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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland in französischer Beleuchtung

zusammengetragen. Die Devise Bremens: neesssc; ost, viver" non
oft N60S886 gelte auch für Hamburg. Diese Charaktereigenschaft der Hanseaten
sei die innere Ursache ihrer unerhörten Erfolge in den letzten Jahrzehnten.
In Bremen habe ihm der Präsident des Norddeutschen Lloyd, Herr Plate,
gesagt, die Tatenlosigkeit und der Mangel an Unternehmungsgeist seien die
Krebsschäden der alten Länder wie Frankreich. Man begnüge sich dort mit
dem, was vorhanden sei, schließe die Augen vor den modernen Errungen¬
schaften, diskutiere und klage ohne zu handeln. Man müsse aber im Gegen¬
teil gerade im Welthandel ständig die Arbeitsmethode ändern und verbessern.
So habe man für die neusten Hafenbassins in Bremen ursprünglich eine
Länge von 160 Metern geplant gehabt, sie dann nach einigen Monaten
ans 180 Meter festgesetzt und sich jetzt mit Rücksicht auf die stetig zunehmende
Größe der Seeschiffe für 220 Meter entschlossen. In Havre dagegen könnten
die Hafenbassins schon jetzt nicht die Riesendampfer aufnehmen, und die Folge
sei, daß Seeschiffe über eine bestimmte Größe ins Ausland verwiesen würden.
Sehr verderblich sei auch das französische Prümiensystem für die Seeschiffe,
da die Prämien gezahlt würden, ohne daß entsprechende Gegenleistungen der
Seeschiffe verlangt würden. Man verlange nur, daß die Seeschiffe ein Drittel
oder ein Viertel Fracht haben, und auf die Weise könne ein Seeschiff, das
sonst kaum etwas verdiene, allein durch achtjähriges Reisen das in ihm
investierte Kapital durch die erhaltnen Prämien gewinnen. Seiner Ansicht
nach könne nicht durch Staatshilfen, sondern nur durch eigne Arbeit ein wirt¬
schaftlicher Erfolg erreicht werden. Man spreche immer von einem Gegensatz
zwischen Kapital und Arbeit, aber ein solcher gehöre fast schon der Vergangen¬
heit an und werde bald nur uoch eine historische Erinnerung sein. Das Kapital
werde in der Zukunft nur in dem Maße von Wert sein, wie es sich zu einem
der Werkzeuge der Arbeit machen werde. Der Zinssatz des Kapitals sei in
stetigem Rückgange begriffen und werde eines Tages bis auf einen minimalen
Betrag zurückgehn. In trägen und ungeschickten Händen werde dann das
Kapital keine Macht mehr haben, sondern es werde nur eins der notwendigen
Elemente zur Organisation der Arbeit sein.

Hamburg, das er 1a, xlus jolis vitio ä'^IlLMÄAnv nennt, wird von Huret
geradezu als Muster für Frankreich zur Nachahmung hingestellt. Er beschreibt
nicht nur aufs genauste die Häfen, die Industrien, die Handelshäuser, sondern
auch alle öffentlichen Einrichtungen wie die Wasserversorgung, die Müllver-
brennung, das Schlachthaus, die Börse, den Zentralfriedhvf und die elektrischen
Bahnen. Der kluge Bürgermeister Burchard hat ihn empfangen und ihm
manche Aufschlüsse über die frühere Geschichte Hamburgs und über die jetzigen
Verhältnisse gegeben. Um so auffallender ist es, daß Huret auch in Hamburg
wieder seiner Verwunderung Ausdruck verleiht, daß die Deutschen, dieses
Volk av rßvkurs et c1'iäöali8te8, solche Erfolge in Handel und Schiffahrt haben
erreichen können.


Deutschland in französischer Beleuchtung

zusammengetragen. Die Devise Bremens: neesssc; ost, viver« non
oft N60S886 gelte auch für Hamburg. Diese Charaktereigenschaft der Hanseaten
sei die innere Ursache ihrer unerhörten Erfolge in den letzten Jahrzehnten.
In Bremen habe ihm der Präsident des Norddeutschen Lloyd, Herr Plate,
gesagt, die Tatenlosigkeit und der Mangel an Unternehmungsgeist seien die
Krebsschäden der alten Länder wie Frankreich. Man begnüge sich dort mit
dem, was vorhanden sei, schließe die Augen vor den modernen Errungen¬
schaften, diskutiere und klage ohne zu handeln. Man müsse aber im Gegen¬
teil gerade im Welthandel ständig die Arbeitsmethode ändern und verbessern.
So habe man für die neusten Hafenbassins in Bremen ursprünglich eine
Länge von 160 Metern geplant gehabt, sie dann nach einigen Monaten
ans 180 Meter festgesetzt und sich jetzt mit Rücksicht auf die stetig zunehmende
Größe der Seeschiffe für 220 Meter entschlossen. In Havre dagegen könnten
die Hafenbassins schon jetzt nicht die Riesendampfer aufnehmen, und die Folge
sei, daß Seeschiffe über eine bestimmte Größe ins Ausland verwiesen würden.
Sehr verderblich sei auch das französische Prümiensystem für die Seeschiffe,
da die Prämien gezahlt würden, ohne daß entsprechende Gegenleistungen der
Seeschiffe verlangt würden. Man verlange nur, daß die Seeschiffe ein Drittel
oder ein Viertel Fracht haben, und auf die Weise könne ein Seeschiff, das
sonst kaum etwas verdiene, allein durch achtjähriges Reisen das in ihm
investierte Kapital durch die erhaltnen Prämien gewinnen. Seiner Ansicht
nach könne nicht durch Staatshilfen, sondern nur durch eigne Arbeit ein wirt¬
schaftlicher Erfolg erreicht werden. Man spreche immer von einem Gegensatz
zwischen Kapital und Arbeit, aber ein solcher gehöre fast schon der Vergangen¬
heit an und werde bald nur uoch eine historische Erinnerung sein. Das Kapital
werde in der Zukunft nur in dem Maße von Wert sein, wie es sich zu einem
der Werkzeuge der Arbeit machen werde. Der Zinssatz des Kapitals sei in
stetigem Rückgange begriffen und werde eines Tages bis auf einen minimalen
Betrag zurückgehn. In trägen und ungeschickten Händen werde dann das
Kapital keine Macht mehr haben, sondern es werde nur eins der notwendigen
Elemente zur Organisation der Arbeit sein.

Hamburg, das er 1a, xlus jolis vitio ä'^IlLMÄAnv nennt, wird von Huret
geradezu als Muster für Frankreich zur Nachahmung hingestellt. Er beschreibt
nicht nur aufs genauste die Häfen, die Industrien, die Handelshäuser, sondern
auch alle öffentlichen Einrichtungen wie die Wasserversorgung, die Müllver-
brennung, das Schlachthaus, die Börse, den Zentralfriedhvf und die elektrischen
Bahnen. Der kluge Bürgermeister Burchard hat ihn empfangen und ihm
manche Aufschlüsse über die frühere Geschichte Hamburgs und über die jetzigen
Verhältnisse gegeben. Um so auffallender ist es, daß Huret auch in Hamburg
wieder seiner Verwunderung Ausdruck verleiht, daß die Deutschen, dieses
Volk av rßvkurs et c1'iäöali8te8, solche Erfolge in Handel und Schiffahrt haben
erreichen können.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/352>, abgerufen am 06.02.2025.