Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ein Frauenberuf

mut Schüchternsten, trotzigsten Herzen, auch wenn sie nicht so schön spricht wie
in Langewiesches Gedicht:

Erschütternd trat mir der Gedanke an das echte, warme Gefühl, das in
dem Leben der Dirnen, auch der unrettbaren, zugrunde geht, nahe, als ich eine
Serie von photographischen Aufnahmen einer Dirne mit ihrem Kinde sah. Die
Mutter übt virtuos ihre Dirnentechnik in Pose und Drapierung, aber ihre Mimik
steht unter der Herrschaft des Herzens, der Strahl der Liebe in ihrem Auge,
der im schärfsten Gegensatz zu den dargestellten Situationen immer wieder das
lachende Pultchen sucht, ist echt. Der mütterliche Instinkt ist bei vielen Prosti¬
tuierten stark entwickelt. Anna Pappritz weist dies in der von ihr gemeinsam
mit Schwester Henriette Arendt herausgegebnen Schrift ..Die Welt, von der man
nicht spricht", an vielen Beispielen nach. Güte, die sich den in Schmach und
Not Mutter gewordnen naht, wird sie retten oder wenigstens ihre Kinder. Güte
ist auch das wichtigste Ingrediens des Palliativmittels, auf das ich die Auf¬
merksamkeit des Lesers lenken will. Dieses Mittel soll im allgemeinen nur
schmerzstillend wirken, aber in manchen Fällen wird es, wie ich zuversichtlich
hoffe, eine radikale Heilung herbeiführen. Wenn man weiß, wie Mädchen ver¬
loren gehn, weiß man auch, daß manche, leider nicht viele, wiedergefunden und
heimgeholt werden können. Ein Palliativmittel ist auch die Reglementierung
der Prostitution, und zwar eines, das infolge seines sehr geringen Verdienstes
um die Erhaltung des öffentlichen Anstands überschätzt wird und infolge der
staatlichen Sanktion, die ihm Würde verleiht wie dem Impfzwang, zerrüttend
auf den Bolkskörper und auf die Volksseele wirkt. Daneben darf das Mittel,
das ich, gestützt auf das Urteil von Autoritäten, auf die Ergebnisse von Heil¬
versuchen und auf fremde und eigne Erfahrungen, vorschlage, genannt werden.
Es ist die Anstellung von Polizeiassistentinnen zur Fürsorge für die weiblichen
Personen, die bei den Polizeiämtern eingeliefert werden.

Der Gedanke ist den Grcnzbotenlesern nicht neu. Minister Bosse hat ihn
ü" 16. Hefte des Jahrgangs 1900 der Grenzboten in einem Aufsatze "Zur
Frauenfrage" ausgesprochen. Er sagt dort von den Verlornen: "Zu retten sind
diese ärmsten aller Frauen nur, wenn man sie von dem Augenblicke an, wo die
rettende Einwirkung auf sie beginnt, nur mit weiblichen Persönlichkeiten in Ver¬
bindung bringt." Keine Korrektur, sondern nur eine Hervorhebung einer in
dem Gedanken des Ministers eingeschlossnen Forderung ist es, wenn ich hinzufüge,


Grenzborcn >1 1907
Ein Frauenberuf

mut Schüchternsten, trotzigsten Herzen, auch wenn sie nicht so schön spricht wie
in Langewiesches Gedicht:

Erschütternd trat mir der Gedanke an das echte, warme Gefühl, das in
dem Leben der Dirnen, auch der unrettbaren, zugrunde geht, nahe, als ich eine
Serie von photographischen Aufnahmen einer Dirne mit ihrem Kinde sah. Die
Mutter übt virtuos ihre Dirnentechnik in Pose und Drapierung, aber ihre Mimik
steht unter der Herrschaft des Herzens, der Strahl der Liebe in ihrem Auge,
der im schärfsten Gegensatz zu den dargestellten Situationen immer wieder das
lachende Pultchen sucht, ist echt. Der mütterliche Instinkt ist bei vielen Prosti¬
tuierten stark entwickelt. Anna Pappritz weist dies in der von ihr gemeinsam
mit Schwester Henriette Arendt herausgegebnen Schrift ..Die Welt, von der man
nicht spricht", an vielen Beispielen nach. Güte, die sich den in Schmach und
Not Mutter gewordnen naht, wird sie retten oder wenigstens ihre Kinder. Güte
ist auch das wichtigste Ingrediens des Palliativmittels, auf das ich die Auf¬
merksamkeit des Lesers lenken will. Dieses Mittel soll im allgemeinen nur
schmerzstillend wirken, aber in manchen Fällen wird es, wie ich zuversichtlich
hoffe, eine radikale Heilung herbeiführen. Wenn man weiß, wie Mädchen ver¬
loren gehn, weiß man auch, daß manche, leider nicht viele, wiedergefunden und
heimgeholt werden können. Ein Palliativmittel ist auch die Reglementierung
der Prostitution, und zwar eines, das infolge seines sehr geringen Verdienstes
um die Erhaltung des öffentlichen Anstands überschätzt wird und infolge der
staatlichen Sanktion, die ihm Würde verleiht wie dem Impfzwang, zerrüttend
auf den Bolkskörper und auf die Volksseele wirkt. Daneben darf das Mittel,
das ich, gestützt auf das Urteil von Autoritäten, auf die Ergebnisse von Heil¬
versuchen und auf fremde und eigne Erfahrungen, vorschlage, genannt werden.
Es ist die Anstellung von Polizeiassistentinnen zur Fürsorge für die weiblichen
Personen, die bei den Polizeiämtern eingeliefert werden.

Der Gedanke ist den Grcnzbotenlesern nicht neu. Minister Bosse hat ihn
ü" 16. Hefte des Jahrgangs 1900 der Grenzboten in einem Aufsatze „Zur
Frauenfrage" ausgesprochen. Er sagt dort von den Verlornen: „Zu retten sind
diese ärmsten aller Frauen nur, wenn man sie von dem Augenblicke an, wo die
rettende Einwirkung auf sie beginnt, nur mit weiblichen Persönlichkeiten in Ver¬
bindung bringt." Keine Korrektur, sondern nur eine Hervorhebung einer in
dem Gedanken des Ministers eingeschlossnen Forderung ist es, wenn ich hinzufüge,


Grenzborcn >1 1907
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0241" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302229"/>
          <fw type="header" place="top"> Ein Frauenberuf</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1061" prev="#ID_1060"> mut Schüchternsten, trotzigsten Herzen, auch wenn sie nicht so schön spricht wie<lb/>
in Langewiesches Gedicht:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_6" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1062"> Erschütternd trat mir der Gedanke an das echte, warme Gefühl, das in<lb/>
dem Leben der Dirnen, auch der unrettbaren, zugrunde geht, nahe, als ich eine<lb/>
Serie von photographischen Aufnahmen einer Dirne mit ihrem Kinde sah. Die<lb/>
Mutter übt virtuos ihre Dirnentechnik in Pose und Drapierung, aber ihre Mimik<lb/>
steht unter der Herrschaft des Herzens, der Strahl der Liebe in ihrem Auge,<lb/>
der im schärfsten Gegensatz zu den dargestellten Situationen immer wieder das<lb/>
lachende Pultchen sucht, ist echt. Der mütterliche Instinkt ist bei vielen Prosti¬<lb/>
tuierten stark entwickelt. Anna Pappritz weist dies in der von ihr gemeinsam<lb/>
mit Schwester Henriette Arendt herausgegebnen Schrift ..Die Welt, von der man<lb/>
nicht spricht", an vielen Beispielen nach. Güte, die sich den in Schmach und<lb/>
Not Mutter gewordnen naht, wird sie retten oder wenigstens ihre Kinder. Güte<lb/>
ist auch das wichtigste Ingrediens des Palliativmittels, auf das ich die Auf¬<lb/>
merksamkeit des Lesers lenken will. Dieses Mittel soll im allgemeinen nur<lb/>
schmerzstillend wirken, aber in manchen Fällen wird es, wie ich zuversichtlich<lb/>
hoffe, eine radikale Heilung herbeiführen. Wenn man weiß, wie Mädchen ver¬<lb/>
loren gehn, weiß man auch, daß manche, leider nicht viele, wiedergefunden und<lb/>
heimgeholt werden können. Ein Palliativmittel ist auch die Reglementierung<lb/>
der Prostitution, und zwar eines, das infolge seines sehr geringen Verdienstes<lb/>
um die Erhaltung des öffentlichen Anstands überschätzt wird und infolge der<lb/>
staatlichen Sanktion, die ihm Würde verleiht wie dem Impfzwang, zerrüttend<lb/>
auf den Bolkskörper und auf die Volksseele wirkt. Daneben darf das Mittel,<lb/>
das ich, gestützt auf das Urteil von Autoritäten, auf die Ergebnisse von Heil¬<lb/>
versuchen und auf fremde und eigne Erfahrungen, vorschlage, genannt werden.<lb/>
Es ist die Anstellung von Polizeiassistentinnen zur Fürsorge für die weiblichen<lb/>
Personen, die bei den Polizeiämtern eingeliefert werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1063" next="#ID_1064"> Der Gedanke ist den Grcnzbotenlesern nicht neu. Minister Bosse hat ihn<lb/>
ü" 16. Hefte des Jahrgangs 1900 der Grenzboten in einem Aufsatze &#x201E;Zur<lb/>
Frauenfrage" ausgesprochen. Er sagt dort von den Verlornen: &#x201E;Zu retten sind<lb/>
diese ärmsten aller Frauen nur, wenn man sie von dem Augenblicke an, wo die<lb/>
rettende Einwirkung auf sie beginnt, nur mit weiblichen Persönlichkeiten in Ver¬<lb/>
bindung bringt." Keine Korrektur, sondern nur eine Hervorhebung einer in<lb/>
dem Gedanken des Ministers eingeschlossnen Forderung ist es, wenn ich hinzufüge,</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzborcn &gt;1 1907</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0241] Ein Frauenberuf mut Schüchternsten, trotzigsten Herzen, auch wenn sie nicht so schön spricht wie in Langewiesches Gedicht: Erschütternd trat mir der Gedanke an das echte, warme Gefühl, das in dem Leben der Dirnen, auch der unrettbaren, zugrunde geht, nahe, als ich eine Serie von photographischen Aufnahmen einer Dirne mit ihrem Kinde sah. Die Mutter übt virtuos ihre Dirnentechnik in Pose und Drapierung, aber ihre Mimik steht unter der Herrschaft des Herzens, der Strahl der Liebe in ihrem Auge, der im schärfsten Gegensatz zu den dargestellten Situationen immer wieder das lachende Pultchen sucht, ist echt. Der mütterliche Instinkt ist bei vielen Prosti¬ tuierten stark entwickelt. Anna Pappritz weist dies in der von ihr gemeinsam mit Schwester Henriette Arendt herausgegebnen Schrift ..Die Welt, von der man nicht spricht", an vielen Beispielen nach. Güte, die sich den in Schmach und Not Mutter gewordnen naht, wird sie retten oder wenigstens ihre Kinder. Güte ist auch das wichtigste Ingrediens des Palliativmittels, auf das ich die Auf¬ merksamkeit des Lesers lenken will. Dieses Mittel soll im allgemeinen nur schmerzstillend wirken, aber in manchen Fällen wird es, wie ich zuversichtlich hoffe, eine radikale Heilung herbeiführen. Wenn man weiß, wie Mädchen ver¬ loren gehn, weiß man auch, daß manche, leider nicht viele, wiedergefunden und heimgeholt werden können. Ein Palliativmittel ist auch die Reglementierung der Prostitution, und zwar eines, das infolge seines sehr geringen Verdienstes um die Erhaltung des öffentlichen Anstands überschätzt wird und infolge der staatlichen Sanktion, die ihm Würde verleiht wie dem Impfzwang, zerrüttend auf den Bolkskörper und auf die Volksseele wirkt. Daneben darf das Mittel, das ich, gestützt auf das Urteil von Autoritäten, auf die Ergebnisse von Heil¬ versuchen und auf fremde und eigne Erfahrungen, vorschlage, genannt werden. Es ist die Anstellung von Polizeiassistentinnen zur Fürsorge für die weiblichen Personen, die bei den Polizeiämtern eingeliefert werden. Der Gedanke ist den Grcnzbotenlesern nicht neu. Minister Bosse hat ihn ü" 16. Hefte des Jahrgangs 1900 der Grenzboten in einem Aufsatze „Zur Frauenfrage" ausgesprochen. Er sagt dort von den Verlornen: „Zu retten sind diese ärmsten aller Frauen nur, wenn man sie von dem Augenblicke an, wo die rettende Einwirkung auf sie beginnt, nur mit weiblichen Persönlichkeiten in Ver¬ bindung bringt." Keine Korrektur, sondern nur eine Hervorhebung einer in dem Gedanken des Ministers eingeschlossnen Forderung ist es, wenn ich hinzufüge, Grenzborcn >1 1907

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/241
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/241>, abgerufen am 06.02.2025.