Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Titerarische Rundschau Satzungen bringen es mit sich, daß der Ton, der auf allem liegt, vielleicht Spittelers Landsmann, Ernst Zahn, ist ebenfalls ein spröder Sohn der Mit sehr viel stärkern, oft dramatisch starken Accenten schafft Lulu von Titerarische Rundschau Satzungen bringen es mit sich, daß der Ton, der auf allem liegt, vielleicht Spittelers Landsmann, Ernst Zahn, ist ebenfalls ein spröder Sohn der Mit sehr viel stärkern, oft dramatisch starken Accenten schafft Lulu von <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0468" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302456"/> <fw type="header" place="top"> Titerarische Rundschau</fw><lb/> <p xml:id="ID_1959" prev="#ID_1958"> Satzungen bringen es mit sich, daß der Ton, der auf allem liegt, vielleicht<lb/> etwas zu gleichmäßig wird, und deshalb der Schluß, wenn er, wie in diesem<lb/> Buche, tragisch ist, nicht die rechte Wirkung übt. Ist auch die Atmosphäre schwül,<lb/> in der die paar Stunden der Geschehnisse ablaufen, so erwartet man doch nicht<lb/> mit solcher Sicherheit dieses Ende, daß man nicht ein nicht voll zulässiges Spiel<lb/> äußerlichen Zusammenfallens zu sehen vermeinen könnte, wo wir das Walten<lb/> eines unerbittlichen Geschickes in dichterischem Schauen erwarten. Aber trotzdem<lb/> kann man sich dem Zauber dieser strengen Erzählerkunst nicht entziehen, die<lb/> übrigens eben bei allem Anhalt an die Wirklichkeit, bei völliger Echtheit nicht<lb/> naturalistisch ist, ein neuer Beweis dafür, daß der Naturalismus nicht die einzige<lb/> Form der Wiedergabe des Lebens, auch des rein äußerlichen Lebens ist, sondern<lb/> immer nur eine von mehreren. Und Spittelers stilisierter Realismus, bei dem<lb/> der Kenner des „Olympischen Frühlings" immer wieder den Takt epischer<lb/> Verserzählung durchfühlt, ist nicht nur heute eine der aparteste», sondern auch<lb/> eine sehr starke Art solcher Wiedergabe.</p><lb/> <p xml:id="ID_1960"> Spittelers Landsmann, Ernst Zahn, ist ebenfalls ein spröder Sohn der<lb/> Schweiz, wenn er auch auf ein ganz andres Blatt gehört als jener. Er<lb/> kristallisiert lange nicht so stark, aber er geht auch sehr geradeaus aufs Ziel<lb/> und hält sich selten bei Nebendingen auf. Man steht bei ihm zuweilen am<lb/> Ende, ehe man es vermutet, und empfindet dann im Rückblick diese im künstlerischen<lb/> Sinne keusche Art der Erzählung als sehr reizvoll und lebendig. So geht es<lb/> auch in dem Buch „Firnwind" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt),<lb/> das fünf größere und kleinere Erzählungen umfaßt. Die Menschen, die zum<lb/> Beispiel in der Novelle „Keine Brücke" auftreten, spinnen alle ihre Fäden nicht<lb/> zu Ende. Und doch ist es kein plötzliches, unmotiviertes Entgleiten, wenn sie<lb/> ihnen am Ende aus den Finger», fallen; denn die unbetonte, aber ganz sichere<lb/> und dem Leben abgelauschte Entwicklung hat sie dahin geführt. Und ebenso<lb/> lebendig wirkt etwa in einer andern Geschichte des Bandes die allmähliche,<lb/> innere Wandlung eines trotzigen, ganz auf sein Recht gestellten Menschen, der<lb/> aus Liebe sich selbst bezwingen lernt. Es weht wirklich der Wind des Berg¬<lb/> landes durch dieses Buch, und es bedeutet wieder einen Fortschritt in dein stetigen<lb/> Aufstieg seines Verfassers.</p><lb/> <p xml:id="ID_1961" next="#ID_1962"> Mit sehr viel stärkern, oft dramatisch starken Accenten schafft Lulu von<lb/> Strauß und Torney. Ihre zwei Geschichten „Der Hof am Brink", „Das<lb/> Meerminneke" (Berlin, Egon Fleischel K Co.) wirken in ihrer kräftigen Manier<lb/> wie alte tüchtige Holzschnitte, eckig und höchst ausdrucksvoll. Die starken Er¬<lb/> lebnisse, die von den Gestalten dieser Dichterin in unruhvollen Zeiten durch¬<lb/> gemacht werden, gehen voll lebendig an uns vorüber. Im Dreißigjährigen<lb/> Kriege spielt die eine, in der Reformationszeit die andre. Die historische Um¬<lb/> welt ist in beiden ganz vorzüglich gegeben, und keinen der Charaktere empfinden<lb/> wir als verzeichnet. Nur eiues fehlt merkwürdigerweise diesen Geschichten: jeder<lb/> weibliche Zug. Wenn nicht der Name einer Frau auf dem Titel stünde —</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0468]
Titerarische Rundschau
Satzungen bringen es mit sich, daß der Ton, der auf allem liegt, vielleicht
etwas zu gleichmäßig wird, und deshalb der Schluß, wenn er, wie in diesem
Buche, tragisch ist, nicht die rechte Wirkung übt. Ist auch die Atmosphäre schwül,
in der die paar Stunden der Geschehnisse ablaufen, so erwartet man doch nicht
mit solcher Sicherheit dieses Ende, daß man nicht ein nicht voll zulässiges Spiel
äußerlichen Zusammenfallens zu sehen vermeinen könnte, wo wir das Walten
eines unerbittlichen Geschickes in dichterischem Schauen erwarten. Aber trotzdem
kann man sich dem Zauber dieser strengen Erzählerkunst nicht entziehen, die
übrigens eben bei allem Anhalt an die Wirklichkeit, bei völliger Echtheit nicht
naturalistisch ist, ein neuer Beweis dafür, daß der Naturalismus nicht die einzige
Form der Wiedergabe des Lebens, auch des rein äußerlichen Lebens ist, sondern
immer nur eine von mehreren. Und Spittelers stilisierter Realismus, bei dem
der Kenner des „Olympischen Frühlings" immer wieder den Takt epischer
Verserzählung durchfühlt, ist nicht nur heute eine der aparteste», sondern auch
eine sehr starke Art solcher Wiedergabe.
Spittelers Landsmann, Ernst Zahn, ist ebenfalls ein spröder Sohn der
Schweiz, wenn er auch auf ein ganz andres Blatt gehört als jener. Er
kristallisiert lange nicht so stark, aber er geht auch sehr geradeaus aufs Ziel
und hält sich selten bei Nebendingen auf. Man steht bei ihm zuweilen am
Ende, ehe man es vermutet, und empfindet dann im Rückblick diese im künstlerischen
Sinne keusche Art der Erzählung als sehr reizvoll und lebendig. So geht es
auch in dem Buch „Firnwind" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlagsanstalt),
das fünf größere und kleinere Erzählungen umfaßt. Die Menschen, die zum
Beispiel in der Novelle „Keine Brücke" auftreten, spinnen alle ihre Fäden nicht
zu Ende. Und doch ist es kein plötzliches, unmotiviertes Entgleiten, wenn sie
ihnen am Ende aus den Finger», fallen; denn die unbetonte, aber ganz sichere
und dem Leben abgelauschte Entwicklung hat sie dahin geführt. Und ebenso
lebendig wirkt etwa in einer andern Geschichte des Bandes die allmähliche,
innere Wandlung eines trotzigen, ganz auf sein Recht gestellten Menschen, der
aus Liebe sich selbst bezwingen lernt. Es weht wirklich der Wind des Berg¬
landes durch dieses Buch, und es bedeutet wieder einen Fortschritt in dein stetigen
Aufstieg seines Verfassers.
Mit sehr viel stärkern, oft dramatisch starken Accenten schafft Lulu von
Strauß und Torney. Ihre zwei Geschichten „Der Hof am Brink", „Das
Meerminneke" (Berlin, Egon Fleischel K Co.) wirken in ihrer kräftigen Manier
wie alte tüchtige Holzschnitte, eckig und höchst ausdrucksvoll. Die starken Er¬
lebnisse, die von den Gestalten dieser Dichterin in unruhvollen Zeiten durch¬
gemacht werden, gehen voll lebendig an uns vorüber. Im Dreißigjährigen
Kriege spielt die eine, in der Reformationszeit die andre. Die historische Um¬
welt ist in beiden ganz vorzüglich gegeben, und keinen der Charaktere empfinden
wir als verzeichnet. Nur eiues fehlt merkwürdigerweise diesen Geschichten: jeder
weibliche Zug. Wenn nicht der Name einer Frau auf dem Titel stünde —
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