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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Ztiterarische Rundschau

ich Wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß ein Weib diese Erzählungen
geschrieben Hütte. Ich hätte es schon deshalb nie vermutet, weil sie, und be¬
sonders die erste, mit einer geradezu frappierenden Kälte geschrieben sind, mit
einer Objektivierung, die keine unsrer weiblichen Dichterinnen in diesem Maße
hat. In der zweiten Erzählung "Das Meerminneke" bricht ab und zu ganz
schwach ein wärmerer Ton hindurch, aber merkwürdig von außen her ist doch
auch dies erzählt, und der hier und da aufblitzende Humor ist zu schwach, als
daß er diesen Eindruck heben könnte. So bleibt das sehr starke Talent, das
Lulu von Strauß hier zeigt, zunächst mehr interessant, als daß man ihm mit
Herzenswärme näher kommen könnte. Aber es ist freilich ein Talent historischer
Novellenkunst, wie wir es selten haben.

Das letzte Buch, auf das ich heute hinweisen will, ist ein alter Bekannter,
der zum neuntenmal, und diesmal in einer billigen Volksausgabe, wiederkommt
..Hans Georg Portner", eine alte Geschichte von August spert (Stuttgart und
Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt). Ich glaube kaum, daß bei den Lesern der
Grenzboten dies Buch noch einer Empfehlung bedarf; es ist einer der besten
geschichtlichen Romane, die wir haben, und er ist deshalb so gut, weil er nicht
geschrieben ist um des historischen Kostüms oder um geschichtlicher Belehrung
halber, sondern weil seinem Urheber menschliches Leid und menschliches Glück
w den schwersten Zeitläuften deutscher Geschichte so zu schildern im Sinne
lag. wie sein Herz in: starken nachempfinden sie ihm zeigte. Dabei spielt ein
kräftiger Humor immer wieder hinein, und der Eindruck des deutschen Lebens
in der Zeit der Gegenreformation ist ergreifend echt -- bei stärkerer Geschlossenheit
und tieferer Psychologie wirkt spert doch wie ein naher Verwandter von Eyes.
Und wie das Werk jenes, möge auch dieses den Eltern für ihre Söhne und
Töchter wieder einmal empfohlen sein. In seiner knappen Sprache und mit
der Fülle seiner Menschen ist es durch seine lebhafte Handlung fesselnd, und
an keiner Stelle stört ein falscher Ton.

Wenn man in einem solchen Überblick über neuere Bücher, wie sie die Zeit
einem ins Haus wirft, noch einmal still zurückdenkt, so wird das Gefühl immer
wieder stark lebendig: wie farbenreich, wie vielseitig ist unsre deutsche Literatur,
auch in der Gegenwart! Wie reich ist der deutsche Mensch, wie sehr bleibt es
ewig wahr, daß der Individualismus die einzige Richtung ist. die den Deutschen
groß macht! Und bei solcher Betrachtung gedenken wir heute noch einmal
schmerzlich Adolf Sterns, der auch diesen Blättern und ihrem Verlage ein alter
Freund war. Er übersah von der Warte einer reichen Erfahrung die Dichtung
der Gegenwart und der Vergangenheit. Selbst ein Poet von Rang, hatte er
das Talent, den verschiedensten Individualitäten gerecht zu werden. Er. der
für Hebbel in einer Zeit kämpfte, wo dieser Dichter nahezu verschollen war,
und der für Ludwig so viel tat wie kein andrer, hat auch Cornelius und
Richard Wagner gedient und hat als ein vorurteilsloser und furchtloser Kritiker
der Dichtung der Gegenwart gegenüber gestanden. Wem je das Glück zuteil


Grenzboten II 1907
Ztiterarische Rundschau

ich Wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß ein Weib diese Erzählungen
geschrieben Hütte. Ich hätte es schon deshalb nie vermutet, weil sie, und be¬
sonders die erste, mit einer geradezu frappierenden Kälte geschrieben sind, mit
einer Objektivierung, die keine unsrer weiblichen Dichterinnen in diesem Maße
hat. In der zweiten Erzählung „Das Meerminneke" bricht ab und zu ganz
schwach ein wärmerer Ton hindurch, aber merkwürdig von außen her ist doch
auch dies erzählt, und der hier und da aufblitzende Humor ist zu schwach, als
daß er diesen Eindruck heben könnte. So bleibt das sehr starke Talent, das
Lulu von Strauß hier zeigt, zunächst mehr interessant, als daß man ihm mit
Herzenswärme näher kommen könnte. Aber es ist freilich ein Talent historischer
Novellenkunst, wie wir es selten haben.

Das letzte Buch, auf das ich heute hinweisen will, ist ein alter Bekannter,
der zum neuntenmal, und diesmal in einer billigen Volksausgabe, wiederkommt
..Hans Georg Portner", eine alte Geschichte von August spert (Stuttgart und
Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt). Ich glaube kaum, daß bei den Lesern der
Grenzboten dies Buch noch einer Empfehlung bedarf; es ist einer der besten
geschichtlichen Romane, die wir haben, und er ist deshalb so gut, weil er nicht
geschrieben ist um des historischen Kostüms oder um geschichtlicher Belehrung
halber, sondern weil seinem Urheber menschliches Leid und menschliches Glück
w den schwersten Zeitläuften deutscher Geschichte so zu schildern im Sinne
lag. wie sein Herz in: starken nachempfinden sie ihm zeigte. Dabei spielt ein
kräftiger Humor immer wieder hinein, und der Eindruck des deutschen Lebens
in der Zeit der Gegenreformation ist ergreifend echt — bei stärkerer Geschlossenheit
und tieferer Psychologie wirkt spert doch wie ein naher Verwandter von Eyes.
Und wie das Werk jenes, möge auch dieses den Eltern für ihre Söhne und
Töchter wieder einmal empfohlen sein. In seiner knappen Sprache und mit
der Fülle seiner Menschen ist es durch seine lebhafte Handlung fesselnd, und
an keiner Stelle stört ein falscher Ton.

Wenn man in einem solchen Überblick über neuere Bücher, wie sie die Zeit
einem ins Haus wirft, noch einmal still zurückdenkt, so wird das Gefühl immer
wieder stark lebendig: wie farbenreich, wie vielseitig ist unsre deutsche Literatur,
auch in der Gegenwart! Wie reich ist der deutsche Mensch, wie sehr bleibt es
ewig wahr, daß der Individualismus die einzige Richtung ist. die den Deutschen
groß macht! Und bei solcher Betrachtung gedenken wir heute noch einmal
schmerzlich Adolf Sterns, der auch diesen Blättern und ihrem Verlage ein alter
Freund war. Er übersah von der Warte einer reichen Erfahrung die Dichtung
der Gegenwart und der Vergangenheit. Selbst ein Poet von Rang, hatte er
das Talent, den verschiedensten Individualitäten gerecht zu werden. Er. der
für Hebbel in einer Zeit kämpfte, wo dieser Dichter nahezu verschollen war,
und der für Ludwig so viel tat wie kein andrer, hat auch Cornelius und
Richard Wagner gedient und hat als ein vorurteilsloser und furchtloser Kritiker
der Dichtung der Gegenwart gegenüber gestanden. Wem je das Glück zuteil


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[0469] Ztiterarische Rundschau ich Wäre nie auf den Gedanken gekommen, daß ein Weib diese Erzählungen geschrieben Hütte. Ich hätte es schon deshalb nie vermutet, weil sie, und be¬ sonders die erste, mit einer geradezu frappierenden Kälte geschrieben sind, mit einer Objektivierung, die keine unsrer weiblichen Dichterinnen in diesem Maße hat. In der zweiten Erzählung „Das Meerminneke" bricht ab und zu ganz schwach ein wärmerer Ton hindurch, aber merkwürdig von außen her ist doch auch dies erzählt, und der hier und da aufblitzende Humor ist zu schwach, als daß er diesen Eindruck heben könnte. So bleibt das sehr starke Talent, das Lulu von Strauß hier zeigt, zunächst mehr interessant, als daß man ihm mit Herzenswärme näher kommen könnte. Aber es ist freilich ein Talent historischer Novellenkunst, wie wir es selten haben. Das letzte Buch, auf das ich heute hinweisen will, ist ein alter Bekannter, der zum neuntenmal, und diesmal in einer billigen Volksausgabe, wiederkommt ..Hans Georg Portner", eine alte Geschichte von August spert (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt). Ich glaube kaum, daß bei den Lesern der Grenzboten dies Buch noch einer Empfehlung bedarf; es ist einer der besten geschichtlichen Romane, die wir haben, und er ist deshalb so gut, weil er nicht geschrieben ist um des historischen Kostüms oder um geschichtlicher Belehrung halber, sondern weil seinem Urheber menschliches Leid und menschliches Glück w den schwersten Zeitläuften deutscher Geschichte so zu schildern im Sinne lag. wie sein Herz in: starken nachempfinden sie ihm zeigte. Dabei spielt ein kräftiger Humor immer wieder hinein, und der Eindruck des deutschen Lebens in der Zeit der Gegenreformation ist ergreifend echt — bei stärkerer Geschlossenheit und tieferer Psychologie wirkt spert doch wie ein naher Verwandter von Eyes. Und wie das Werk jenes, möge auch dieses den Eltern für ihre Söhne und Töchter wieder einmal empfohlen sein. In seiner knappen Sprache und mit der Fülle seiner Menschen ist es durch seine lebhafte Handlung fesselnd, und an keiner Stelle stört ein falscher Ton. Wenn man in einem solchen Überblick über neuere Bücher, wie sie die Zeit einem ins Haus wirft, noch einmal still zurückdenkt, so wird das Gefühl immer wieder stark lebendig: wie farbenreich, wie vielseitig ist unsre deutsche Literatur, auch in der Gegenwart! Wie reich ist der deutsche Mensch, wie sehr bleibt es ewig wahr, daß der Individualismus die einzige Richtung ist. die den Deutschen groß macht! Und bei solcher Betrachtung gedenken wir heute noch einmal schmerzlich Adolf Sterns, der auch diesen Blättern und ihrem Verlage ein alter Freund war. Er übersah von der Warte einer reichen Erfahrung die Dichtung der Gegenwart und der Vergangenheit. Selbst ein Poet von Rang, hatte er das Talent, den verschiedensten Individualitäten gerecht zu werden. Er. der für Hebbel in einer Zeit kämpfte, wo dieser Dichter nahezu verschollen war, und der für Ludwig so viel tat wie kein andrer, hat auch Cornelius und Richard Wagner gedient und hat als ein vorurteilsloser und furchtloser Kritiker der Dichtung der Gegenwart gegenüber gestanden. Wem je das Glück zuteil Grenzboten II 1907

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/469>, abgerufen am 05.02.2025.