Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Im Lande Buchara Vor dem Tore deuten die verschiedensten Magazine auf den regsten Handel. Endlich sind wir am Tore. Eine Art Zwinger erschwert das gewaltsame Unsre Kutscher waren bewunderungswürdig. Es war schon keine Kleinig¬ Im Lande Buchara Vor dem Tore deuten die verschiedensten Magazine auf den regsten Handel. Endlich sind wir am Tore. Eine Art Zwinger erschwert das gewaltsame Unsre Kutscher waren bewunderungswürdig. Es war schon keine Kleinig¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0043" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302031"/> <fw type="header" place="top"> Im Lande Buchara</fw><lb/> <p xml:id="ID_105"> Vor dem Tore deuten die verschiedensten Magazine auf den regsten Handel.<lb/> Große russische Firmen sind vertreten, die ihr Hauptlager freilich draußen in<lb/> Kagan haben. Dem Handelstreiben nahe liegt die Stadt der Toten. Auch<lb/> eigentümlich. Nicht die aus- und nebeneinandergedrängten Steine der bisher<lb/> besuchten mohammedanischen Grabstätten fallen da in die Augen, sondern aus<lb/> Lehm geschlagne, im Querschnitt nach dem Kielbogen gestaltete Sarkophage<lb/> bedecken einen großen Raum vor der Mauer, der sich immer mehr nach dem<lb/> Felde ausdehnt, nachdem jedes Fleckchen besetzt ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_106"> Endlich sind wir am Tore. Eine Art Zwinger erschwert das gewaltsame<lb/> Eindringen. Eine Torwache fristet gelangweilt ihr gleichförmiges Dasein. Das<lb/> innere Tor ist nach oben nicht abgeschlossen, nur mit Balken überzogen und<lb/> mit Matten bedeckt. Feucht, schmutzig und übelriechend ist der Torweg. Bald<lb/> dahinter biegen wir in eine Seitenstraße zum Postgebäude ab, das auf einem<lb/> geräumigen Hofe eingerichtet ist. Wie immer fand M. einen Brief aus der<lb/> Heimat. Er hatte, was man vor einer Neise nach Rußland immer tun soll,<lb/> russisch beschriebne Briefumschläge mit seiner Adresse und seinem auf russisch<lb/> deklinierbaren Namen hinterlassen und wurde — ob diesem zuliebe? — immer<lb/> regelmäßig bedient.</p><lb/> <p xml:id="ID_107" next="#ID_108"> Unsre Kutscher waren bewunderungswürdig. Es war schon keine Kleinig¬<lb/> keit, um die vorspringenden Ecken der schmalen und ganz unregelmäßigen Wall¬<lb/> straße ohne Unfall herumzusausen. Es wurde ein Kunststück, als wir in eine<lb/> Straße einbogen, die an einem tief eingeschnittenen Aryk entlang führte und<lb/> nur noch schmalen Raum für Passanten ließ, und es schien unmöglich, durch¬<lb/> zukommen, als wir uns in den Basarstraßen durch Fußgänger, Reiter und<lb/> Lasttiere hindurch winden und begegnenden Wagen, auch den großen breiten<lb/> Karren ausweichen mußten. Unaufhörlich tönt es Poscht, Poscht (Achtung!)<lb/> von Fahrern und Reitern, und alles bemüht sich, sich so zu drücken, schmal zu<lb/> machen, beiseite zu fahren, daß eine enge Passage frei wird. In der zum<lb/> Bahnhofstore führenden 2 Kilometer langen Hauptstraße wars freilich übel.<lb/> Ganze Warenzüge kamen uns entgegen, denen unsre kleinen Wagen nur an<lb/> wenig Stellen auszuweichen in der Lage waren. Aber die Kutscher ließen<lb/> traben und fuhren mit verblüffender Sicherheit um Millimetersbreite an den<lb/> entgegenkommenden Fahrzeugen vorüber. Bald schien die Situation unheilbar<lb/> Verfahren, aber der wirre Knäuel an enger Stelle löste sich durch Vor- und<lb/> Zurückschieben unter gütigem und auch energischem Zureden und unter der<lb/> sachkundigen Leitung eines berittnen Schutzmannes. Er war zwar weniger<lb/> militärisch bekleidet und weniger grob, als gemeinhin unsre zu sein Pflegen,<lb/> aber löste dafür seine Aufgabe mit um so sachgemäßerer Ruhe. Erfahrung<lb/> stand ihm wohl zur Seite. Wohl ein dutzendmal wiederholten sich auf unsrer<lb/> Ausfahrt aus dem Basar dergleichen Szenen. Der eine Kutscher war ein er¬<lb/> träglich guter Cicerone. Mitten hinein ins volle bucharische Leben hatte er<lb/> uns geführt, auf die Moscheen, Medresen hingewiesen und auf dem schmalen<lb/> Platze Halt gemacht, wo der Henkertnrm schlank emporsteigt, von dessen Höhe</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
Im Lande Buchara
Vor dem Tore deuten die verschiedensten Magazine auf den regsten Handel.
Große russische Firmen sind vertreten, die ihr Hauptlager freilich draußen in
Kagan haben. Dem Handelstreiben nahe liegt die Stadt der Toten. Auch
eigentümlich. Nicht die aus- und nebeneinandergedrängten Steine der bisher
besuchten mohammedanischen Grabstätten fallen da in die Augen, sondern aus
Lehm geschlagne, im Querschnitt nach dem Kielbogen gestaltete Sarkophage
bedecken einen großen Raum vor der Mauer, der sich immer mehr nach dem
Felde ausdehnt, nachdem jedes Fleckchen besetzt ist.
Endlich sind wir am Tore. Eine Art Zwinger erschwert das gewaltsame
Eindringen. Eine Torwache fristet gelangweilt ihr gleichförmiges Dasein. Das
innere Tor ist nach oben nicht abgeschlossen, nur mit Balken überzogen und
mit Matten bedeckt. Feucht, schmutzig und übelriechend ist der Torweg. Bald
dahinter biegen wir in eine Seitenstraße zum Postgebäude ab, das auf einem
geräumigen Hofe eingerichtet ist. Wie immer fand M. einen Brief aus der
Heimat. Er hatte, was man vor einer Neise nach Rußland immer tun soll,
russisch beschriebne Briefumschläge mit seiner Adresse und seinem auf russisch
deklinierbaren Namen hinterlassen und wurde — ob diesem zuliebe? — immer
regelmäßig bedient.
Unsre Kutscher waren bewunderungswürdig. Es war schon keine Kleinig¬
keit, um die vorspringenden Ecken der schmalen und ganz unregelmäßigen Wall¬
straße ohne Unfall herumzusausen. Es wurde ein Kunststück, als wir in eine
Straße einbogen, die an einem tief eingeschnittenen Aryk entlang führte und
nur noch schmalen Raum für Passanten ließ, und es schien unmöglich, durch¬
zukommen, als wir uns in den Basarstraßen durch Fußgänger, Reiter und
Lasttiere hindurch winden und begegnenden Wagen, auch den großen breiten
Karren ausweichen mußten. Unaufhörlich tönt es Poscht, Poscht (Achtung!)
von Fahrern und Reitern, und alles bemüht sich, sich so zu drücken, schmal zu
machen, beiseite zu fahren, daß eine enge Passage frei wird. In der zum
Bahnhofstore führenden 2 Kilometer langen Hauptstraße wars freilich übel.
Ganze Warenzüge kamen uns entgegen, denen unsre kleinen Wagen nur an
wenig Stellen auszuweichen in der Lage waren. Aber die Kutscher ließen
traben und fuhren mit verblüffender Sicherheit um Millimetersbreite an den
entgegenkommenden Fahrzeugen vorüber. Bald schien die Situation unheilbar
Verfahren, aber der wirre Knäuel an enger Stelle löste sich durch Vor- und
Zurückschieben unter gütigem und auch energischem Zureden und unter der
sachkundigen Leitung eines berittnen Schutzmannes. Er war zwar weniger
militärisch bekleidet und weniger grob, als gemeinhin unsre zu sein Pflegen,
aber löste dafür seine Aufgabe mit um so sachgemäßerer Ruhe. Erfahrung
stand ihm wohl zur Seite. Wohl ein dutzendmal wiederholten sich auf unsrer
Ausfahrt aus dem Basar dergleichen Szenen. Der eine Kutscher war ein er¬
träglich guter Cicerone. Mitten hinein ins volle bucharische Leben hatte er
uns geführt, auf die Moscheen, Medresen hingewiesen und auf dem schmalen
Platze Halt gemacht, wo der Henkertnrm schlank emporsteigt, von dessen Höhe
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