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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Im Lande Buchara

früher die in einen Sack genähten Verbrecher herabgestürzt wurden. Seiner
gefälligen Form mit der ockergelben Formziegelbekleidung und der weit aus¬
kragenden blaugetönten Galerie sieht man die grause Bestimmung nicht an.
Dort nahebei wurden bei den Teppichverkäufern, deren Interesse der Automedou
mit oder ohne Absicht gefördert hatte, die ersten Geschäftsverbindungen ange¬
knüpft, indes wir Unbeteiligten von der klinkergepflasterten Estrade der Medrese
Mircharab einen neugierigen Blick in deren Inneres zu werfen suchten und sie
und die gegenüberliegende Kaljanmoschee von außen bewunderten. Die Moschee
zeigte an ihrer Fassade schöne emailartige Fayencefarbenbilder, zum Teil aller¬
dings verdorben, übermalt und ausgeflickt. Trotz der Gleichförmigkeit großer
Flächen wirkte sie nicht eintönig, ebensowenig wie die Vorderansicht der Medrese.
Schön ist der hellblaue Kachelbelag der Moscheekuppel, mit dem weithin sicht¬
baren Henkerturm, dem Manari-Kaljan, gepaart ein Wahrzeichen der Gegend.
Blau und ockergelb sind auffälligerweise die Hauptfarben, dem Blau des
Himmels und der Erdtönung entlehnt. In der Mitte der Medrese verschließt
das Tor das Innere unter einem mächtigen Kielbogen, dessen Pfeiler teilweise
noch schönen Kachelbelag aufweisen. Der Bau umfaßt einen weiten viereckigen
Hof mit einem Brunnen in der Mitte und zeigt sich innen als zweistöckiges
Gebäude, das auf allen Seiten gewölbte Zellen nach dem Hofe zu öffnet.
Vor ihnen läuft oben und unten ein hofwärts offner Korridor, der innen durch
Säulen, die von Kielbogen überspannt sind, abgegrenzt ist. Die Zellen haben
mit Papier überklebte Fenster und bestehn aus einem oder zwei Räumen über¬
einander. Sie sind Eigentum der Studenten, die in ihnen solange Hausen, bis
sie einen zahlungsfähigen Käufer finden, der ihnen genug gibt, um aus der
behaglichen Faulenzerei der Studienjahre den Sprung in das Erwerbsleben oder
den Dienst der Religion zu wagen. Manches bemooste Haupt verträumt dort
den besten Teil seines Lebens und hat in den vielen Jahren seiner Lernzeit nicht
viel mehr gehört und gelesen als den Koran. Er ist freilich ein Buch voll
tiefer Lebensweisheit und praktischer Lebensregeln, in das sich zu vertiefen auch
einem Christenmenschen nicht schadet.

Hoch befriedigt fuhren wir in der Abendkühle nach Kagan zurück, gerade
noch rechtzeitig und buchstäblich vor Torschluß, durch die mohammedanische
Solidität rettungslos dem Hotel Jewropa geopfert, das jedenfalls nicht dazu
angetan war, uns zu besondrer Fröhlichkeit anzuregen. Ein Glück wars, daß
die Apanagenweine auch hierhin vorgedrungen sind und zu erträglichem Preise
erstanden werden konnten. Rückblicke in die bucharische Geschichte kürzten die
Zeit. Die Seitenblicke auf russische Offiziere und bei ihnen sitzende unzweifel¬
hafte Damen waren weniger erfreulich.




Im Lande Buchara

früher die in einen Sack genähten Verbrecher herabgestürzt wurden. Seiner
gefälligen Form mit der ockergelben Formziegelbekleidung und der weit aus¬
kragenden blaugetönten Galerie sieht man die grause Bestimmung nicht an.
Dort nahebei wurden bei den Teppichverkäufern, deren Interesse der Automedou
mit oder ohne Absicht gefördert hatte, die ersten Geschäftsverbindungen ange¬
knüpft, indes wir Unbeteiligten von der klinkergepflasterten Estrade der Medrese
Mircharab einen neugierigen Blick in deren Inneres zu werfen suchten und sie
und die gegenüberliegende Kaljanmoschee von außen bewunderten. Die Moschee
zeigte an ihrer Fassade schöne emailartige Fayencefarbenbilder, zum Teil aller¬
dings verdorben, übermalt und ausgeflickt. Trotz der Gleichförmigkeit großer
Flächen wirkte sie nicht eintönig, ebensowenig wie die Vorderansicht der Medrese.
Schön ist der hellblaue Kachelbelag der Moscheekuppel, mit dem weithin sicht¬
baren Henkerturm, dem Manari-Kaljan, gepaart ein Wahrzeichen der Gegend.
Blau und ockergelb sind auffälligerweise die Hauptfarben, dem Blau des
Himmels und der Erdtönung entlehnt. In der Mitte der Medrese verschließt
das Tor das Innere unter einem mächtigen Kielbogen, dessen Pfeiler teilweise
noch schönen Kachelbelag aufweisen. Der Bau umfaßt einen weiten viereckigen
Hof mit einem Brunnen in der Mitte und zeigt sich innen als zweistöckiges
Gebäude, das auf allen Seiten gewölbte Zellen nach dem Hofe zu öffnet.
Vor ihnen läuft oben und unten ein hofwärts offner Korridor, der innen durch
Säulen, die von Kielbogen überspannt sind, abgegrenzt ist. Die Zellen haben
mit Papier überklebte Fenster und bestehn aus einem oder zwei Räumen über¬
einander. Sie sind Eigentum der Studenten, die in ihnen solange Hausen, bis
sie einen zahlungsfähigen Käufer finden, der ihnen genug gibt, um aus der
behaglichen Faulenzerei der Studienjahre den Sprung in das Erwerbsleben oder
den Dienst der Religion zu wagen. Manches bemooste Haupt verträumt dort
den besten Teil seines Lebens und hat in den vielen Jahren seiner Lernzeit nicht
viel mehr gehört und gelesen als den Koran. Er ist freilich ein Buch voll
tiefer Lebensweisheit und praktischer Lebensregeln, in das sich zu vertiefen auch
einem Christenmenschen nicht schadet.

Hoch befriedigt fuhren wir in der Abendkühle nach Kagan zurück, gerade
noch rechtzeitig und buchstäblich vor Torschluß, durch die mohammedanische
Solidität rettungslos dem Hotel Jewropa geopfert, das jedenfalls nicht dazu
angetan war, uns zu besondrer Fröhlichkeit anzuregen. Ein Glück wars, daß
die Apanagenweine auch hierhin vorgedrungen sind und zu erträglichem Preise
erstanden werden konnten. Rückblicke in die bucharische Geschichte kürzten die
Zeit. Die Seitenblicke auf russische Offiziere und bei ihnen sitzende unzweifel¬
hafte Damen waren weniger erfreulich.




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[0044] Im Lande Buchara früher die in einen Sack genähten Verbrecher herabgestürzt wurden. Seiner gefälligen Form mit der ockergelben Formziegelbekleidung und der weit aus¬ kragenden blaugetönten Galerie sieht man die grause Bestimmung nicht an. Dort nahebei wurden bei den Teppichverkäufern, deren Interesse der Automedou mit oder ohne Absicht gefördert hatte, die ersten Geschäftsverbindungen ange¬ knüpft, indes wir Unbeteiligten von der klinkergepflasterten Estrade der Medrese Mircharab einen neugierigen Blick in deren Inneres zu werfen suchten und sie und die gegenüberliegende Kaljanmoschee von außen bewunderten. Die Moschee zeigte an ihrer Fassade schöne emailartige Fayencefarbenbilder, zum Teil aller¬ dings verdorben, übermalt und ausgeflickt. Trotz der Gleichförmigkeit großer Flächen wirkte sie nicht eintönig, ebensowenig wie die Vorderansicht der Medrese. Schön ist der hellblaue Kachelbelag der Moscheekuppel, mit dem weithin sicht¬ baren Henkerturm, dem Manari-Kaljan, gepaart ein Wahrzeichen der Gegend. Blau und ockergelb sind auffälligerweise die Hauptfarben, dem Blau des Himmels und der Erdtönung entlehnt. In der Mitte der Medrese verschließt das Tor das Innere unter einem mächtigen Kielbogen, dessen Pfeiler teilweise noch schönen Kachelbelag aufweisen. Der Bau umfaßt einen weiten viereckigen Hof mit einem Brunnen in der Mitte und zeigt sich innen als zweistöckiges Gebäude, das auf allen Seiten gewölbte Zellen nach dem Hofe zu öffnet. Vor ihnen läuft oben und unten ein hofwärts offner Korridor, der innen durch Säulen, die von Kielbogen überspannt sind, abgegrenzt ist. Die Zellen haben mit Papier überklebte Fenster und bestehn aus einem oder zwei Räumen über¬ einander. Sie sind Eigentum der Studenten, die in ihnen solange Hausen, bis sie einen zahlungsfähigen Käufer finden, der ihnen genug gibt, um aus der behaglichen Faulenzerei der Studienjahre den Sprung in das Erwerbsleben oder den Dienst der Religion zu wagen. Manches bemooste Haupt verträumt dort den besten Teil seines Lebens und hat in den vielen Jahren seiner Lernzeit nicht viel mehr gehört und gelesen als den Koran. Er ist freilich ein Buch voll tiefer Lebensweisheit und praktischer Lebensregeln, in das sich zu vertiefen auch einem Christenmenschen nicht schadet. Hoch befriedigt fuhren wir in der Abendkühle nach Kagan zurück, gerade noch rechtzeitig und buchstäblich vor Torschluß, durch die mohammedanische Solidität rettungslos dem Hotel Jewropa geopfert, das jedenfalls nicht dazu angetan war, uns zu besondrer Fröhlichkeit anzuregen. Ein Glück wars, daß die Apanagenweine auch hierhin vorgedrungen sind und zu erträglichem Preise erstanden werden konnten. Rückblicke in die bucharische Geschichte kürzten die Zeit. Die Seitenblicke auf russische Offiziere und bei ihnen sitzende unzweifel¬ hafte Damen waren weniger erfreulich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/44>, abgerufen am 06.02.2025.