Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Selbständigkeitsbeweguiig in Indien hat. Das erleben wir an unsern Polen. England stehen anscheinend schwere In der Sprache ist heute das Indogermanische weit über die eigentlichen Die Selbständigkeitsbeweguiig in Indien hat. Das erleben wir an unsern Polen. England stehen anscheinend schwere In der Sprache ist heute das Indogermanische weit über die eigentlichen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0496" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302484"/> <fw type="header" place="top"> Die Selbständigkeitsbeweguiig in Indien</fw><lb/> <p xml:id="ID_2198" prev="#ID_2197"> hat. Das erleben wir an unsern Polen. England stehen anscheinend schwere<lb/> Erfahrungen bevor. Es hat viele Inder an seinen eignen Hochschulen heran¬<lb/> gebildet. Viele sind seiner Herrschaft eine wertvolle Stütze geworden, vielleicht<lb/> die meisten. Viele sind aber auch von eignem starkem Nationalgefühl erfüllt<lb/> worden. In ihnen ist der Same der Hoffnung aufgegangen, daß Indien<lb/> dermaleinst ein selbständiges, großes und mächtiges Kulturreich werden könne,<lb/> das die Europäer nicht mehr brauche. Sie wissen, daß die Kultur ihres Landes<lb/> viel älter als die von ganz West- und Nordeuropa ist. Als am Indus<lb/> und an: Ganges die philosophischen Gesänge der Veden aufgezeichnet wurden,<lb/> gab es in Groß- und Kleinbritannien noch nicht einen einzigen Menschen, der<lb/> hätte lesen und schreiben können. Die Kelten, wenn sie damals schon die<lb/> Inseln bewohnten, waren noch ein reines Naturvolk; die Inder, die vor etwa<lb/> viertausend Jahren aus Nordwesten kamen und das Indus- und Gangesland<lb/> überfluteten, sind immer nur ein Teil der Bevölkerung geblieben, der sich<lb/> noch heute deutlich von den andern abhebt. Nur die obern Kasten, die Brahmanen<lb/> und die Soldaten, sind indogermanischen Stammes, die dritte Kaste, die Hand¬<lb/> werker und die Ackerbauer, ist im Norden auch als arisch anzusehen, im südlichen<lb/> Indien hat sie sich allerdings stark mit den Ureinwohnern vermischt, die von<lb/> den Eroberern einfach unterworfen und rechtlos gemacht als Sudrakaste zu¬<lb/> sammengefaßt wurden. In dieser haben wir wahrscheinlich ein halb mongolisch-<lb/> hinterindisches Volk vor uns, das mit dem ersten Kulturvolk in Babylonien,<lb/> den Sumerern, zusammengehangen haben mag, die sich durch ihre einsilbige<lb/> Sprache deutlich von den spätern semitischen Einwandrern abhoben und auf<lb/> Verwandtschaft mit den Chinesen hindeuten.</p><lb/> <p xml:id="ID_2199" next="#ID_2200"> In der Sprache ist heute das Indogermanische weit über die eigentlichen<lb/> ethnologischen Grenzen hinausgedrungen. Man zählte 1901 221 Millionen<lb/> arische Inder neben 60 Millionen drawidischen Indern und 12 Millionen<lb/> Zugehörigen indisch-chinesischen Sprachstammes, diese in Hinterindien. Der<lb/> Rest zersplittert sich. Quer durch diese Sprachunterschiede hindurch gehn die<lb/> religiösen Absonderungen. Auch hier sind es zwei große Hauptgruppen, einige<lb/> Nebengruppen und eine ganze Menge Splitter. Die große Mehrheit rechnet<lb/> sich zum Brahmanismus, zur Hindureligion; das Wort Hindu bezeichnet heute<lb/> einen Anhänger des Brahmanismus. Im Jahre 1901 zählte man 207 Millionen<lb/> Hindus. Die Lehre Mohammeds kehrt sich nirgends an die ethnologische Zu¬<lb/> gehörigkeit. Sie hebt auch die Kastenunterschiede auf. Man Hütte annehmen<lb/> sollen, daß dieser Grund allein ihr schon die Masse des untern Volks zugeführt<lb/> haben müsse. Das ist aber nicht der Fall. So tief sitzt das Kastenwesen dem<lb/> Inder im Blute, daß Millionen lieber Sudras geblieben sind, als daß sie als<lb/> Mohammedaner den stolzen Brahmanen gleichberechtigt geworden wären-<lb/> Mohammedaner gab es 1901 62 Millionen. Der Buddhismus, der einst auch<lb/> den größten Teil der Halbinsel eingenommen hatte, war schon im dreizehnten<lb/> Jahrhundert dort fast vollständig wieder ausgetilgt. Nur in Ceylon und in den</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0496]
Die Selbständigkeitsbeweguiig in Indien
hat. Das erleben wir an unsern Polen. England stehen anscheinend schwere
Erfahrungen bevor. Es hat viele Inder an seinen eignen Hochschulen heran¬
gebildet. Viele sind seiner Herrschaft eine wertvolle Stütze geworden, vielleicht
die meisten. Viele sind aber auch von eignem starkem Nationalgefühl erfüllt
worden. In ihnen ist der Same der Hoffnung aufgegangen, daß Indien
dermaleinst ein selbständiges, großes und mächtiges Kulturreich werden könne,
das die Europäer nicht mehr brauche. Sie wissen, daß die Kultur ihres Landes
viel älter als die von ganz West- und Nordeuropa ist. Als am Indus
und an: Ganges die philosophischen Gesänge der Veden aufgezeichnet wurden,
gab es in Groß- und Kleinbritannien noch nicht einen einzigen Menschen, der
hätte lesen und schreiben können. Die Kelten, wenn sie damals schon die
Inseln bewohnten, waren noch ein reines Naturvolk; die Inder, die vor etwa
viertausend Jahren aus Nordwesten kamen und das Indus- und Gangesland
überfluteten, sind immer nur ein Teil der Bevölkerung geblieben, der sich
noch heute deutlich von den andern abhebt. Nur die obern Kasten, die Brahmanen
und die Soldaten, sind indogermanischen Stammes, die dritte Kaste, die Hand¬
werker und die Ackerbauer, ist im Norden auch als arisch anzusehen, im südlichen
Indien hat sie sich allerdings stark mit den Ureinwohnern vermischt, die von
den Eroberern einfach unterworfen und rechtlos gemacht als Sudrakaste zu¬
sammengefaßt wurden. In dieser haben wir wahrscheinlich ein halb mongolisch-
hinterindisches Volk vor uns, das mit dem ersten Kulturvolk in Babylonien,
den Sumerern, zusammengehangen haben mag, die sich durch ihre einsilbige
Sprache deutlich von den spätern semitischen Einwandrern abhoben und auf
Verwandtschaft mit den Chinesen hindeuten.
In der Sprache ist heute das Indogermanische weit über die eigentlichen
ethnologischen Grenzen hinausgedrungen. Man zählte 1901 221 Millionen
arische Inder neben 60 Millionen drawidischen Indern und 12 Millionen
Zugehörigen indisch-chinesischen Sprachstammes, diese in Hinterindien. Der
Rest zersplittert sich. Quer durch diese Sprachunterschiede hindurch gehn die
religiösen Absonderungen. Auch hier sind es zwei große Hauptgruppen, einige
Nebengruppen und eine ganze Menge Splitter. Die große Mehrheit rechnet
sich zum Brahmanismus, zur Hindureligion; das Wort Hindu bezeichnet heute
einen Anhänger des Brahmanismus. Im Jahre 1901 zählte man 207 Millionen
Hindus. Die Lehre Mohammeds kehrt sich nirgends an die ethnologische Zu¬
gehörigkeit. Sie hebt auch die Kastenunterschiede auf. Man Hütte annehmen
sollen, daß dieser Grund allein ihr schon die Masse des untern Volks zugeführt
haben müsse. Das ist aber nicht der Fall. So tief sitzt das Kastenwesen dem
Inder im Blute, daß Millionen lieber Sudras geblieben sind, als daß sie als
Mohammedaner den stolzen Brahmanen gleichberechtigt geworden wären-
Mohammedaner gab es 1901 62 Millionen. Der Buddhismus, der einst auch
den größten Teil der Halbinsel eingenommen hatte, war schon im dreizehnten
Jahrhundert dort fast vollständig wieder ausgetilgt. Nur in Ceylon und in den
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