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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Lrilst Abbe

Abbe") ist unverkennbar ein Vertreter dieser vornehmen Menschennrt; schon sein
scharfgeschnittnes, strenges, asketisches, vergeistigtes Antlitz kündet es. Auch
das Martyrium hat nicht gefehlt. Wenn ein kräftiger Mann, dessen Gesundheit
weder durch Genuß geschwächt noch durch einen Stoß von außen erschüttert
worden ist, mit 63 Jahren unheilbarem Siechtum verfüllt und mit 65 Jcchreu
stirbt (am 14. Januar 1905), so muß mau annehmen, daß er sich zu Tode
gearbeitet, sich seiner Idee geopfert hat.

Seinen Ideen, heißt es bei Abbe, denn es waren zwei Ideen, denen er
sich hingab. Die erste war: die Mikroskopie auf den Gipfel der Vollkommenheit
M bringen. Er hat sie in dem optischen Institut des Carl Zeiß zu Jena, der
ihn als Sozius annahm, verwirklicht. Es handelte sich dabei vorzugsweise
um folgendes. Alle Vervollkommnungen der Mikroskope waren bisher ans
rein empirischem Wege, durch Probieren und zufällige glückliche Entdeckungen,
zustande gekommen, wobei den wissenschaftlichen Theorien nur die allgemeinen
Direktiven entnommen wurden. Abbe sagte sich (er schreibt: Carl Zeiß sagte
sich. Der Herausgeber des Bandes, Abbes Mitarbeiter Dr. Czcipski. verrät
uns jedoch, daß diese wissenschaftlichen sowie die in der Zeißstiftung verwirk¬
lichten sozialen Gedanken Abbes Gedanken gewesen sind. Nachdem dieser, zuerst
"Is Privatdozent, dann als außerordentlicher Professor, jahrelang dem Gründer
des optischen Instituts mit Rat und Tat beigestanden hatte, trat er 1875 als
stiller Gesellschafter in das Unternehmen ein, machte es aus einem Kleinbetrieb
zu einem Großbetriebe und begründete seinen Weltruf. Aus Dankbarkeit gegen
den Mann, der ihm für sein geniales Schaffen die Grundlage dargeboten
hatte, stellte er in seiner Selbstlosigkeit seine eignen Gedanken als die seines
altern Sozius dar, nach dem er auch die Stiftung benante). Also Abbe sagte
sich: "Da alle Wirkungen, die eine Linsenkombination begleiten, auf Gesetzen
beruhen, die durch die wissenschaftliche Optik genau festgestellt, in allen Einzel¬
heiten mathematisch bestimmbar sind, und da auch alle maßgebenden Eigen¬
schaften des wirksamen Stoffes, des Glases, auf das strengste meßbar sind - so
muß es für den Aufbau der Linsenshstcme jeder Art noch einen ganz andern
Weg geben, eine verlangte Wirkung mit Sicherheit herbeizuführen. Es muß
auf diesen: Gebiete noch eine ganz andre Art des Zusanunenwirkeus von wissen-
schaftlicher Lehre und technischer Kunst möglich sein, als bisher bestanden hat;
es muß möglich sein, nicht nur die allgemeine Direktive für die zweckmäßige
Zusammensetzung der Elemente aus der Theorie zu entnehmen, sondem d.c
richtige Zusammensetzung selbst bis in ihre letzten Einzelheiten für lebe ver angle
Wirkung. Wie der Architekt ein Bauwerk, bevor sich eine Hand zur A.w uhrung
rührt, schon im Geiste vollendet Hut. uur uuter Beihilfe von Zeicheustift und



') sozialpolitische Schriften von Ernst Abbe. Mit einem Portrnt des Ver¬
fassers. Dritter Band der Gesammelten Abhandlungen von Ernst Abbe. Jena, Gustav
F'scher. 1906.
Lrilst Abbe

Abbe") ist unverkennbar ein Vertreter dieser vornehmen Menschennrt; schon sein
scharfgeschnittnes, strenges, asketisches, vergeistigtes Antlitz kündet es. Auch
das Martyrium hat nicht gefehlt. Wenn ein kräftiger Mann, dessen Gesundheit
weder durch Genuß geschwächt noch durch einen Stoß von außen erschüttert
worden ist, mit 63 Jahren unheilbarem Siechtum verfüllt und mit 65 Jcchreu
stirbt (am 14. Januar 1905), so muß mau annehmen, daß er sich zu Tode
gearbeitet, sich seiner Idee geopfert hat.

Seinen Ideen, heißt es bei Abbe, denn es waren zwei Ideen, denen er
sich hingab. Die erste war: die Mikroskopie auf den Gipfel der Vollkommenheit
M bringen. Er hat sie in dem optischen Institut des Carl Zeiß zu Jena, der
ihn als Sozius annahm, verwirklicht. Es handelte sich dabei vorzugsweise
um folgendes. Alle Vervollkommnungen der Mikroskope waren bisher ans
rein empirischem Wege, durch Probieren und zufällige glückliche Entdeckungen,
zustande gekommen, wobei den wissenschaftlichen Theorien nur die allgemeinen
Direktiven entnommen wurden. Abbe sagte sich (er schreibt: Carl Zeiß sagte
sich. Der Herausgeber des Bandes, Abbes Mitarbeiter Dr. Czcipski. verrät
uns jedoch, daß diese wissenschaftlichen sowie die in der Zeißstiftung verwirk¬
lichten sozialen Gedanken Abbes Gedanken gewesen sind. Nachdem dieser, zuerst
"Is Privatdozent, dann als außerordentlicher Professor, jahrelang dem Gründer
des optischen Instituts mit Rat und Tat beigestanden hatte, trat er 1875 als
stiller Gesellschafter in das Unternehmen ein, machte es aus einem Kleinbetrieb
zu einem Großbetriebe und begründete seinen Weltruf. Aus Dankbarkeit gegen
den Mann, der ihm für sein geniales Schaffen die Grundlage dargeboten
hatte, stellte er in seiner Selbstlosigkeit seine eignen Gedanken als die seines
altern Sozius dar, nach dem er auch die Stiftung benante). Also Abbe sagte
sich: „Da alle Wirkungen, die eine Linsenkombination begleiten, auf Gesetzen
beruhen, die durch die wissenschaftliche Optik genau festgestellt, in allen Einzel¬
heiten mathematisch bestimmbar sind, und da auch alle maßgebenden Eigen¬
schaften des wirksamen Stoffes, des Glases, auf das strengste meßbar sind - so
muß es für den Aufbau der Linsenshstcme jeder Art noch einen ganz andern
Weg geben, eine verlangte Wirkung mit Sicherheit herbeizuführen. Es muß
auf diesen: Gebiete noch eine ganz andre Art des Zusanunenwirkeus von wissen-
schaftlicher Lehre und technischer Kunst möglich sein, als bisher bestanden hat;
es muß möglich sein, nicht nur die allgemeine Direktive für die zweckmäßige
Zusammensetzung der Elemente aus der Theorie zu entnehmen, sondem d.c
richtige Zusammensetzung selbst bis in ihre letzten Einzelheiten für lebe ver angle
Wirkung. Wie der Architekt ein Bauwerk, bevor sich eine Hand zur A.w uhrung
rührt, schon im Geiste vollendet Hut. uur uuter Beihilfe von Zeicheustift und



') sozialpolitische Schriften von Ernst Abbe. Mit einem Portrnt des Ver¬
fassers. Dritter Band der Gesammelten Abhandlungen von Ernst Abbe. Jena, Gustav
F'scher. 1906.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/511>, abgerufen am 06.02.2025.