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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland in französischer Beleuchtung

sie seinen Landsleuten zur Ncicheiferung. Da die noch nicht abgeschlossenen Artikel
später in Buchform erscheinen sollen, werden die Huretschen Gedanken, die schon
jetzt in den maßgebenden Kreisen Berlins mit Eifer diskutiert werden, bald
auch einem größern Leserkreise zugänglich Selin

Huret, der in frühern Jahren Nordamerika bereist und ein zweibändiges
vortreffliches Werk*) über die Vereinigten Staaten geschrieben hat, resümiert
seinen Gesamteindruck über das Deutsche Reich dahin, es gleiche fast in allen
Punkten der Union. Das Deutschland Werthers und Moltkes sei tot, und
was sich gegenwärtig dem Beobachter biete, sei der staunenswerte Aufschwung
einer alten armen Rasse, der das Schicksal gelächelt habe, und die sich nun,
zunächst mit Überraschung und dann mit Feuereifer, an die Arbeit begeben,
sich mit kühnsten Wagemut in die modernsten Unternehmungen und Speku¬
lationen gestürzt habe und auf den: Wege sei, sich alleu Luxus der Welt zu
eigen zu machen. Daß die Franzosen es waren, die seit den Tagen des Dreißig¬
jährigen Krieges niemals Deutschland zur Ruhe kommen ließen und ihm mehr
als zwanzig Angriffskriege aufzwangen, die uns immer wieder der Früchte
unsers Fleißes beraubten und uns in unsre alte Armut zurückstießen, vergißt
Huret zu erwähnen. Dankbar aber sollten wir ihm dafür sein, daß er den
Luxus des neuen Deutschlands so scharf hervorhebt und darüber triumphiert,
daß das germanische Sparta zu einem Babylon geworden sei. Eine Robe für
zwölfhundert Mark sei etwas ganz gewöhnliches für die Frau eines Indu¬
striellen oder Kaufmanns in Berlin, Hamburg, Köln oder Düsseldorf, und
zwanzigtausend Mark jährlich für Toiletten auszugeben halte sie keineswegs
sür exzentrisch. Eine geradezu frivole Verschwendung könne man in den "erst¬
klassiger" Hotels der großen deutscheu Städte beobachten. Die Arbeiter seien
ebenso leichtsinnig im Geldausgeben wie die Kapitalisten. Die sich nicht nur
Sonntags, sondern auch an Wochentagen äußernde Vergnügungssucht der großen
Massen finde in der Welt nicht ihresgleichen. Der Arbeiter, der kleine Kauf¬
mann oder der Angestellte gebe alles aus, was er verdiene, und zwar fast
nur für Konifort und Vergnügen.

Von feiner Beobachtungsgabe zeugt eine Bemerkung: der Deutsche lasse
die Natur an seinem Luxus teilnehmen, denn er liebe sie um ihrer selbst willen,
während der Franzose sie hauptsächlich als ein Dekorationsmotiv ansehe, und
deshalb habe der pedantische Preuße bei seinen Park- und Gartenanlagen die
Disziplin der Natur geopfert, während von Lenötre die Wälder parademäßig
ausgerichtet seien. In der Tat braucht man nur ein Landschaftsbild mit Vieh¬
staffage von einem deutscheu Meister mit dem eines französischen zu vergleichen,
wenn man dieselbe Beobachtung machen will. Der Franzose malt Natur und
Vieh als eine Harmonie von Farbenflecken. während der Deutsche rin liebe-



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Grenzboten II 1907 37
Deutschland in französischer Beleuchtung

sie seinen Landsleuten zur Ncicheiferung. Da die noch nicht abgeschlossenen Artikel
später in Buchform erscheinen sollen, werden die Huretschen Gedanken, die schon
jetzt in den maßgebenden Kreisen Berlins mit Eifer diskutiert werden, bald
auch einem größern Leserkreise zugänglich Selin

Huret, der in frühern Jahren Nordamerika bereist und ein zweibändiges
vortreffliches Werk*) über die Vereinigten Staaten geschrieben hat, resümiert
seinen Gesamteindruck über das Deutsche Reich dahin, es gleiche fast in allen
Punkten der Union. Das Deutschland Werthers und Moltkes sei tot, und
was sich gegenwärtig dem Beobachter biete, sei der staunenswerte Aufschwung
einer alten armen Rasse, der das Schicksal gelächelt habe, und die sich nun,
zunächst mit Überraschung und dann mit Feuereifer, an die Arbeit begeben,
sich mit kühnsten Wagemut in die modernsten Unternehmungen und Speku¬
lationen gestürzt habe und auf den: Wege sei, sich alleu Luxus der Welt zu
eigen zu machen. Daß die Franzosen es waren, die seit den Tagen des Dreißig¬
jährigen Krieges niemals Deutschland zur Ruhe kommen ließen und ihm mehr
als zwanzig Angriffskriege aufzwangen, die uns immer wieder der Früchte
unsers Fleißes beraubten und uns in unsre alte Armut zurückstießen, vergißt
Huret zu erwähnen. Dankbar aber sollten wir ihm dafür sein, daß er den
Luxus des neuen Deutschlands so scharf hervorhebt und darüber triumphiert,
daß das germanische Sparta zu einem Babylon geworden sei. Eine Robe für
zwölfhundert Mark sei etwas ganz gewöhnliches für die Frau eines Indu¬
striellen oder Kaufmanns in Berlin, Hamburg, Köln oder Düsseldorf, und
zwanzigtausend Mark jährlich für Toiletten auszugeben halte sie keineswegs
sür exzentrisch. Eine geradezu frivole Verschwendung könne man in den „erst¬
klassiger" Hotels der großen deutscheu Städte beobachten. Die Arbeiter seien
ebenso leichtsinnig im Geldausgeben wie die Kapitalisten. Die sich nicht nur
Sonntags, sondern auch an Wochentagen äußernde Vergnügungssucht der großen
Massen finde in der Welt nicht ihresgleichen. Der Arbeiter, der kleine Kauf¬
mann oder der Angestellte gebe alles aus, was er verdiene, und zwar fast
nur für Konifort und Vergnügen.

Von feiner Beobachtungsgabe zeugt eine Bemerkung: der Deutsche lasse
die Natur an seinem Luxus teilnehmen, denn er liebe sie um ihrer selbst willen,
während der Franzose sie hauptsächlich als ein Dekorationsmotiv ansehe, und
deshalb habe der pedantische Preuße bei seinen Park- und Gartenanlagen die
Disziplin der Natur geopfert, während von Lenötre die Wälder parademäßig
ausgerichtet seien. In der Tat braucht man nur ein Landschaftsbild mit Vieh¬
staffage von einem deutscheu Meister mit dem eines französischen zu vergleichen,
wenn man dieselbe Beobachtung machen will. Der Franzose malt Natur und
Vieh als eine Harmonie von Farbenflecken. während der Deutsche rin liebe-



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[0285] Deutschland in französischer Beleuchtung sie seinen Landsleuten zur Ncicheiferung. Da die noch nicht abgeschlossenen Artikel später in Buchform erscheinen sollen, werden die Huretschen Gedanken, die schon jetzt in den maßgebenden Kreisen Berlins mit Eifer diskutiert werden, bald auch einem größern Leserkreise zugänglich Selin Huret, der in frühern Jahren Nordamerika bereist und ein zweibändiges vortreffliches Werk*) über die Vereinigten Staaten geschrieben hat, resümiert seinen Gesamteindruck über das Deutsche Reich dahin, es gleiche fast in allen Punkten der Union. Das Deutschland Werthers und Moltkes sei tot, und was sich gegenwärtig dem Beobachter biete, sei der staunenswerte Aufschwung einer alten armen Rasse, der das Schicksal gelächelt habe, und die sich nun, zunächst mit Überraschung und dann mit Feuereifer, an die Arbeit begeben, sich mit kühnsten Wagemut in die modernsten Unternehmungen und Speku¬ lationen gestürzt habe und auf den: Wege sei, sich alleu Luxus der Welt zu eigen zu machen. Daß die Franzosen es waren, die seit den Tagen des Dreißig¬ jährigen Krieges niemals Deutschland zur Ruhe kommen ließen und ihm mehr als zwanzig Angriffskriege aufzwangen, die uns immer wieder der Früchte unsers Fleißes beraubten und uns in unsre alte Armut zurückstießen, vergißt Huret zu erwähnen. Dankbar aber sollten wir ihm dafür sein, daß er den Luxus des neuen Deutschlands so scharf hervorhebt und darüber triumphiert, daß das germanische Sparta zu einem Babylon geworden sei. Eine Robe für zwölfhundert Mark sei etwas ganz gewöhnliches für die Frau eines Indu¬ striellen oder Kaufmanns in Berlin, Hamburg, Köln oder Düsseldorf, und zwanzigtausend Mark jährlich für Toiletten auszugeben halte sie keineswegs sür exzentrisch. Eine geradezu frivole Verschwendung könne man in den „erst¬ klassiger" Hotels der großen deutscheu Städte beobachten. Die Arbeiter seien ebenso leichtsinnig im Geldausgeben wie die Kapitalisten. Die sich nicht nur Sonntags, sondern auch an Wochentagen äußernde Vergnügungssucht der großen Massen finde in der Welt nicht ihresgleichen. Der Arbeiter, der kleine Kauf¬ mann oder der Angestellte gebe alles aus, was er verdiene, und zwar fast nur für Konifort und Vergnügen. Von feiner Beobachtungsgabe zeugt eine Bemerkung: der Deutsche lasse die Natur an seinem Luxus teilnehmen, denn er liebe sie um ihrer selbst willen, während der Franzose sie hauptsächlich als ein Dekorationsmotiv ansehe, und deshalb habe der pedantische Preuße bei seinen Park- und Gartenanlagen die Disziplin der Natur geopfert, während von Lenötre die Wälder parademäßig ausgerichtet seien. In der Tat braucht man nur ein Landschaftsbild mit Vieh¬ staffage von einem deutscheu Meister mit dem eines französischen zu vergleichen, wenn man dieselbe Beobachtung machen will. Der Franzose malt Natur und Vieh als eine Harmonie von Farbenflecken. während der Deutsche rin liebe- ' .tuis» Ilurst, IZu ^möriqvs, t. I. of Nsw-7oric ü w MuvsNs-Ol'inM»; t. II. Dü ViAnoisoo Mi (Atlanta. pari«, Kibliotliütiug oiiAiZontwi'. Grenzboten II 1907 37

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/285>, abgerufen am 06.02.2025.