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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Russische Briefe

Selbstverwaltung in Gemeinden, Berufs- und Jnteressenvcrbänden geübt und
für den besondern Kampf in den Parlamenten gerüstet und organisiert sind,
während in Rußland solche Organisationen mit Feuer und Schwert verfolgt
wurden, und darum jeder einzelne Besitzende ängstlich jedem politischen Treiben
auswich und seine Geschäftsinteressen bei Hoch und Niedrig lieber mit dem
offnen Geldsack vertrat. Die Folge dieser Unkenntnis ist zwar, daß die
organisierten Gebildeten nicht in die Duma gekommen sind, aber auch nicht
die unorganisierten Besitzenden, sondern vorwiegend die gut organisierten Besitz¬
losen und Ungebildeten. Wir haben tatsächlich eine sozialistische Banernduma
vor uns, die in ihrer Mehrheit engherzig einzig das Wohl einer Klasse, nicht
des Landes im Auge hat, die infolgedessen nur den Namen einer staatlich
unterhaltenen Schule für revolutionäre Agitatoren verdient!

Die Verantwortung für diese Duma wird nun absichtlich der russischen
Intelligenz, überhaupt deu fortschrittlichen Parteien aufgebürdet, die die Re¬
volution "gemacht" haben. Besonders im Auslande wirken die Agenten der
russischen Regierung dafür, dem Bankier und Sparer zu beweisen, daß die ganze
russische Intelligenz nichts tauge, daß die Regierung, d. h. die Bureaukratie,
allem befähigt sei, das Land durch alle Fährnisse der Krisis zu führen. Das
ist ungerecht. Die heutige russische Gesellschaft ist die Frucht jener Drachensaat,
die die dreizehnjährige Regierung Alexanders des Dritten gesät hat. Da die
Regierung die wenigen "besten Kreise" von der Dnma ferngehalten hat, muß
sie schon mit der vergifteten Masse arbeiten. Denn die Duma stellt das russische
Volk so vollkommen dar, wie es kaum ein Parlament sonst kann. Für diese
Duma ist aber niemand anders als die Regierung verantwortlich, die Regierung,
die weder die Lehren kennt, die das Land seit dreißig Jahren überschwemmen,
noch die Stimmung, die jene Lehren im Zusammenhange mit der wirtschaft¬
lichen Entwicklung erzeugt haben. Will die Regierung heute eine gefügige Duma¬
mehrheit haben, dann soll sie den Bauern Land geben -- alles Land. Dann
wird sie auch die westeuropäische Intelligenz und alle Fremdvölker bekämpfen
können, vermutlich aber nebenher auch den russischen Staat zertrümmern.

Die scharfe Verschiebung der Bauern nach links wurde, abgesehen von
den eben angedeuteten allgemeinen Verhältnissen und der rührigen Agitation
der Revolutionäre, auch durch das Auftreten des "Vereinigten Adels" in seinen
Sitzungen Anfang April 1907 begünstigt. In seiner Furcht, die Regierung
könne dem Drängen der revolutionären Agrarreformer zu weit nachgeben, hat
der Adel allerhand Beschlüsse gefaßt, die von der Regierung strengste Bei¬
behaltung der bisherigen Landorganisation, und um dafür die Zustimmung
der Volksvertreter zu erhalten, Änderung des Wahlrechts fordern. Die häufig
recht stürmisch verlaufenden Sitzungen boten den Nevolutionüern ausgiebige
Gelegenheit, die Bauern auf die vom Adel drohende Gefahr hinzuweisen.
Wenn auch der Adel durchaus in Vertretung seiner ständischen Interessen
handelte, muß sein Auftreten gerade im gegenwärtigen Augenblick als un-


Russische Briefe

Selbstverwaltung in Gemeinden, Berufs- und Jnteressenvcrbänden geübt und
für den besondern Kampf in den Parlamenten gerüstet und organisiert sind,
während in Rußland solche Organisationen mit Feuer und Schwert verfolgt
wurden, und darum jeder einzelne Besitzende ängstlich jedem politischen Treiben
auswich und seine Geschäftsinteressen bei Hoch und Niedrig lieber mit dem
offnen Geldsack vertrat. Die Folge dieser Unkenntnis ist zwar, daß die
organisierten Gebildeten nicht in die Duma gekommen sind, aber auch nicht
die unorganisierten Besitzenden, sondern vorwiegend die gut organisierten Besitz¬
losen und Ungebildeten. Wir haben tatsächlich eine sozialistische Banernduma
vor uns, die in ihrer Mehrheit engherzig einzig das Wohl einer Klasse, nicht
des Landes im Auge hat, die infolgedessen nur den Namen einer staatlich
unterhaltenen Schule für revolutionäre Agitatoren verdient!

Die Verantwortung für diese Duma wird nun absichtlich der russischen
Intelligenz, überhaupt deu fortschrittlichen Parteien aufgebürdet, die die Re¬
volution „gemacht" haben. Besonders im Auslande wirken die Agenten der
russischen Regierung dafür, dem Bankier und Sparer zu beweisen, daß die ganze
russische Intelligenz nichts tauge, daß die Regierung, d. h. die Bureaukratie,
allem befähigt sei, das Land durch alle Fährnisse der Krisis zu führen. Das
ist ungerecht. Die heutige russische Gesellschaft ist die Frucht jener Drachensaat,
die die dreizehnjährige Regierung Alexanders des Dritten gesät hat. Da die
Regierung die wenigen „besten Kreise" von der Dnma ferngehalten hat, muß
sie schon mit der vergifteten Masse arbeiten. Denn die Duma stellt das russische
Volk so vollkommen dar, wie es kaum ein Parlament sonst kann. Für diese
Duma ist aber niemand anders als die Regierung verantwortlich, die Regierung,
die weder die Lehren kennt, die das Land seit dreißig Jahren überschwemmen,
noch die Stimmung, die jene Lehren im Zusammenhange mit der wirtschaft¬
lichen Entwicklung erzeugt haben. Will die Regierung heute eine gefügige Duma¬
mehrheit haben, dann soll sie den Bauern Land geben — alles Land. Dann
wird sie auch die westeuropäische Intelligenz und alle Fremdvölker bekämpfen
können, vermutlich aber nebenher auch den russischen Staat zertrümmern.

Die scharfe Verschiebung der Bauern nach links wurde, abgesehen von
den eben angedeuteten allgemeinen Verhältnissen und der rührigen Agitation
der Revolutionäre, auch durch das Auftreten des „Vereinigten Adels" in seinen
Sitzungen Anfang April 1907 begünstigt. In seiner Furcht, die Regierung
könne dem Drängen der revolutionären Agrarreformer zu weit nachgeben, hat
der Adel allerhand Beschlüsse gefaßt, die von der Regierung strengste Bei¬
behaltung der bisherigen Landorganisation, und um dafür die Zustimmung
der Volksvertreter zu erhalten, Änderung des Wahlrechts fordern. Die häufig
recht stürmisch verlaufenden Sitzungen boten den Nevolutionüern ausgiebige
Gelegenheit, die Bauern auf die vom Adel drohende Gefahr hinzuweisen.
Wenn auch der Adel durchaus in Vertretung seiner ständischen Interessen
handelte, muß sein Auftreten gerade im gegenwärtigen Augenblick als un-


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[0279] Russische Briefe Selbstverwaltung in Gemeinden, Berufs- und Jnteressenvcrbänden geübt und für den besondern Kampf in den Parlamenten gerüstet und organisiert sind, während in Rußland solche Organisationen mit Feuer und Schwert verfolgt wurden, und darum jeder einzelne Besitzende ängstlich jedem politischen Treiben auswich und seine Geschäftsinteressen bei Hoch und Niedrig lieber mit dem offnen Geldsack vertrat. Die Folge dieser Unkenntnis ist zwar, daß die organisierten Gebildeten nicht in die Duma gekommen sind, aber auch nicht die unorganisierten Besitzenden, sondern vorwiegend die gut organisierten Besitz¬ losen und Ungebildeten. Wir haben tatsächlich eine sozialistische Banernduma vor uns, die in ihrer Mehrheit engherzig einzig das Wohl einer Klasse, nicht des Landes im Auge hat, die infolgedessen nur den Namen einer staatlich unterhaltenen Schule für revolutionäre Agitatoren verdient! Die Verantwortung für diese Duma wird nun absichtlich der russischen Intelligenz, überhaupt deu fortschrittlichen Parteien aufgebürdet, die die Re¬ volution „gemacht" haben. Besonders im Auslande wirken die Agenten der russischen Regierung dafür, dem Bankier und Sparer zu beweisen, daß die ganze russische Intelligenz nichts tauge, daß die Regierung, d. h. die Bureaukratie, allem befähigt sei, das Land durch alle Fährnisse der Krisis zu führen. Das ist ungerecht. Die heutige russische Gesellschaft ist die Frucht jener Drachensaat, die die dreizehnjährige Regierung Alexanders des Dritten gesät hat. Da die Regierung die wenigen „besten Kreise" von der Dnma ferngehalten hat, muß sie schon mit der vergifteten Masse arbeiten. Denn die Duma stellt das russische Volk so vollkommen dar, wie es kaum ein Parlament sonst kann. Für diese Duma ist aber niemand anders als die Regierung verantwortlich, die Regierung, die weder die Lehren kennt, die das Land seit dreißig Jahren überschwemmen, noch die Stimmung, die jene Lehren im Zusammenhange mit der wirtschaft¬ lichen Entwicklung erzeugt haben. Will die Regierung heute eine gefügige Duma¬ mehrheit haben, dann soll sie den Bauern Land geben — alles Land. Dann wird sie auch die westeuropäische Intelligenz und alle Fremdvölker bekämpfen können, vermutlich aber nebenher auch den russischen Staat zertrümmern. Die scharfe Verschiebung der Bauern nach links wurde, abgesehen von den eben angedeuteten allgemeinen Verhältnissen und der rührigen Agitation der Revolutionäre, auch durch das Auftreten des „Vereinigten Adels" in seinen Sitzungen Anfang April 1907 begünstigt. In seiner Furcht, die Regierung könne dem Drängen der revolutionären Agrarreformer zu weit nachgeben, hat der Adel allerhand Beschlüsse gefaßt, die von der Regierung strengste Bei¬ behaltung der bisherigen Landorganisation, und um dafür die Zustimmung der Volksvertreter zu erhalten, Änderung des Wahlrechts fordern. Die häufig recht stürmisch verlaufenden Sitzungen boten den Nevolutionüern ausgiebige Gelegenheit, die Bauern auf die vom Adel drohende Gefahr hinzuweisen. Wenn auch der Adel durchaus in Vertretung seiner ständischen Interessen handelte, muß sein Auftreten gerade im gegenwärtigen Augenblick als un-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/279>, abgerufen am 06.02.2025.