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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Im Lande Buchara

Auf meine Bitte hatte uns der russische Konsul und Resident, dem übrigens
auch die Prüfung unsrer Pässe vorbehalten war, einen Dshigiten zur Ver¬
fügung gestellt. In weiß und rot gestreiftem Chalat*), weißem Turban, peinlich
sauber, bildhübsch von Angesicht, tadellos gewachsen, in stoischer Ruhe gleich¬
mütig, beinahe etwas melancholisch aussehend und trotz dem schwarzen Voll¬
barte gar nicht martialisch, war er ein recht gutes Dekorationsstück. Aber
auch nichts mehr, denn er verstand kaum ein Wort russisch und wußte keines
zu reden.

Mit dem Dshigiten auf dem Bock rollten wir endlich gegen drei Uhr zu
unserm ersten Besuch in zwei der kleinen ortsüblichen Droschken auf der recht
guten Landstraße gen Buchara. Es war eine Chaussee, die sich mit den bessern
russischen Straßen mindestens messen kann, breit, fest und gut abgewässert.
Bald hinter dem Bahnhof steht ein moderner, europäisch eingerichteter und
persisch stilisierter Emirpalast, der aber nicht bewohnt ist. Drei Werst vor
Buchara liegt ein andres Schloß des Emirs, Schirbudun, die Sommerresideuz
des Vaters des jetzt regierenden Herrn. Von außen wie eine kleine Festung
anzusehen, mit hoher, allerdings teilweise verfallner Mauer umgeben und an
allen Ecken militärisch bewacht, setzt es den Besucher in Erstaunen durch eine
Farbenfreudigkeit des Aufbaus, die eben nur in Buchara möglich ist, und die
die verschiedenartige Gestaltung der Fassaden, Galerien und Säulengänge zu
besondrer Wirkung bringt. Die Pracht der persischen, afghanischen, indischen,
Buchara- und Tekinzenteppiche in den Gemächern soll ihresgleichen suchen und
auch durch die phantastischen Muster und Arabesken der Wandbekleidung und
die kunstvoll abwechslungsreiche Gestaltung der Deckenkonstruktionen keineswegs
verlieren. Ein schöner Park von üppig wachsenden Bäumen umgibt das Ganze
und ließ uns wieder einmal die frühe Reisezeit bedauern, denn ihm fehlte noch
der Schmuck des Laubes. Alljährlich finden in Schirbudun in der ersten Hälfte
des Aprils Volksfeste auf Kosten des Emirs statt, bei denen die harmloseste
Fröhlichkeit herrscht und der mohammedanische Zapfenstreich bei Sonnenunter¬
gang ausnahmsweise aufgehoben ist.

Unsre Fahrt bot mancherlei Neues. Reger Verkehr herrschte auf der Land¬
straße. Esel, Pferde, Kamele zogen als Last- und als Reittiere an uns
vorüber, fast nur im Schritt allerdings. Pferde und Esel leisten mit ihren
schwachen Kräften mehr, als man ihrem schlechtgepflegten Körper zutrauen sollte,
denn fast hinter jedem der mit hochgezognen Knien oben bockender Reiter war
ein zweiter aufgesessen. Von einem Seitenweg kam ein Leichenbegängnis im
Laufschritt, einige ledige Esel ohne Führer vorweg. Wir haben es im Kodak
festgehalten, mußten uns aber dem dadurch erregten Mißvergnügen durch eilige
Abfahrt entziehen. Ferner fielen uns die hohen zweirüdrigen Achskarren auf,
die als Lastwagen im ganzen Turkestnn östlich vom Ann reichlich Verwendung



*) Schlafrockähnliches Gewand.
Grenzboten II 1907S
Im Lande Buchara

Auf meine Bitte hatte uns der russische Konsul und Resident, dem übrigens
auch die Prüfung unsrer Pässe vorbehalten war, einen Dshigiten zur Ver¬
fügung gestellt. In weiß und rot gestreiftem Chalat*), weißem Turban, peinlich
sauber, bildhübsch von Angesicht, tadellos gewachsen, in stoischer Ruhe gleich¬
mütig, beinahe etwas melancholisch aussehend und trotz dem schwarzen Voll¬
barte gar nicht martialisch, war er ein recht gutes Dekorationsstück. Aber
auch nichts mehr, denn er verstand kaum ein Wort russisch und wußte keines
zu reden.

Mit dem Dshigiten auf dem Bock rollten wir endlich gegen drei Uhr zu
unserm ersten Besuch in zwei der kleinen ortsüblichen Droschken auf der recht
guten Landstraße gen Buchara. Es war eine Chaussee, die sich mit den bessern
russischen Straßen mindestens messen kann, breit, fest und gut abgewässert.
Bald hinter dem Bahnhof steht ein moderner, europäisch eingerichteter und
persisch stilisierter Emirpalast, der aber nicht bewohnt ist. Drei Werst vor
Buchara liegt ein andres Schloß des Emirs, Schirbudun, die Sommerresideuz
des Vaters des jetzt regierenden Herrn. Von außen wie eine kleine Festung
anzusehen, mit hoher, allerdings teilweise verfallner Mauer umgeben und an
allen Ecken militärisch bewacht, setzt es den Besucher in Erstaunen durch eine
Farbenfreudigkeit des Aufbaus, die eben nur in Buchara möglich ist, und die
die verschiedenartige Gestaltung der Fassaden, Galerien und Säulengänge zu
besondrer Wirkung bringt. Die Pracht der persischen, afghanischen, indischen,
Buchara- und Tekinzenteppiche in den Gemächern soll ihresgleichen suchen und
auch durch die phantastischen Muster und Arabesken der Wandbekleidung und
die kunstvoll abwechslungsreiche Gestaltung der Deckenkonstruktionen keineswegs
verlieren. Ein schöner Park von üppig wachsenden Bäumen umgibt das Ganze
und ließ uns wieder einmal die frühe Reisezeit bedauern, denn ihm fehlte noch
der Schmuck des Laubes. Alljährlich finden in Schirbudun in der ersten Hälfte
des Aprils Volksfeste auf Kosten des Emirs statt, bei denen die harmloseste
Fröhlichkeit herrscht und der mohammedanische Zapfenstreich bei Sonnenunter¬
gang ausnahmsweise aufgehoben ist.

Unsre Fahrt bot mancherlei Neues. Reger Verkehr herrschte auf der Land¬
straße. Esel, Pferde, Kamele zogen als Last- und als Reittiere an uns
vorüber, fast nur im Schritt allerdings. Pferde und Esel leisten mit ihren
schwachen Kräften mehr, als man ihrem schlechtgepflegten Körper zutrauen sollte,
denn fast hinter jedem der mit hochgezognen Knien oben bockender Reiter war
ein zweiter aufgesessen. Von einem Seitenweg kam ein Leichenbegängnis im
Laufschritt, einige ledige Esel ohne Führer vorweg. Wir haben es im Kodak
festgehalten, mußten uns aber dem dadurch erregten Mißvergnügen durch eilige
Abfahrt entziehen. Ferner fielen uns die hohen zweirüdrigen Achskarren auf,
die als Lastwagen im ganzen Turkestnn östlich vom Ann reichlich Verwendung



*) Schlafrockähnliches Gewand.
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[0041] Im Lande Buchara Auf meine Bitte hatte uns der russische Konsul und Resident, dem übrigens auch die Prüfung unsrer Pässe vorbehalten war, einen Dshigiten zur Ver¬ fügung gestellt. In weiß und rot gestreiftem Chalat*), weißem Turban, peinlich sauber, bildhübsch von Angesicht, tadellos gewachsen, in stoischer Ruhe gleich¬ mütig, beinahe etwas melancholisch aussehend und trotz dem schwarzen Voll¬ barte gar nicht martialisch, war er ein recht gutes Dekorationsstück. Aber auch nichts mehr, denn er verstand kaum ein Wort russisch und wußte keines zu reden. Mit dem Dshigiten auf dem Bock rollten wir endlich gegen drei Uhr zu unserm ersten Besuch in zwei der kleinen ortsüblichen Droschken auf der recht guten Landstraße gen Buchara. Es war eine Chaussee, die sich mit den bessern russischen Straßen mindestens messen kann, breit, fest und gut abgewässert. Bald hinter dem Bahnhof steht ein moderner, europäisch eingerichteter und persisch stilisierter Emirpalast, der aber nicht bewohnt ist. Drei Werst vor Buchara liegt ein andres Schloß des Emirs, Schirbudun, die Sommerresideuz des Vaters des jetzt regierenden Herrn. Von außen wie eine kleine Festung anzusehen, mit hoher, allerdings teilweise verfallner Mauer umgeben und an allen Ecken militärisch bewacht, setzt es den Besucher in Erstaunen durch eine Farbenfreudigkeit des Aufbaus, die eben nur in Buchara möglich ist, und die die verschiedenartige Gestaltung der Fassaden, Galerien und Säulengänge zu besondrer Wirkung bringt. Die Pracht der persischen, afghanischen, indischen, Buchara- und Tekinzenteppiche in den Gemächern soll ihresgleichen suchen und auch durch die phantastischen Muster und Arabesken der Wandbekleidung und die kunstvoll abwechslungsreiche Gestaltung der Deckenkonstruktionen keineswegs verlieren. Ein schöner Park von üppig wachsenden Bäumen umgibt das Ganze und ließ uns wieder einmal die frühe Reisezeit bedauern, denn ihm fehlte noch der Schmuck des Laubes. Alljährlich finden in Schirbudun in der ersten Hälfte des Aprils Volksfeste auf Kosten des Emirs statt, bei denen die harmloseste Fröhlichkeit herrscht und der mohammedanische Zapfenstreich bei Sonnenunter¬ gang ausnahmsweise aufgehoben ist. Unsre Fahrt bot mancherlei Neues. Reger Verkehr herrschte auf der Land¬ straße. Esel, Pferde, Kamele zogen als Last- und als Reittiere an uns vorüber, fast nur im Schritt allerdings. Pferde und Esel leisten mit ihren schwachen Kräften mehr, als man ihrem schlechtgepflegten Körper zutrauen sollte, denn fast hinter jedem der mit hochgezognen Knien oben bockender Reiter war ein zweiter aufgesessen. Von einem Seitenweg kam ein Leichenbegängnis im Laufschritt, einige ledige Esel ohne Führer vorweg. Wir haben es im Kodak festgehalten, mußten uns aber dem dadurch erregten Mißvergnügen durch eilige Abfahrt entziehen. Ferner fielen uns die hohen zweirüdrigen Achskarren auf, die als Lastwagen im ganzen Turkestnn östlich vom Ann reichlich Verwendung *) Schlafrockähnliches Gewand. Grenzboten II 1907S

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/41>, abgerufen am 06.02.2025.