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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Im Lande Buchara

Die neue Stadt gruppiert sich um deu Bahnhof und verrät durch ihre
Schuppen, Magazine und Kaufhäuser, daß in ihr ein wichtiger Umlageplatz
entstanden ist. Die Handels- und Schiffahrtsgesellschaft Kawkas i Merkuri ist
natürlich vertreten, wie ihr großes Firmenschild an der Eisenbahn verkündet.
Garten- und Baumanlagen zeigen, daß es sich der Russe in kurzer Zeit ge¬
mütlich zu machen verstanden hat. Die neue 1600 Meter lange Ann-Darja-
brücke stellt seiner Kulturarbeit ein recht günstiges Zeugnis. Mit der Unter¬
kante des die Fahrbahn tragenden Untergurtes immer noch sechs Meter über
dem höchsten beobachteten Wasserstande ruht sie auf gut fundierten, gemauerten
Doppelsüulen, eine Eisenkonstrnktion, bei der der nötige Eindruck der Solidität
für meinen Geschmack durch das ohrenbetäubende Geklapper des Eisenplatten¬
belags etwas beeinträchtigt wird. Nach zweieinhalbjähriger Bauzeit ist sie An¬
fang Juni 1901 dem Verkehr übergeben worden.

Die ursprüngliche Brücke, etwas oberhalb der jetzigen, war eine Pfahljoch¬
konstruktion, deren Spannungen durch Sprengewerke genügend tragfühig gemacht
worden waren. Noch stehn an beiden Ufern die Reste dieses Baues, der eben¬
falls der Bauleitung alle Ehre gemacht hat. Die russischen Bahnbauten zeigen
durchweg dieselbe Eigentümlichkeit. Damit sie das Fortschreiten des Schienen¬
wegs nicht aufhalten, werden alle Brücken zuerst in Holz hergestellt und all¬
mählich, vielfach erst nach der Betriebseröffnung durch Eisenkonstruktionen er¬
setzt. An der Jenisseibrücke ist eigens zu diesem Zweck ein Eisenwerk entstanden,
das die Eisenteile liefern soll.

Unter den Brücken wälzt der Ann-Darja, der Oxus der Alten, in flachem,
kaum mehr als zwei Meter tiefem, sich oft verändernden und nach Osten ab¬
gedeichtem und mit Buhnen versehenem Flußbett seine gelben Fluten zum Aralsee.
Wir spähten nach der berühmten Ann-Darjaflottille, sind aber nicht sicher, ob wir
sie in den wenigen in einiger Entfernung am Ufer liegenden Dampferchen richtig
gesichtet haben. Seitdem ein leistungsfähiger Schienenstrang Buchara sichrer mit
Rußland verbunden hat, als es alle Verträge tun können, hat sie viel von ihrer
militärischen Wichtigkeit verloren, dagegen an Bedeutung für den Verkehr ge¬
wonnen. Und es mag auch jetzt nicht unnützlich sein, an den stromauf und -ab
gelegnen Siedlungen den Anwohnern, besonders den Chiwesen zu zeigen, daß
Väterchen Zars Arm ziemlich lang ist. Immerhin ein Beispiel, wie sich Zwecke
des Kriegs und des Friedens in einem Instrument vereinigen lassen.

Wir sind im Khanat Buchara, das sich weislich den Kulturstreifcn am
linken Ufer des Stromes zu erhalten gewußt hat. Jetzt auf dem rechten Ufer
werden wirs gewahr an den Stativnsbauteu. Weniger ansprechend vielleicht
als die bisher bewunderten Gebäude in Transkaspien, sind sie doch auch hier
sauber und gefällig und künden mit ihrer bunten Fayence wie unsre Postge-
bäude von dem sachlich richtigen Bestreben, den örtlichen Baustil nachzuahmen,
sich dem Geschmack der Bevölkerung anzupassen und ihn gelegentlich durch weitere
Durchbildung zu veredeln.


Im Lande Buchara

Die neue Stadt gruppiert sich um deu Bahnhof und verrät durch ihre
Schuppen, Magazine und Kaufhäuser, daß in ihr ein wichtiger Umlageplatz
entstanden ist. Die Handels- und Schiffahrtsgesellschaft Kawkas i Merkuri ist
natürlich vertreten, wie ihr großes Firmenschild an der Eisenbahn verkündet.
Garten- und Baumanlagen zeigen, daß es sich der Russe in kurzer Zeit ge¬
mütlich zu machen verstanden hat. Die neue 1600 Meter lange Ann-Darja-
brücke stellt seiner Kulturarbeit ein recht günstiges Zeugnis. Mit der Unter¬
kante des die Fahrbahn tragenden Untergurtes immer noch sechs Meter über
dem höchsten beobachteten Wasserstande ruht sie auf gut fundierten, gemauerten
Doppelsüulen, eine Eisenkonstrnktion, bei der der nötige Eindruck der Solidität
für meinen Geschmack durch das ohrenbetäubende Geklapper des Eisenplatten¬
belags etwas beeinträchtigt wird. Nach zweieinhalbjähriger Bauzeit ist sie An¬
fang Juni 1901 dem Verkehr übergeben worden.

Die ursprüngliche Brücke, etwas oberhalb der jetzigen, war eine Pfahljoch¬
konstruktion, deren Spannungen durch Sprengewerke genügend tragfühig gemacht
worden waren. Noch stehn an beiden Ufern die Reste dieses Baues, der eben¬
falls der Bauleitung alle Ehre gemacht hat. Die russischen Bahnbauten zeigen
durchweg dieselbe Eigentümlichkeit. Damit sie das Fortschreiten des Schienen¬
wegs nicht aufhalten, werden alle Brücken zuerst in Holz hergestellt und all¬
mählich, vielfach erst nach der Betriebseröffnung durch Eisenkonstruktionen er¬
setzt. An der Jenisseibrücke ist eigens zu diesem Zweck ein Eisenwerk entstanden,
das die Eisenteile liefern soll.

Unter den Brücken wälzt der Ann-Darja, der Oxus der Alten, in flachem,
kaum mehr als zwei Meter tiefem, sich oft verändernden und nach Osten ab¬
gedeichtem und mit Buhnen versehenem Flußbett seine gelben Fluten zum Aralsee.
Wir spähten nach der berühmten Ann-Darjaflottille, sind aber nicht sicher, ob wir
sie in den wenigen in einiger Entfernung am Ufer liegenden Dampferchen richtig
gesichtet haben. Seitdem ein leistungsfähiger Schienenstrang Buchara sichrer mit
Rußland verbunden hat, als es alle Verträge tun können, hat sie viel von ihrer
militärischen Wichtigkeit verloren, dagegen an Bedeutung für den Verkehr ge¬
wonnen. Und es mag auch jetzt nicht unnützlich sein, an den stromauf und -ab
gelegnen Siedlungen den Anwohnern, besonders den Chiwesen zu zeigen, daß
Väterchen Zars Arm ziemlich lang ist. Immerhin ein Beispiel, wie sich Zwecke
des Kriegs und des Friedens in einem Instrument vereinigen lassen.

Wir sind im Khanat Buchara, das sich weislich den Kulturstreifcn am
linken Ufer des Stromes zu erhalten gewußt hat. Jetzt auf dem rechten Ufer
werden wirs gewahr an den Stativnsbauteu. Weniger ansprechend vielleicht
als die bisher bewunderten Gebäude in Transkaspien, sind sie doch auch hier
sauber und gefällig und künden mit ihrer bunten Fayence wie unsre Postge-
bäude von dem sachlich richtigen Bestreben, den örtlichen Baustil nachzuahmen,
sich dem Geschmack der Bevölkerung anzupassen und ihn gelegentlich durch weitere
Durchbildung zu veredeln.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/37>, abgerufen am 05.02.2025.