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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Im Lande Buchara

drängenden Landeskindern umging, war immer reges Leben und viel kauder¬
welsche Verhandlung. Der Hüter der Ordnung bekreuzte sich ob des Unver¬
standes, der Beamte an der Kasse aber war jedenfalls mit Engelsgeduld be¬
müht, die immer wiederkehrenden Fragen zu beantworten und die kupfernen
Pubis (etwa Pfennig) und die silbernen Tengas (32 Pfennige) zu häufen
und russisches und persisches Geld in die Tengarechnung umzusetzen. So ver¬
langt es der Lokalverkehr. Im Gegensatz dazu sind die Händler jedenfalls nicht
spröde, wenn sie gutes russisches Geld bekommen, und sehen es gern, wenn der
Segen recht reichlich ausfällt.

Zunächst galt es, im russischen Neu-Bucham ein Unterkommen zu suchen,
was nicht ganz leicht ist. In Alt-Buchara in einer Karawanserei zu wohnen,
ist eine Liebhaberei, deren Freuden zu kosten wir uns nicht veranlaßt sahen.
So suchten wir denn die von allen ähnlichen Instituten am wenigsten übel
berühmte Gostinniza Jewropa auf und wurden auf Abschlag zu fünft in ein
Zimmerchen gesperrt, worin sonst die Familienangelegenheiten der Besitzerin er¬
ledigt werden, und worin sich eine Hauskatze wenig gebildet betragen hatte.
Ein weiteres Zimmer wurde verheißen, aber freilich einigermaßen unsicher, da
die übrigen Gemächer von den Mitgliedern eines auf dem Hofe des Gasthauses
ausgeschlagnen Zirkus und von verschiednen Händlern besetzt waren. Eine
Königsbergerin war die glückliche Besitzerin dieses "erstklassiger Etablissements",
eine mißvergnügte Person, die kein Bedenken trug, ihren deutschen Landsleuten
den Geldbeutel möglichst zu erleichtern und von der üblichen Freude des
Deutschen im Auslande, wenn er Landsleute sieht, rein gar nichts merken ließ. -

Um uns Geld zu verschaffen, mußten wir zunächst eine Fahrt über die
schlammbedeckten Straßen zur Moskaner internationalen Handelsbank unter¬
nehmen. Hier war ein freundlicher, gefälliger Beamter eifrig bemüht, uns gute
Ratschlüge für Alt-Buchara zu geben und für alle Fülle an seine dortige
Filiale zu verweisen. Neu-Buchara präsentierte sich auf dieser Fahrt als eine
wenig ansprechende, einer neuerstandnen amerikanischen Stadt vergleichbare An¬
lage mit unglaublich breiten, völlig unbefestigten regelmäßigen und geraden
Straßen, zu denen die Häuser in ihrer einstöckigen Bauart in keinem nur an¬
nähernd richtigen Größenverhältnis stehn. Nur das neue Reichsbankgebäude
macht eine rühmliche Ausnahme, und die Wohnung des russischen Residenten
könnte sich einigermaßen sehen lassen. Während die Gefährten ruhten, hieß es
für mich, dem russischen Residenten die Aufwartung machen. Da habe ich mein
Amt, das des Dragomans, zum erstenmal verwünscht. Zum Dank mußte ich
den Vorwurf über mich ergehn lassen, für Buchara nicht genügend Zeit ge¬
währt zu haben. Von dem dafür bestimmten ersten Tage war allerdings durch
Zugverspätung und diese Fahrten so viel verloren gegangen, daß wir nur
knappe Zeit zu einer Orientierungsfahrt nach Alt-Buchara übrig hatten. Denn
mit Sonnenuntergang erstirbt ja auch hier alles Leben in der Öffentlichkeit, da
der Muselmann danach in Haus und Harem gehört.


Im Lande Buchara

drängenden Landeskindern umging, war immer reges Leben und viel kauder¬
welsche Verhandlung. Der Hüter der Ordnung bekreuzte sich ob des Unver¬
standes, der Beamte an der Kasse aber war jedenfalls mit Engelsgeduld be¬
müht, die immer wiederkehrenden Fragen zu beantworten und die kupfernen
Pubis (etwa Pfennig) und die silbernen Tengas (32 Pfennige) zu häufen
und russisches und persisches Geld in die Tengarechnung umzusetzen. So ver¬
langt es der Lokalverkehr. Im Gegensatz dazu sind die Händler jedenfalls nicht
spröde, wenn sie gutes russisches Geld bekommen, und sehen es gern, wenn der
Segen recht reichlich ausfällt.

Zunächst galt es, im russischen Neu-Bucham ein Unterkommen zu suchen,
was nicht ganz leicht ist. In Alt-Buchara in einer Karawanserei zu wohnen,
ist eine Liebhaberei, deren Freuden zu kosten wir uns nicht veranlaßt sahen.
So suchten wir denn die von allen ähnlichen Instituten am wenigsten übel
berühmte Gostinniza Jewropa auf und wurden auf Abschlag zu fünft in ein
Zimmerchen gesperrt, worin sonst die Familienangelegenheiten der Besitzerin er¬
ledigt werden, und worin sich eine Hauskatze wenig gebildet betragen hatte.
Ein weiteres Zimmer wurde verheißen, aber freilich einigermaßen unsicher, da
die übrigen Gemächer von den Mitgliedern eines auf dem Hofe des Gasthauses
ausgeschlagnen Zirkus und von verschiednen Händlern besetzt waren. Eine
Königsbergerin war die glückliche Besitzerin dieses „erstklassiger Etablissements",
eine mißvergnügte Person, die kein Bedenken trug, ihren deutschen Landsleuten
den Geldbeutel möglichst zu erleichtern und von der üblichen Freude des
Deutschen im Auslande, wenn er Landsleute sieht, rein gar nichts merken ließ. -

Um uns Geld zu verschaffen, mußten wir zunächst eine Fahrt über die
schlammbedeckten Straßen zur Moskaner internationalen Handelsbank unter¬
nehmen. Hier war ein freundlicher, gefälliger Beamter eifrig bemüht, uns gute
Ratschlüge für Alt-Buchara zu geben und für alle Fülle an seine dortige
Filiale zu verweisen. Neu-Buchara präsentierte sich auf dieser Fahrt als eine
wenig ansprechende, einer neuerstandnen amerikanischen Stadt vergleichbare An¬
lage mit unglaublich breiten, völlig unbefestigten regelmäßigen und geraden
Straßen, zu denen die Häuser in ihrer einstöckigen Bauart in keinem nur an¬
nähernd richtigen Größenverhältnis stehn. Nur das neue Reichsbankgebäude
macht eine rühmliche Ausnahme, und die Wohnung des russischen Residenten
könnte sich einigermaßen sehen lassen. Während die Gefährten ruhten, hieß es
für mich, dem russischen Residenten die Aufwartung machen. Da habe ich mein
Amt, das des Dragomans, zum erstenmal verwünscht. Zum Dank mußte ich
den Vorwurf über mich ergehn lassen, für Buchara nicht genügend Zeit ge¬
währt zu haben. Von dem dafür bestimmten ersten Tage war allerdings durch
Zugverspätung und diese Fahrten so viel verloren gegangen, daß wir nur
knappe Zeit zu einer Orientierungsfahrt nach Alt-Buchara übrig hatten. Denn
mit Sonnenuntergang erstirbt ja auch hier alles Leben in der Öffentlichkeit, da
der Muselmann danach in Haus und Harem gehört.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/40>, abgerufen am 06.02.2025.