Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ernst Ubbo

Feder zur Fixierung seiner Idee, so muß auch das komplizierte Gebilde von
Glas und Metall, wie das Mikroskop es erfordert, sich aufbauen lassen rein
verstandesmäßig, in allen Elementen bis ins letzte voraus bestimmt in rein
geistiger Arbeit, durch theoretische Ermittlung der Wirkung aller Teile, bevor
diese Teile noch körperlich ausgeführt sind. Der arbeitenden Hand dürfe dabei
keine andre Funktion mehr verbleiben als die genaue Verwirklichung der durch
die Rechnung bestimmten Formen und Abmessungen aller Konstruktionselemente,
und der praktische" Erfahrung keine andre Aufgabe als die Beherrschung der
Methoden und Hilfsmittel, die für die körperliche Verwirklichung geeignet sind.
Also: eine andre Grenzregulierung zwischen der Arbeit des Verstandes und der
Arbeit der Hand.... Diese Art der Verbindung von Wissenschaft und Technik
ist uns durch ihre längst offenkundige Herrschaft auf vielen andern Gebieten
der Technik: im Maschinenbau, im Jngenicurwesen zum Beispiel, jetzt schon so
so geläufig, daß sie fast als etwas Selbstverständliches erscheint und man sich
leicht wundern könnte, die Einführung dieser Idee in unser Gebiet überhaupt
als etwas Bemerkenswertes und Bedeutsames hingestellt zu sehen. Könnte
doch jetzt nur noch ein Stümper eine Dampfmaschine zu bauen beginnen, ohne
daß er vorher ganz genau wüßte, wie viel Pferdekräftc sie entwickeln wird;
und wird doch längst keine eiserne Brücke mehr gebaut, ohne daß der Erbauer,
noch ehe das Erz zu ihren Rippen aus der Erde geholt ist, schon genau an¬
geben kann, wie viel Zentimeter sie sich durchbiegen wird, wenn sie nach drei
oder vier Jahren fertig dasteht und der erste Eisenbahnzug sie befährt." In
die Optik hat diese vollkommne Beherrschung der Technik durch die Wissen¬
schaft erst Fraunhofer, "der Sohn des armen Münchners Spiegelschleifers",
eingeführt, und zwar nur für sein spezielles Arbeitsfeld, für den Bau von
astronomischen Fernrohren. Aus Gründen, die nnr dem Fachgelehrten verstünd¬
lich sind, hielt man auch nach Fraunhofer immer noch die Anwendung dieser
Methode auf den Bau der Mikroskope für unmöglich. In welchem Grade das
in Fachkreisen der Fall war, beweist Abbe mit zwei Tatsachen. "Noch im
Jahre 1881, also zu einer Zeit, als längst alle Dampfmaschinen und Eisen-
bahnbrücken nach Fraunhoserscher Art gebaut wurden, konnte behauptet werden,
die Mikroskope könnten auf diese Art nicht gebaut werden, und ein angesehener
"ut unterrichteter Schriftsteller der Mikroskopie, der einem der besten Optiker
der alten empirischen Schule persönlich nahe stand und das Arbeitsfeld kannte,
konnte daraufhin die Nichtigkeit der Angabe, daß die Mikroskope hier in Jena
seit zehn Jahren so gebaut würden, noch öffentlich in Zweifel ziehen. Auch
ist es noch gar nicht so lange her, daß in den Augen vieler beim Mikroskop
der Anspruch auf eine höhere Wertschätzung seitens der Vertreter der alten
empirischen Schule noch mit der Erklärung begründet werden konnte: von ihnen
werde es nicht wie in Jena gebaut. Erst seit 1886 etwa ist die umgekehrte
Versicherung: es werde.genau wie in Jena gebaut, allgemein die Stütze für
den Anspruch auf die höhere Schätzung geworden." Wer sich daran erinnert,


Ernst Ubbo

Feder zur Fixierung seiner Idee, so muß auch das komplizierte Gebilde von
Glas und Metall, wie das Mikroskop es erfordert, sich aufbauen lassen rein
verstandesmäßig, in allen Elementen bis ins letzte voraus bestimmt in rein
geistiger Arbeit, durch theoretische Ermittlung der Wirkung aller Teile, bevor
diese Teile noch körperlich ausgeführt sind. Der arbeitenden Hand dürfe dabei
keine andre Funktion mehr verbleiben als die genaue Verwirklichung der durch
die Rechnung bestimmten Formen und Abmessungen aller Konstruktionselemente,
und der praktische» Erfahrung keine andre Aufgabe als die Beherrschung der
Methoden und Hilfsmittel, die für die körperliche Verwirklichung geeignet sind.
Also: eine andre Grenzregulierung zwischen der Arbeit des Verstandes und der
Arbeit der Hand.... Diese Art der Verbindung von Wissenschaft und Technik
ist uns durch ihre längst offenkundige Herrschaft auf vielen andern Gebieten
der Technik: im Maschinenbau, im Jngenicurwesen zum Beispiel, jetzt schon so
so geläufig, daß sie fast als etwas Selbstverständliches erscheint und man sich
leicht wundern könnte, die Einführung dieser Idee in unser Gebiet überhaupt
als etwas Bemerkenswertes und Bedeutsames hingestellt zu sehen. Könnte
doch jetzt nur noch ein Stümper eine Dampfmaschine zu bauen beginnen, ohne
daß er vorher ganz genau wüßte, wie viel Pferdekräftc sie entwickeln wird;
und wird doch längst keine eiserne Brücke mehr gebaut, ohne daß der Erbauer,
noch ehe das Erz zu ihren Rippen aus der Erde geholt ist, schon genau an¬
geben kann, wie viel Zentimeter sie sich durchbiegen wird, wenn sie nach drei
oder vier Jahren fertig dasteht und der erste Eisenbahnzug sie befährt." In
die Optik hat diese vollkommne Beherrschung der Technik durch die Wissen¬
schaft erst Fraunhofer, „der Sohn des armen Münchners Spiegelschleifers",
eingeführt, und zwar nur für sein spezielles Arbeitsfeld, für den Bau von
astronomischen Fernrohren. Aus Gründen, die nnr dem Fachgelehrten verstünd¬
lich sind, hielt man auch nach Fraunhofer immer noch die Anwendung dieser
Methode auf den Bau der Mikroskope für unmöglich. In welchem Grade das
in Fachkreisen der Fall war, beweist Abbe mit zwei Tatsachen. „Noch im
Jahre 1881, also zu einer Zeit, als längst alle Dampfmaschinen und Eisen-
bahnbrücken nach Fraunhoserscher Art gebaut wurden, konnte behauptet werden,
die Mikroskope könnten auf diese Art nicht gebaut werden, und ein angesehener
»ut unterrichteter Schriftsteller der Mikroskopie, der einem der besten Optiker
der alten empirischen Schule persönlich nahe stand und das Arbeitsfeld kannte,
konnte daraufhin die Nichtigkeit der Angabe, daß die Mikroskope hier in Jena
seit zehn Jahren so gebaut würden, noch öffentlich in Zweifel ziehen. Auch
ist es noch gar nicht so lange her, daß in den Augen vieler beim Mikroskop
der Anspruch auf eine höhere Wertschätzung seitens der Vertreter der alten
empirischen Schule noch mit der Erklärung begründet werden konnte: von ihnen
werde es nicht wie in Jena gebaut. Erst seit 1886 etwa ist die umgekehrte
Versicherung: es werde.genau wie in Jena gebaut, allgemein die Stütze für
den Anspruch auf die höhere Schätzung geworden." Wer sich daran erinnert,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0512" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302500"/>
          <fw type="header" place="top"> Ernst Ubbo</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2245" prev="#ID_2244" next="#ID_2246"> Feder zur Fixierung seiner Idee, so muß auch das komplizierte Gebilde von<lb/>
Glas und Metall, wie das Mikroskop es erfordert, sich aufbauen lassen rein<lb/>
verstandesmäßig, in allen Elementen bis ins letzte voraus bestimmt in rein<lb/>
geistiger Arbeit, durch theoretische Ermittlung der Wirkung aller Teile, bevor<lb/>
diese Teile noch körperlich ausgeführt sind. Der arbeitenden Hand dürfe dabei<lb/>
keine andre Funktion mehr verbleiben als die genaue Verwirklichung der durch<lb/>
die Rechnung bestimmten Formen und Abmessungen aller Konstruktionselemente,<lb/>
und der praktische» Erfahrung keine andre Aufgabe als die Beherrschung der<lb/>
Methoden und Hilfsmittel, die für die körperliche Verwirklichung geeignet sind.<lb/>
Also: eine andre Grenzregulierung zwischen der Arbeit des Verstandes und der<lb/>
Arbeit der Hand.... Diese Art der Verbindung von Wissenschaft und Technik<lb/>
ist uns durch ihre längst offenkundige Herrschaft auf vielen andern Gebieten<lb/>
der Technik: im Maschinenbau, im Jngenicurwesen zum Beispiel, jetzt schon so<lb/>
so geläufig, daß sie fast als etwas Selbstverständliches erscheint und man sich<lb/>
leicht wundern könnte, die Einführung dieser Idee in unser Gebiet überhaupt<lb/>
als etwas Bemerkenswertes und Bedeutsames hingestellt zu sehen. Könnte<lb/>
doch jetzt nur noch ein Stümper eine Dampfmaschine zu bauen beginnen, ohne<lb/>
daß er vorher ganz genau wüßte, wie viel Pferdekräftc sie entwickeln wird;<lb/>
und wird doch längst keine eiserne Brücke mehr gebaut, ohne daß der Erbauer,<lb/>
noch ehe das Erz zu ihren Rippen aus der Erde geholt ist, schon genau an¬<lb/>
geben kann, wie viel Zentimeter sie sich durchbiegen wird, wenn sie nach drei<lb/>
oder vier Jahren fertig dasteht und der erste Eisenbahnzug sie befährt." In<lb/>
die Optik hat diese vollkommne Beherrschung der Technik durch die Wissen¬<lb/>
schaft erst Fraunhofer, &#x201E;der Sohn des armen Münchners Spiegelschleifers",<lb/>
eingeführt, und zwar nur für sein spezielles Arbeitsfeld, für den Bau von<lb/>
astronomischen Fernrohren. Aus Gründen, die nnr dem Fachgelehrten verstünd¬<lb/>
lich sind, hielt man auch nach Fraunhofer immer noch die Anwendung dieser<lb/>
Methode auf den Bau der Mikroskope für unmöglich. In welchem Grade das<lb/>
in Fachkreisen der Fall war, beweist Abbe mit zwei Tatsachen. &#x201E;Noch im<lb/>
Jahre 1881, also zu einer Zeit, als längst alle Dampfmaschinen und Eisen-<lb/>
bahnbrücken nach Fraunhoserscher Art gebaut wurden, konnte behauptet werden,<lb/>
die Mikroskope könnten auf diese Art nicht gebaut werden, und ein angesehener<lb/>
»ut unterrichteter Schriftsteller der Mikroskopie, der einem der besten Optiker<lb/>
der alten empirischen Schule persönlich nahe stand und das Arbeitsfeld kannte,<lb/>
konnte daraufhin die Nichtigkeit der Angabe, daß die Mikroskope hier in Jena<lb/>
seit zehn Jahren so gebaut würden, noch öffentlich in Zweifel ziehen. Auch<lb/>
ist es noch gar nicht so lange her, daß in den Augen vieler beim Mikroskop<lb/>
der Anspruch auf eine höhere Wertschätzung seitens der Vertreter der alten<lb/>
empirischen Schule noch mit der Erklärung begründet werden konnte: von ihnen<lb/>
werde es nicht wie in Jena gebaut. Erst seit 1886 etwa ist die umgekehrte<lb/>
Versicherung: es werde.genau wie in Jena gebaut, allgemein die Stütze für<lb/>
den Anspruch auf die höhere Schätzung geworden." Wer sich daran erinnert,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0512] Ernst Ubbo Feder zur Fixierung seiner Idee, so muß auch das komplizierte Gebilde von Glas und Metall, wie das Mikroskop es erfordert, sich aufbauen lassen rein verstandesmäßig, in allen Elementen bis ins letzte voraus bestimmt in rein geistiger Arbeit, durch theoretische Ermittlung der Wirkung aller Teile, bevor diese Teile noch körperlich ausgeführt sind. Der arbeitenden Hand dürfe dabei keine andre Funktion mehr verbleiben als die genaue Verwirklichung der durch die Rechnung bestimmten Formen und Abmessungen aller Konstruktionselemente, und der praktische» Erfahrung keine andre Aufgabe als die Beherrschung der Methoden und Hilfsmittel, die für die körperliche Verwirklichung geeignet sind. Also: eine andre Grenzregulierung zwischen der Arbeit des Verstandes und der Arbeit der Hand.... Diese Art der Verbindung von Wissenschaft und Technik ist uns durch ihre längst offenkundige Herrschaft auf vielen andern Gebieten der Technik: im Maschinenbau, im Jngenicurwesen zum Beispiel, jetzt schon so so geläufig, daß sie fast als etwas Selbstverständliches erscheint und man sich leicht wundern könnte, die Einführung dieser Idee in unser Gebiet überhaupt als etwas Bemerkenswertes und Bedeutsames hingestellt zu sehen. Könnte doch jetzt nur noch ein Stümper eine Dampfmaschine zu bauen beginnen, ohne daß er vorher ganz genau wüßte, wie viel Pferdekräftc sie entwickeln wird; und wird doch längst keine eiserne Brücke mehr gebaut, ohne daß der Erbauer, noch ehe das Erz zu ihren Rippen aus der Erde geholt ist, schon genau an¬ geben kann, wie viel Zentimeter sie sich durchbiegen wird, wenn sie nach drei oder vier Jahren fertig dasteht und der erste Eisenbahnzug sie befährt." In die Optik hat diese vollkommne Beherrschung der Technik durch die Wissen¬ schaft erst Fraunhofer, „der Sohn des armen Münchners Spiegelschleifers", eingeführt, und zwar nur für sein spezielles Arbeitsfeld, für den Bau von astronomischen Fernrohren. Aus Gründen, die nnr dem Fachgelehrten verstünd¬ lich sind, hielt man auch nach Fraunhofer immer noch die Anwendung dieser Methode auf den Bau der Mikroskope für unmöglich. In welchem Grade das in Fachkreisen der Fall war, beweist Abbe mit zwei Tatsachen. „Noch im Jahre 1881, also zu einer Zeit, als längst alle Dampfmaschinen und Eisen- bahnbrücken nach Fraunhoserscher Art gebaut wurden, konnte behauptet werden, die Mikroskope könnten auf diese Art nicht gebaut werden, und ein angesehener »ut unterrichteter Schriftsteller der Mikroskopie, der einem der besten Optiker der alten empirischen Schule persönlich nahe stand und das Arbeitsfeld kannte, konnte daraufhin die Nichtigkeit der Angabe, daß die Mikroskope hier in Jena seit zehn Jahren so gebaut würden, noch öffentlich in Zweifel ziehen. Auch ist es noch gar nicht so lange her, daß in den Augen vieler beim Mikroskop der Anspruch auf eine höhere Wertschätzung seitens der Vertreter der alten empirischen Schule noch mit der Erklärung begründet werden konnte: von ihnen werde es nicht wie in Jena gebaut. Erst seit 1886 etwa ist die umgekehrte Versicherung: es werde.genau wie in Jena gebaut, allgemein die Stütze für den Anspruch auf die höhere Schätzung geworden." Wer sich daran erinnert,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/512
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/512>, abgerufen am 06.02.2025.