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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland in französischer Beleuchtung

Dem Franzosen scheint es in der Tat an geschichtlicher Vorbildung zu
fehlen, denn sonst müßte er wissen, daß die Hansen schon zu einer Zeit eine
Kanffahrteiflotte besaßen, als in England noch kein einziges Seeschiff gebaut
wurde, und daß die Deutschen lediglich durch kriegerisches Mißgeschick ohne
Ende aus der Seeschiffahrt ausgeschaltet und an der Beendigung ihrer natür¬
lichen Anlagen zum Welthandel verhindert wurden, daß also das Wiederauf¬
leben des alten hanseatischen Geistes uach Wegfall dieses äußern Zwanges und
nach endlich wiedergewonnener Unabhängigkeit vom Auslande eine ganz natür¬
liche Erscheinung war. Es ist allerdings eine eigentümliche Fügung des Schick¬
sals, daß jetzt gerade England am schmerzlichste,: unsre erneute Teilnahme am
Welthandel empfindet, dasselbe Land, dessen Produkte zum erstenmal in die
Außenwelt gelangten zu jener Zeit, als die Könige von England durch Be¬
günstigungen aller Art die deutschen Kaufleute zur Anlegung von Niederlassungen
in ihrem Lande anregten.

Da diese Tatsachen immer noch viel zu wenig bekannt sind, soll hier auf
die wechselnde Teilnahme der einzelnen Völker am Welthandel etwas näher
eingegangen werden, in der Hoffnung, daß Herr Huret bei der Buchausgabe
seines Reiseberichtes dies beherzigen möge. Während also die Hansen den
Seehandel monopolisierten und an einem Hafenplatze nach dem andern ihre
Niederlassungen begründetet!, blieb England lange Zeit ein reiner Agrikultnr-
staat, der den Hansen Unterhalt- und Bergwerksprodukte lieferte und dafür
Manufakturwaren von ihnen bezog. Drei Jahrhunderte lang dauerte dieser
Verkehr, und erst 1597 wurden durch die Königin Elisabeth die Privilegien
der Hansen und des deutschen Stahlhvfes in London für immer beseitigt. Die
Zerstörung Antwerpens im Jahre 1585, die Vernichtung der spanischen Armada
und der Dreißigjährige Krieg Deutschlands schufen für den englischen See¬
handel freie Bahn und ermöglichten zugleich die nun stetig wachsende Aus¬
dehnung des englischen Kolonialbesitzes über alle Teile der Erde. Das riesen¬
hafte Emporblühen seiner allen Ländern vorauseilenden Großindustrie hatte
England denn auch im wesentlichen seiner Suprematie im Welthandel zu ver¬
danken. Besonders segensreich für das englische Seewesen war aber die Re¬
gierung Cromwells, der 1651 durch die Navigationsakte und die bald darauf
crfochtnen Seesiegc die bis dahin zur See allmächtigen Holländer, die Nach¬
folger der alten Hansen, aus dem Wettbewerbe verdrängte und sie zur Ab¬
tretung New-Yorks zwang.

Der Verkehr zwischen den verschiednen Häfen Englands sowohl als auch
Portugals und Spaniens und den Kolonien dieser Staaten war nur den
Schiffen des eignet! Landes vorbehalten. Erst die Unabhängigkeitserklärungen
der Vereinigten Staaten und der latino-amerikanischen Republiken haben zu
Anfang des vorigen Jahrhunderts eine Beseitigung dieses starren egoistischen
Handelssystems gebracht, und England hat es sogar erst in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts aufgegeben. Von einer selbständigen Beteiligung der


Deutschland in französischer Beleuchtung

Dem Franzosen scheint es in der Tat an geschichtlicher Vorbildung zu
fehlen, denn sonst müßte er wissen, daß die Hansen schon zu einer Zeit eine
Kanffahrteiflotte besaßen, als in England noch kein einziges Seeschiff gebaut
wurde, und daß die Deutschen lediglich durch kriegerisches Mißgeschick ohne
Ende aus der Seeschiffahrt ausgeschaltet und an der Beendigung ihrer natür¬
lichen Anlagen zum Welthandel verhindert wurden, daß also das Wiederauf¬
leben des alten hanseatischen Geistes uach Wegfall dieses äußern Zwanges und
nach endlich wiedergewonnener Unabhängigkeit vom Auslande eine ganz natür¬
liche Erscheinung war. Es ist allerdings eine eigentümliche Fügung des Schick¬
sals, daß jetzt gerade England am schmerzlichste,: unsre erneute Teilnahme am
Welthandel empfindet, dasselbe Land, dessen Produkte zum erstenmal in die
Außenwelt gelangten zu jener Zeit, als die Könige von England durch Be¬
günstigungen aller Art die deutschen Kaufleute zur Anlegung von Niederlassungen
in ihrem Lande anregten.

Da diese Tatsachen immer noch viel zu wenig bekannt sind, soll hier auf
die wechselnde Teilnahme der einzelnen Völker am Welthandel etwas näher
eingegangen werden, in der Hoffnung, daß Herr Huret bei der Buchausgabe
seines Reiseberichtes dies beherzigen möge. Während also die Hansen den
Seehandel monopolisierten und an einem Hafenplatze nach dem andern ihre
Niederlassungen begründetet!, blieb England lange Zeit ein reiner Agrikultnr-
staat, der den Hansen Unterhalt- und Bergwerksprodukte lieferte und dafür
Manufakturwaren von ihnen bezog. Drei Jahrhunderte lang dauerte dieser
Verkehr, und erst 1597 wurden durch die Königin Elisabeth die Privilegien
der Hansen und des deutschen Stahlhvfes in London für immer beseitigt. Die
Zerstörung Antwerpens im Jahre 1585, die Vernichtung der spanischen Armada
und der Dreißigjährige Krieg Deutschlands schufen für den englischen See¬
handel freie Bahn und ermöglichten zugleich die nun stetig wachsende Aus¬
dehnung des englischen Kolonialbesitzes über alle Teile der Erde. Das riesen¬
hafte Emporblühen seiner allen Ländern vorauseilenden Großindustrie hatte
England denn auch im wesentlichen seiner Suprematie im Welthandel zu ver¬
danken. Besonders segensreich für das englische Seewesen war aber die Re¬
gierung Cromwells, der 1651 durch die Navigationsakte und die bald darauf
crfochtnen Seesiegc die bis dahin zur See allmächtigen Holländer, die Nach¬
folger der alten Hansen, aus dem Wettbewerbe verdrängte und sie zur Ab¬
tretung New-Yorks zwang.

Der Verkehr zwischen den verschiednen Häfen Englands sowohl als auch
Portugals und Spaniens und den Kolonien dieser Staaten war nur den
Schiffen des eignet! Landes vorbehalten. Erst die Unabhängigkeitserklärungen
der Vereinigten Staaten und der latino-amerikanischen Republiken haben zu
Anfang des vorigen Jahrhunderts eine Beseitigung dieses starren egoistischen
Handelssystems gebracht, und England hat es sogar erst in der Mitte des
vorigen Jahrhunderts aufgegeben. Von einer selbständigen Beteiligung der


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[0353] Deutschland in französischer Beleuchtung Dem Franzosen scheint es in der Tat an geschichtlicher Vorbildung zu fehlen, denn sonst müßte er wissen, daß die Hansen schon zu einer Zeit eine Kanffahrteiflotte besaßen, als in England noch kein einziges Seeschiff gebaut wurde, und daß die Deutschen lediglich durch kriegerisches Mißgeschick ohne Ende aus der Seeschiffahrt ausgeschaltet und an der Beendigung ihrer natür¬ lichen Anlagen zum Welthandel verhindert wurden, daß also das Wiederauf¬ leben des alten hanseatischen Geistes uach Wegfall dieses äußern Zwanges und nach endlich wiedergewonnener Unabhängigkeit vom Auslande eine ganz natür¬ liche Erscheinung war. Es ist allerdings eine eigentümliche Fügung des Schick¬ sals, daß jetzt gerade England am schmerzlichste,: unsre erneute Teilnahme am Welthandel empfindet, dasselbe Land, dessen Produkte zum erstenmal in die Außenwelt gelangten zu jener Zeit, als die Könige von England durch Be¬ günstigungen aller Art die deutschen Kaufleute zur Anlegung von Niederlassungen in ihrem Lande anregten. Da diese Tatsachen immer noch viel zu wenig bekannt sind, soll hier auf die wechselnde Teilnahme der einzelnen Völker am Welthandel etwas näher eingegangen werden, in der Hoffnung, daß Herr Huret bei der Buchausgabe seines Reiseberichtes dies beherzigen möge. Während also die Hansen den Seehandel monopolisierten und an einem Hafenplatze nach dem andern ihre Niederlassungen begründetet!, blieb England lange Zeit ein reiner Agrikultnr- staat, der den Hansen Unterhalt- und Bergwerksprodukte lieferte und dafür Manufakturwaren von ihnen bezog. Drei Jahrhunderte lang dauerte dieser Verkehr, und erst 1597 wurden durch die Königin Elisabeth die Privilegien der Hansen und des deutschen Stahlhvfes in London für immer beseitigt. Die Zerstörung Antwerpens im Jahre 1585, die Vernichtung der spanischen Armada und der Dreißigjährige Krieg Deutschlands schufen für den englischen See¬ handel freie Bahn und ermöglichten zugleich die nun stetig wachsende Aus¬ dehnung des englischen Kolonialbesitzes über alle Teile der Erde. Das riesen¬ hafte Emporblühen seiner allen Ländern vorauseilenden Großindustrie hatte England denn auch im wesentlichen seiner Suprematie im Welthandel zu ver¬ danken. Besonders segensreich für das englische Seewesen war aber die Re¬ gierung Cromwells, der 1651 durch die Navigationsakte und die bald darauf crfochtnen Seesiegc die bis dahin zur See allmächtigen Holländer, die Nach¬ folger der alten Hansen, aus dem Wettbewerbe verdrängte und sie zur Ab¬ tretung New-Yorks zwang. Der Verkehr zwischen den verschiednen Häfen Englands sowohl als auch Portugals und Spaniens und den Kolonien dieser Staaten war nur den Schiffen des eignet! Landes vorbehalten. Erst die Unabhängigkeitserklärungen der Vereinigten Staaten und der latino-amerikanischen Republiken haben zu Anfang des vorigen Jahrhunderts eine Beseitigung dieses starren egoistischen Handelssystems gebracht, und England hat es sogar erst in der Mitte des vorigen Jahrhunderts aufgegeben. Von einer selbständigen Beteiligung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/353>, abgerufen am 06.02.2025.