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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Deutschland i" französischer Beleuchtung

Nützlichkeit einer Entente ist eine Idee, die von vielen Politikern beider Länder
mit Recht betont worden ist. Da jedoch alle unsre amtlichen und außeramt¬
lichen Bemühungen zu keinem greifbaren Resultat geführt haben, ist jetzt der
Augenblick gekommen, wo wir unserm nationalen Selbstgefühl etwas vergeben
würden, wenn wir uns weiter abmühen wollten, Frankreich durch Güte für uns
zu gewinnen. Die Initiative zu jeder deutsch-französischen Entente kann viel¬
mehr jetzt nur noch von Frankreich ausgehn, und wir müssen es ruhig ab¬
warten, bis es so weit kommt, eingedenk des schönen Sprichworts: ?out ku-rio?
a point Z. Hui sg.it s.ttsuci're!

Es ist unzweifelhaft eine der wichtigsten Regeln aller Diplomatie, die von
Bismarck oft hervorgehoben worden ist, künftige politische Bündnisse des eignen
Landes niemals aus dem Auge zu verlieren, sie nie als Unmöglichkeiten zu
behandeln oder eigenmächtig zu solchen zu machen. Das japanisch-englische
Bündnis ist ein Schulbeispiel dafür. Wer Hütte es in der Tat noch vor wenig
Jahren für möglich gehalten, daß sich ein so cmsgesprochnes Herrenvolk wie
die Engländer mit einem Volke der gelben Rasse verbünden würde? Und
trotzdem ist das Unerwartete Wirklichkeit geworden. Ob es ein weiser Schachzug
der von der deutschen Presse so bewunderten britischen Diplomatie war, kaun
nur die Zukunft lehren. Die Sicherung des englischen Besitzes in Asien gegen
Rußland ist ein Augenblickserfolg, der mit der gleichzeitigen Stärkung des
japanischen Imperialismus vielleicht doch zu teuer bezahlt worden ist. Immerhin
hat England durch den Abschluß dieser Allianz bewiesen, daß es vor keiner
Möglichkeit zurückschreckt, wenn es seinen politischen Vorteil gilt, und daraus
können wir für uns eine gute Lehre ziehen, denn wir sind immer noch viel
zu ängstlich, künftige politische Bündnisse ins Auge zu fassen, die Großmächten
unangenehm sein würden, die momentan in guten Beziehungen zu uns stehn.
Jedenfalls ist es aber eine Pflicht der deutschen Presse, die in auswärtige"
Angelegenheiten so wenig geschulte deutsche öffentliche Meinung darüber auf¬
zuklären, daß jeder souveräne Staat in der Politik eine Schachfigur ist, die
für und gegen uus gezogen werden kann, und daß darum kein einziger als
Mimtitö nvA'Iig'eMs von uns behandelt werden darf.

Alles, was dazu beitragen kann, uns unsern westlichen Nachbarn näher
zu bringen, verdient also die vollste Berücksichtigung. Es ist deshalb mit
Freuden zu begrüßen, daß einer der ersten französischen Journalisten in dem vor¬
nehmen und einflußreichen Pariser Kgaro^) vor einiger Zeit persönliche Reise¬
berichte aus Deutschland veröffentlicht, die in alle Gebiete unsers nationalen
Lebens Einblicke eröffnen. Seine Schilderungen haben ganz den Charakter
einer modernen Germania. Wie einst Taeitus die Tugenden sowohl als die
Laster unsrer Vorväter in übertriebnen Relief dargestellt hat, so verfährt jetzt
M. Jules Huret, und auch er unterstreicht mehr unsre Vorzüge und empfiehlt



*) I." ZilM-in, 27. Juli 1l"0K und folgende Nummern: Ku ^"IMINMW.
Deutschland i» französischer Beleuchtung

Nützlichkeit einer Entente ist eine Idee, die von vielen Politikern beider Länder
mit Recht betont worden ist. Da jedoch alle unsre amtlichen und außeramt¬
lichen Bemühungen zu keinem greifbaren Resultat geführt haben, ist jetzt der
Augenblick gekommen, wo wir unserm nationalen Selbstgefühl etwas vergeben
würden, wenn wir uns weiter abmühen wollten, Frankreich durch Güte für uns
zu gewinnen. Die Initiative zu jeder deutsch-französischen Entente kann viel¬
mehr jetzt nur noch von Frankreich ausgehn, und wir müssen es ruhig ab¬
warten, bis es so weit kommt, eingedenk des schönen Sprichworts: ?out ku-rio?
a point Z. Hui sg.it s.ttsuci're!

Es ist unzweifelhaft eine der wichtigsten Regeln aller Diplomatie, die von
Bismarck oft hervorgehoben worden ist, künftige politische Bündnisse des eignen
Landes niemals aus dem Auge zu verlieren, sie nie als Unmöglichkeiten zu
behandeln oder eigenmächtig zu solchen zu machen. Das japanisch-englische
Bündnis ist ein Schulbeispiel dafür. Wer Hütte es in der Tat noch vor wenig
Jahren für möglich gehalten, daß sich ein so cmsgesprochnes Herrenvolk wie
die Engländer mit einem Volke der gelben Rasse verbünden würde? Und
trotzdem ist das Unerwartete Wirklichkeit geworden. Ob es ein weiser Schachzug
der von der deutschen Presse so bewunderten britischen Diplomatie war, kaun
nur die Zukunft lehren. Die Sicherung des englischen Besitzes in Asien gegen
Rußland ist ein Augenblickserfolg, der mit der gleichzeitigen Stärkung des
japanischen Imperialismus vielleicht doch zu teuer bezahlt worden ist. Immerhin
hat England durch den Abschluß dieser Allianz bewiesen, daß es vor keiner
Möglichkeit zurückschreckt, wenn es seinen politischen Vorteil gilt, und daraus
können wir für uns eine gute Lehre ziehen, denn wir sind immer noch viel
zu ängstlich, künftige politische Bündnisse ins Auge zu fassen, die Großmächten
unangenehm sein würden, die momentan in guten Beziehungen zu uns stehn.
Jedenfalls ist es aber eine Pflicht der deutschen Presse, die in auswärtige»
Angelegenheiten so wenig geschulte deutsche öffentliche Meinung darüber auf¬
zuklären, daß jeder souveräne Staat in der Politik eine Schachfigur ist, die
für und gegen uus gezogen werden kann, und daß darum kein einziger als
Mimtitö nvA'Iig'eMs von uns behandelt werden darf.

Alles, was dazu beitragen kann, uns unsern westlichen Nachbarn näher
zu bringen, verdient also die vollste Berücksichtigung. Es ist deshalb mit
Freuden zu begrüßen, daß einer der ersten französischen Journalisten in dem vor¬
nehmen und einflußreichen Pariser Kgaro^) vor einiger Zeit persönliche Reise¬
berichte aus Deutschland veröffentlicht, die in alle Gebiete unsers nationalen
Lebens Einblicke eröffnen. Seine Schilderungen haben ganz den Charakter
einer modernen Germania. Wie einst Taeitus die Tugenden sowohl als die
Laster unsrer Vorväter in übertriebnen Relief dargestellt hat, so verfährt jetzt
M. Jules Huret, und auch er unterstreicht mehr unsre Vorzüge und empfiehlt



*) I.« ZilM-in, 27. Juli 1l»0K und folgende Nummern: Ku ^»IMINMW.
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[0284] Deutschland i» französischer Beleuchtung Nützlichkeit einer Entente ist eine Idee, die von vielen Politikern beider Länder mit Recht betont worden ist. Da jedoch alle unsre amtlichen und außeramt¬ lichen Bemühungen zu keinem greifbaren Resultat geführt haben, ist jetzt der Augenblick gekommen, wo wir unserm nationalen Selbstgefühl etwas vergeben würden, wenn wir uns weiter abmühen wollten, Frankreich durch Güte für uns zu gewinnen. Die Initiative zu jeder deutsch-französischen Entente kann viel¬ mehr jetzt nur noch von Frankreich ausgehn, und wir müssen es ruhig ab¬ warten, bis es so weit kommt, eingedenk des schönen Sprichworts: ?out ku-rio? a point Z. Hui sg.it s.ttsuci're! Es ist unzweifelhaft eine der wichtigsten Regeln aller Diplomatie, die von Bismarck oft hervorgehoben worden ist, künftige politische Bündnisse des eignen Landes niemals aus dem Auge zu verlieren, sie nie als Unmöglichkeiten zu behandeln oder eigenmächtig zu solchen zu machen. Das japanisch-englische Bündnis ist ein Schulbeispiel dafür. Wer Hütte es in der Tat noch vor wenig Jahren für möglich gehalten, daß sich ein so cmsgesprochnes Herrenvolk wie die Engländer mit einem Volke der gelben Rasse verbünden würde? Und trotzdem ist das Unerwartete Wirklichkeit geworden. Ob es ein weiser Schachzug der von der deutschen Presse so bewunderten britischen Diplomatie war, kaun nur die Zukunft lehren. Die Sicherung des englischen Besitzes in Asien gegen Rußland ist ein Augenblickserfolg, der mit der gleichzeitigen Stärkung des japanischen Imperialismus vielleicht doch zu teuer bezahlt worden ist. Immerhin hat England durch den Abschluß dieser Allianz bewiesen, daß es vor keiner Möglichkeit zurückschreckt, wenn es seinen politischen Vorteil gilt, und daraus können wir für uns eine gute Lehre ziehen, denn wir sind immer noch viel zu ängstlich, künftige politische Bündnisse ins Auge zu fassen, die Großmächten unangenehm sein würden, die momentan in guten Beziehungen zu uns stehn. Jedenfalls ist es aber eine Pflicht der deutschen Presse, die in auswärtige» Angelegenheiten so wenig geschulte deutsche öffentliche Meinung darüber auf¬ zuklären, daß jeder souveräne Staat in der Politik eine Schachfigur ist, die für und gegen uus gezogen werden kann, und daß darum kein einziger als Mimtitö nvA'Iig'eMs von uns behandelt werden darf. Alles, was dazu beitragen kann, uns unsern westlichen Nachbarn näher zu bringen, verdient also die vollste Berücksichtigung. Es ist deshalb mit Freuden zu begrüßen, daß einer der ersten französischen Journalisten in dem vor¬ nehmen und einflußreichen Pariser Kgaro^) vor einiger Zeit persönliche Reise¬ berichte aus Deutschland veröffentlicht, die in alle Gebiete unsers nationalen Lebens Einblicke eröffnen. Seine Schilderungen haben ganz den Charakter einer modernen Germania. Wie einst Taeitus die Tugenden sowohl als die Laster unsrer Vorväter in übertriebnen Relief dargestellt hat, so verfährt jetzt M. Jules Huret, und auch er unterstreicht mehr unsre Vorzüge und empfiehlt *) I.« ZilM-in, 27. Juli 1l»0K und folgende Nummern: Ku ^»IMINMW.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/284>, abgerufen am 05.02.2025.