Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Lande Buchara

Nach dem Passieren der gefährlichen Wüstenstrecke von Farnb sind wir
endlich im Gebiet des Serafschan angelangt. Ehemals ein Zufluß des Amu-
Darja, nimmt er jetzt in den Feldern von Buchara ein trauriges Ende. Aber
er hat seine Schuldigkeit getan, und kein Tropfen seines Wassers ist vergeudet.
Von der Alaikette kommend, versorgt er auf seinem Laufe durch das Gebiet
Ssamarkand die Kreise Ssamarkand und Kattci-Kurgan mit seinem Fruchtbarkeit
spendenden Naß.

Nur das letzte Drittel bleibt für Buchara. Was damit geleistet wird, ist
geradezu glänzend. Schon bei der Station Karakul sind ausgedehnte Baum¬
wollkulturen vorhanden. Und die Annenkoffsche Schaumweinfabrik gründet ihre
Produktion auf einen billigen Landwein, der hier vorzüglich gedeiht. Je mehr
wir uns Buchara nähern, um so gartenähnlicher wird die Landschaft. Baum¬
wollen-, auch Reisfelder, Gartenkulturen und Weinpflanzungen beschränken den
Getreidebau. Nur Weizen wird in namhaften Mengen gebaut, aber auch uur
für den eignen Bedarf des Volkes, ebenso wie Hirse, Gerste und Flachs in den
gebirgigen Teilen des Landes, denn nicht alles Land ist anbaufähiger Boden.
Steppe und Wüste grenzen im Norden an das Flachland und sind im Vor¬
schreiten begriffen, weil der Serafschan nicht mehr wie einst als bedeutender
Nebenfluß den Ann zu erreichen und diese Gebiete zu bewässern vermag.

Buchara ist jetzt ein friedliches Land, wo bei auffällig guter staatlicher
Ordnung ein reges Erwerbsleben herrscht. Auf drei Seiten von russischem
Kolonialbesitz umschlossen und von Süden her durch einen unruhigen Nachbar
bedroht, ist es ganz auf das russische Staatsinteresse eingeschworen und kann
als zuverlässiger Vasallenstaat angesehen werden. Freilich hat es ernstliche Kämpfe
gekostet, ehe es soweit gekommen ist. Überhaupt weiß die Geschichte des Landes
von mancherlei Wandlungen zu erzählen, die die Völkerwellen auf dem Wege
vom Orient zum Occident und umgekehrt gebracht haben. Trotz des ausge¬
sprochen kontinentalen Klimas und seiner strengen Winter vermochte es Wohl
zum Bleiben zu locken. Eine Türkenherrschaft im sechsten und im siebenten
Jahrhundert wurde abgelöst durch die Araber, die sich bis zum neunten Jahr¬
hundert hielten. Sie brachten den Islam und gründeten Moscheen an der
Stätte alter Götterverehrung. Unter der ihnen folgenden Ssamanidendynastie
(von 873 bis 1004) wurde Buchara an Stelle von Ssamarkand zur Haupt¬
stadt erhoben und blieb es auch in dem sich bis 1133 behauptenden Seld-
schnkkenreiche. Nach einem kurzen Intermezzo, währenddessen die Chiwesen
herrschten, wurde Buchara auf drei Jahrhunderte den Mongolen Untertan. Der
Begründer von deren zweiter Dynastie, der große Timur, verlegte aber seine
Residenz nach Ssamarkand zurück. An die Stelle der Mongolen treten als
Herren des Landes um das Jahr 1500 die Usbeken unter den Scheibaniden.
Diese wurden von den Aschtarchcmiden und diese wieder von der Mangyt-
dynastie abgelöst, deren Abkömmling Ssejid-Abdul-Achat-Bogodur-Khan als
Selbstherrscher seit 1885 regiert hat. In der Periode der russischen Eroberungs-
zuge der sechziger Jahre stand Buchara fest zu Rußlands Feinden, bis sein


Im Lande Buchara

Nach dem Passieren der gefährlichen Wüstenstrecke von Farnb sind wir
endlich im Gebiet des Serafschan angelangt. Ehemals ein Zufluß des Amu-
Darja, nimmt er jetzt in den Feldern von Buchara ein trauriges Ende. Aber
er hat seine Schuldigkeit getan, und kein Tropfen seines Wassers ist vergeudet.
Von der Alaikette kommend, versorgt er auf seinem Laufe durch das Gebiet
Ssamarkand die Kreise Ssamarkand und Kattci-Kurgan mit seinem Fruchtbarkeit
spendenden Naß.

Nur das letzte Drittel bleibt für Buchara. Was damit geleistet wird, ist
geradezu glänzend. Schon bei der Station Karakul sind ausgedehnte Baum¬
wollkulturen vorhanden. Und die Annenkoffsche Schaumweinfabrik gründet ihre
Produktion auf einen billigen Landwein, der hier vorzüglich gedeiht. Je mehr
wir uns Buchara nähern, um so gartenähnlicher wird die Landschaft. Baum¬
wollen-, auch Reisfelder, Gartenkulturen und Weinpflanzungen beschränken den
Getreidebau. Nur Weizen wird in namhaften Mengen gebaut, aber auch uur
für den eignen Bedarf des Volkes, ebenso wie Hirse, Gerste und Flachs in den
gebirgigen Teilen des Landes, denn nicht alles Land ist anbaufähiger Boden.
Steppe und Wüste grenzen im Norden an das Flachland und sind im Vor¬
schreiten begriffen, weil der Serafschan nicht mehr wie einst als bedeutender
Nebenfluß den Ann zu erreichen und diese Gebiete zu bewässern vermag.

Buchara ist jetzt ein friedliches Land, wo bei auffällig guter staatlicher
Ordnung ein reges Erwerbsleben herrscht. Auf drei Seiten von russischem
Kolonialbesitz umschlossen und von Süden her durch einen unruhigen Nachbar
bedroht, ist es ganz auf das russische Staatsinteresse eingeschworen und kann
als zuverlässiger Vasallenstaat angesehen werden. Freilich hat es ernstliche Kämpfe
gekostet, ehe es soweit gekommen ist. Überhaupt weiß die Geschichte des Landes
von mancherlei Wandlungen zu erzählen, die die Völkerwellen auf dem Wege
vom Orient zum Occident und umgekehrt gebracht haben. Trotz des ausge¬
sprochen kontinentalen Klimas und seiner strengen Winter vermochte es Wohl
zum Bleiben zu locken. Eine Türkenherrschaft im sechsten und im siebenten
Jahrhundert wurde abgelöst durch die Araber, die sich bis zum neunten Jahr¬
hundert hielten. Sie brachten den Islam und gründeten Moscheen an der
Stätte alter Götterverehrung. Unter der ihnen folgenden Ssamanidendynastie
(von 873 bis 1004) wurde Buchara an Stelle von Ssamarkand zur Haupt¬
stadt erhoben und blieb es auch in dem sich bis 1133 behauptenden Seld-
schnkkenreiche. Nach einem kurzen Intermezzo, währenddessen die Chiwesen
herrschten, wurde Buchara auf drei Jahrhunderte den Mongolen Untertan. Der
Begründer von deren zweiter Dynastie, der große Timur, verlegte aber seine
Residenz nach Ssamarkand zurück. An die Stelle der Mongolen treten als
Herren des Landes um das Jahr 1500 die Usbeken unter den Scheibaniden.
Diese wurden von den Aschtarchcmiden und diese wieder von der Mangyt-
dynastie abgelöst, deren Abkömmling Ssejid-Abdul-Achat-Bogodur-Khan als
Selbstherrscher seit 1885 regiert hat. In der Periode der russischen Eroberungs-
zuge der sechziger Jahre stand Buchara fest zu Rußlands Feinden, bis sein


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302026"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Lande Buchara</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_88"> Nach dem Passieren der gefährlichen Wüstenstrecke von Farnb sind wir<lb/>
endlich im Gebiet des Serafschan angelangt. Ehemals ein Zufluß des Amu-<lb/>
Darja, nimmt er jetzt in den Feldern von Buchara ein trauriges Ende. Aber<lb/>
er hat seine Schuldigkeit getan, und kein Tropfen seines Wassers ist vergeudet.<lb/>
Von der Alaikette kommend, versorgt er auf seinem Laufe durch das Gebiet<lb/>
Ssamarkand die Kreise Ssamarkand und Kattci-Kurgan mit seinem Fruchtbarkeit<lb/>
spendenden Naß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_89"> Nur das letzte Drittel bleibt für Buchara. Was damit geleistet wird, ist<lb/>
geradezu glänzend. Schon bei der Station Karakul sind ausgedehnte Baum¬<lb/>
wollkulturen vorhanden. Und die Annenkoffsche Schaumweinfabrik gründet ihre<lb/>
Produktion auf einen billigen Landwein, der hier vorzüglich gedeiht. Je mehr<lb/>
wir uns Buchara nähern, um so gartenähnlicher wird die Landschaft. Baum¬<lb/>
wollen-, auch Reisfelder, Gartenkulturen und Weinpflanzungen beschränken den<lb/>
Getreidebau. Nur Weizen wird in namhaften Mengen gebaut, aber auch uur<lb/>
für den eignen Bedarf des Volkes, ebenso wie Hirse, Gerste und Flachs in den<lb/>
gebirgigen Teilen des Landes, denn nicht alles Land ist anbaufähiger Boden.<lb/>
Steppe und Wüste grenzen im Norden an das Flachland und sind im Vor¬<lb/>
schreiten begriffen, weil der Serafschan nicht mehr wie einst als bedeutender<lb/>
Nebenfluß den Ann zu erreichen und diese Gebiete zu bewässern vermag.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_90" next="#ID_91"> Buchara ist jetzt ein friedliches Land, wo bei auffällig guter staatlicher<lb/>
Ordnung ein reges Erwerbsleben herrscht. Auf drei Seiten von russischem<lb/>
Kolonialbesitz umschlossen und von Süden her durch einen unruhigen Nachbar<lb/>
bedroht, ist es ganz auf das russische Staatsinteresse eingeschworen und kann<lb/>
als zuverlässiger Vasallenstaat angesehen werden. Freilich hat es ernstliche Kämpfe<lb/>
gekostet, ehe es soweit gekommen ist. Überhaupt weiß die Geschichte des Landes<lb/>
von mancherlei Wandlungen zu erzählen, die die Völkerwellen auf dem Wege<lb/>
vom Orient zum Occident und umgekehrt gebracht haben. Trotz des ausge¬<lb/>
sprochen kontinentalen Klimas und seiner strengen Winter vermochte es Wohl<lb/>
zum Bleiben zu locken. Eine Türkenherrschaft im sechsten und im siebenten<lb/>
Jahrhundert wurde abgelöst durch die Araber, die sich bis zum neunten Jahr¬<lb/>
hundert hielten. Sie brachten den Islam und gründeten Moscheen an der<lb/>
Stätte alter Götterverehrung. Unter der ihnen folgenden Ssamanidendynastie<lb/>
(von 873 bis 1004) wurde Buchara an Stelle von Ssamarkand zur Haupt¬<lb/>
stadt erhoben und blieb es auch in dem sich bis 1133 behauptenden Seld-<lb/>
schnkkenreiche. Nach einem kurzen Intermezzo, währenddessen die Chiwesen<lb/>
herrschten, wurde Buchara auf drei Jahrhunderte den Mongolen Untertan. Der<lb/>
Begründer von deren zweiter Dynastie, der große Timur, verlegte aber seine<lb/>
Residenz nach Ssamarkand zurück. An die Stelle der Mongolen treten als<lb/>
Herren des Landes um das Jahr 1500 die Usbeken unter den Scheibaniden.<lb/>
Diese wurden von den Aschtarchcmiden und diese wieder von der Mangyt-<lb/>
dynastie abgelöst, deren Abkömmling Ssejid-Abdul-Achat-Bogodur-Khan als<lb/>
Selbstherrscher seit 1885 regiert hat. In der Periode der russischen Eroberungs-<lb/>
zuge der sechziger Jahre stand Buchara fest zu Rußlands Feinden, bis sein</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Im Lande Buchara Nach dem Passieren der gefährlichen Wüstenstrecke von Farnb sind wir endlich im Gebiet des Serafschan angelangt. Ehemals ein Zufluß des Amu- Darja, nimmt er jetzt in den Feldern von Buchara ein trauriges Ende. Aber er hat seine Schuldigkeit getan, und kein Tropfen seines Wassers ist vergeudet. Von der Alaikette kommend, versorgt er auf seinem Laufe durch das Gebiet Ssamarkand die Kreise Ssamarkand und Kattci-Kurgan mit seinem Fruchtbarkeit spendenden Naß. Nur das letzte Drittel bleibt für Buchara. Was damit geleistet wird, ist geradezu glänzend. Schon bei der Station Karakul sind ausgedehnte Baum¬ wollkulturen vorhanden. Und die Annenkoffsche Schaumweinfabrik gründet ihre Produktion auf einen billigen Landwein, der hier vorzüglich gedeiht. Je mehr wir uns Buchara nähern, um so gartenähnlicher wird die Landschaft. Baum¬ wollen-, auch Reisfelder, Gartenkulturen und Weinpflanzungen beschränken den Getreidebau. Nur Weizen wird in namhaften Mengen gebaut, aber auch uur für den eignen Bedarf des Volkes, ebenso wie Hirse, Gerste und Flachs in den gebirgigen Teilen des Landes, denn nicht alles Land ist anbaufähiger Boden. Steppe und Wüste grenzen im Norden an das Flachland und sind im Vor¬ schreiten begriffen, weil der Serafschan nicht mehr wie einst als bedeutender Nebenfluß den Ann zu erreichen und diese Gebiete zu bewässern vermag. Buchara ist jetzt ein friedliches Land, wo bei auffällig guter staatlicher Ordnung ein reges Erwerbsleben herrscht. Auf drei Seiten von russischem Kolonialbesitz umschlossen und von Süden her durch einen unruhigen Nachbar bedroht, ist es ganz auf das russische Staatsinteresse eingeschworen und kann als zuverlässiger Vasallenstaat angesehen werden. Freilich hat es ernstliche Kämpfe gekostet, ehe es soweit gekommen ist. Überhaupt weiß die Geschichte des Landes von mancherlei Wandlungen zu erzählen, die die Völkerwellen auf dem Wege vom Orient zum Occident und umgekehrt gebracht haben. Trotz des ausge¬ sprochen kontinentalen Klimas und seiner strengen Winter vermochte es Wohl zum Bleiben zu locken. Eine Türkenherrschaft im sechsten und im siebenten Jahrhundert wurde abgelöst durch die Araber, die sich bis zum neunten Jahr¬ hundert hielten. Sie brachten den Islam und gründeten Moscheen an der Stätte alter Götterverehrung. Unter der ihnen folgenden Ssamanidendynastie (von 873 bis 1004) wurde Buchara an Stelle von Ssamarkand zur Haupt¬ stadt erhoben und blieb es auch in dem sich bis 1133 behauptenden Seld- schnkkenreiche. Nach einem kurzen Intermezzo, währenddessen die Chiwesen herrschten, wurde Buchara auf drei Jahrhunderte den Mongolen Untertan. Der Begründer von deren zweiter Dynastie, der große Timur, verlegte aber seine Residenz nach Ssamarkand zurück. An die Stelle der Mongolen treten als Herren des Landes um das Jahr 1500 die Usbeken unter den Scheibaniden. Diese wurden von den Aschtarchcmiden und diese wieder von der Mangyt- dynastie abgelöst, deren Abkömmling Ssejid-Abdul-Achat-Bogodur-Khan als Selbstherrscher seit 1885 regiert hat. In der Periode der russischen Eroberungs- zuge der sechziger Jahre stand Buchara fest zu Rußlands Feinden, bis sein

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/38>, abgerufen am 06.02.2025.