zu
selbständig im Urteil oder gar zu wenig abgeschlossen im Verkehr, heute ge¬
dankenlos genug, seinem Hofe Kamarillaherrschaft vorzuwerfen, ohne den hä߬
lichen Vorwurf zu bedenken, den dieses Wort, präziser aufgenommen als aus¬
gesprochen, auf einen Herrscher haben muß, der nur der Sache selbst und seiner
monarchischen Pflicht lebt?

Das alles wäre nicht gut möglich, wenn nicht in manchen Kreisen, deren
Zusammenhang mit deutschem Wesen und preußischer Geschichte allerdings nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/594>, abgerufen am 05.02.2025.