Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Deutschland in französischer Beleuchtung vollem Verständnis den Charakter einer jeden Landschaft und den individuellen Sehr gefallen haben Huret die Ruhe und Ordnung in den Städten. Zwei Anerkennenswert ist, daß Huret nicht nur Berlin, Frankfurt, Hamburg Deutschland in französischer Beleuchtung vollem Verständnis den Charakter einer jeden Landschaft und den individuellen Sehr gefallen haben Huret die Ruhe und Ordnung in den Städten. Zwei Anerkennenswert ist, daß Huret nicht nur Berlin, Frankfurt, Hamburg <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0286" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302274"/> <fw type="header" place="top"> Deutschland in französischer Beleuchtung</fw><lb/> <p xml:id="ID_1250" prev="#ID_1249"> vollem Verständnis den Charakter einer jeden Landschaft und den individuellen<lb/> Ausdruck eines jeden Tieres zur Geltung zu bringen pflegt. Daß Huret auch<lb/> in dieser Liebe zur Natur verwandte Züge mit Amerika hätte entdecken können,<lb/> liegt nahe, wenn man an Thoreaus „Wälder" und an Roosevelts Jagdschil¬<lb/> derungen denkt. Zu leugnen ist allerdings nicht, daß viele Deutsche jetzt ebenso<lb/> sgi8eurs ä'^rgsrit und parvoursurs als raonZss sind wie die Jankees.</p><lb/> <p xml:id="ID_1251"> Sehr gefallen haben Huret die Ruhe und Ordnung in den Städten. Zwei<lb/> Klassen von Städten müsse man jedoch unterscheiden, meint er: die alten, zurück¬<lb/> gebliebnen, die keine Trambahnen, keine hohen Häuser, keine modernen Hotels<lb/> und keine hygienischen Einrichtungen hätten, wie z. B. Göttingen oder Schwerin,<lb/> und die neuen Städte, in denen elektrische Bahnen nach allen Seiten führen,<lb/> in denen die alten Häuserviertel schonungslos niedergerissen, herrliche breite<lb/> Straßen gebaut und Häuser errichtet würden, in denen die letzten Erfindungen<lb/> des anspruchsvollsten Luxus zu finden seien, wie Berlin, Leipzig, Köln, Frank¬<lb/> furt. Jede Stadt lasse sich in zwei Hälften einteilen: eine für die Arbeit und<lb/> eine für die Wohnungen. Wenn man aus dem Bahnhof heraustrete, würde<lb/> mau immer bald zwei charakteristische Merkmale der deutschen Städte sehen: die<lb/> elektrischen Bahnen und die Statuen von Wilhelm dem Ersten und von Bismarck.<lb/> Am Anfange seiner Reise habe er eine Sammlung dieser Denkmäler auf Post¬<lb/> karten angelegt, aber er habe es aufgeben müssen, denn es seien zu viele.<lb/> Überhaupt fehle Deutschland nichts mehr als schöne Statuen, denn die jetzigen<lb/> seien fast alle barbarisch zu nennen. Das Reiterstandbild des Großen Kur¬<lb/> fürsten in Berlin scheint er allerdings nicht gesehen zu haben, denn er erwähnt<lb/> es mit keinem Worte. Daß sich unter der Massenproduktion von Denkmälern,<lb/> der wir jetzt anheimgefallen sind, auch minderwertige Kunsterzeugnisse befinden,<lb/> ist erklärlich, und auch in Paris kann man Geschmacklosigkeiten in Erz und<lb/> Marmor sehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1252" next="#ID_1253"> Anerkennenswert ist, daß Huret nicht nur Berlin, Frankfurt, Hamburg<lb/> und Köln, sondern anch Göttingen, Offenbach, Mainz, Düsseldorf, Barmer,<lb/> Krefeld, Elberfeld, Bremen, Hannover, Kiel, Schwerin, Danzig und Königsberg<lb/> besucht hat. Er hat dadurch einen Einblick in das deutsche Leben gewonnen<lb/> und ist zu der Erkenntnis gekommen, wie gut es für ein Land ist, wenn viele<lb/> Städte nebeneinander emporblühen, anstatt daß, wie in Frankreich, sich nur<lb/> die Kapitale entwickelt, während alle andern ausgesprochnc Provinzstädtc bleiben.<lb/> Insbesondre ist ihm auch der Unterschied zwischen den deutschen Bürgermeistern<lb/> und den französischen nriürss aufgefallen, und er gibt jenen den Vorzug. Die<lb/> in-uros seien nicht bezahlt, nähmen ihre Stelle nur des persönlichen Ruhmes<lb/> wegen an, widmeten infolgedessen diesem Berufe nur ihre überflüssige Zeit und<lb/> seien, da sie auf kurze Zeit gewählt seien, immer darauf bedacht, ihren Wählern<lb/> zu gefallen und alle Welt zu befriedigen. Die Ämter würden von ihnen nur an<lb/> solche vergeben, die von den einflußreichsten Wählern empfohlen würden. Der<lb/> Bürgermeister sei dagegen ein bezahlter Beamter, der auf lange Jahre oder auf<lb/> Lebenszeit ernannt, in der Regel nicht aus der betreffenden Stadt gebürtig und</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0286]
Deutschland in französischer Beleuchtung
vollem Verständnis den Charakter einer jeden Landschaft und den individuellen
Ausdruck eines jeden Tieres zur Geltung zu bringen pflegt. Daß Huret auch
in dieser Liebe zur Natur verwandte Züge mit Amerika hätte entdecken können,
liegt nahe, wenn man an Thoreaus „Wälder" und an Roosevelts Jagdschil¬
derungen denkt. Zu leugnen ist allerdings nicht, daß viele Deutsche jetzt ebenso
sgi8eurs ä'^rgsrit und parvoursurs als raonZss sind wie die Jankees.
Sehr gefallen haben Huret die Ruhe und Ordnung in den Städten. Zwei
Klassen von Städten müsse man jedoch unterscheiden, meint er: die alten, zurück¬
gebliebnen, die keine Trambahnen, keine hohen Häuser, keine modernen Hotels
und keine hygienischen Einrichtungen hätten, wie z. B. Göttingen oder Schwerin,
und die neuen Städte, in denen elektrische Bahnen nach allen Seiten führen,
in denen die alten Häuserviertel schonungslos niedergerissen, herrliche breite
Straßen gebaut und Häuser errichtet würden, in denen die letzten Erfindungen
des anspruchsvollsten Luxus zu finden seien, wie Berlin, Leipzig, Köln, Frank¬
furt. Jede Stadt lasse sich in zwei Hälften einteilen: eine für die Arbeit und
eine für die Wohnungen. Wenn man aus dem Bahnhof heraustrete, würde
mau immer bald zwei charakteristische Merkmale der deutschen Städte sehen: die
elektrischen Bahnen und die Statuen von Wilhelm dem Ersten und von Bismarck.
Am Anfange seiner Reise habe er eine Sammlung dieser Denkmäler auf Post¬
karten angelegt, aber er habe es aufgeben müssen, denn es seien zu viele.
Überhaupt fehle Deutschland nichts mehr als schöne Statuen, denn die jetzigen
seien fast alle barbarisch zu nennen. Das Reiterstandbild des Großen Kur¬
fürsten in Berlin scheint er allerdings nicht gesehen zu haben, denn er erwähnt
es mit keinem Worte. Daß sich unter der Massenproduktion von Denkmälern,
der wir jetzt anheimgefallen sind, auch minderwertige Kunsterzeugnisse befinden,
ist erklärlich, und auch in Paris kann man Geschmacklosigkeiten in Erz und
Marmor sehen.
Anerkennenswert ist, daß Huret nicht nur Berlin, Frankfurt, Hamburg
und Köln, sondern anch Göttingen, Offenbach, Mainz, Düsseldorf, Barmer,
Krefeld, Elberfeld, Bremen, Hannover, Kiel, Schwerin, Danzig und Königsberg
besucht hat. Er hat dadurch einen Einblick in das deutsche Leben gewonnen
und ist zu der Erkenntnis gekommen, wie gut es für ein Land ist, wenn viele
Städte nebeneinander emporblühen, anstatt daß, wie in Frankreich, sich nur
die Kapitale entwickelt, während alle andern ausgesprochnc Provinzstädtc bleiben.
Insbesondre ist ihm auch der Unterschied zwischen den deutschen Bürgermeistern
und den französischen nriürss aufgefallen, und er gibt jenen den Vorzug. Die
in-uros seien nicht bezahlt, nähmen ihre Stelle nur des persönlichen Ruhmes
wegen an, widmeten infolgedessen diesem Berufe nur ihre überflüssige Zeit und
seien, da sie auf kurze Zeit gewählt seien, immer darauf bedacht, ihren Wählern
zu gefallen und alle Welt zu befriedigen. Die Ämter würden von ihnen nur an
solche vergeben, die von den einflußreichsten Wählern empfohlen würden. Der
Bürgermeister sei dagegen ein bezahlter Beamter, der auf lange Jahre oder auf
Lebenszeit ernannt, in der Regel nicht aus der betreffenden Stadt gebürtig und
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |