Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.La Frauenberuf in der Literatur. Goethe und Heyse zeigen uns Verlorne, denen sich gütig die Sonst gleiten die Dichtung und die Kunst über den Sumpf, der in den La Frauenberuf in der Literatur. Goethe und Heyse zeigen uns Verlorne, denen sich gütig die Sonst gleiten die Dichtung und die Kunst über den Sumpf, der in den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302228"/> <fw type="header" place="top"> La Frauenberuf</fw><lb/> <p xml:id="ID_1059" prev="#ID_1058"> in der Literatur. Goethe und Heyse zeigen uns Verlorne, denen sich gütig die<lb/> Gottheit neigt, durch den Hintergrund von Wilhelm Specks Roman „Zwei<lb/> Seelen" geht mit leisem Fuße eines von den armen Wesen, die sich nicht in<lb/> die Sonne trauen, weil sie keinen Schatten haben und noch unglücklicher sind<lb/> als Peter Schlemihl, Wilhelm Langewiesche sieht durch die Schminke eines<lb/> Dirnenantlitzes verhärmte Schwesterzüge, und in der Wüste des „Simplicissimus"<lb/> finden sich ein paar Bilder und Gedichte, die den Menschenwert der Ärmsten<lb/> hervorheben. Nicht alle Bajaderen tröstet ein Gott, nicht alle Magdalenen der<lb/> Erlöser. Aber in allen diesen Darstellungen ist das Dunkel des Dirnenlebens<lb/> erhellt durch das Licht der Liebe. Sie können nur Liebe lehren, nicht die<lb/> Kenntnis des Abgrunds, an dessen Rand sie führen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1060" next="#ID_1061"> Sonst gleiten die Dichtung und die Kunst über den Sumpf, der in den<lb/> Tiefen des Lebens ans lauter Tränen zusammengeronnen ist, ruhig und hoch<lb/> weg wie Wolken, oder sie wurzeln in seinem Grunde wie Nymphäen. Und der<lb/> Staat wäscht aus der Flut des Leides Gold. Ein Häuflein Menschenfreunde,<lb/> das den Hohn nicht scheut, sucht die still und stetig sickernden Tränenquellen<lb/> zu verstopfen. Ihr Streben wird Utopie, und der Faustgedanke, den Sumpf<lb/> trocken zu legen, wird Wahnsinn gescholten. Der Not- und Leidpfuhl aber ver¬<lb/> seucht mit seinem Gifthauch alle Schichten unsers Volkes. Wer das Höllen-<lb/> gewässer kennt, für den ist die Absicht der Menschenfreunde keine Utopie, der<lb/> weiß, daß es verkleinert werden kann. Ich glaube es zu kennen. Ich habe<lb/> das Leben der Verlornen mit fremden und mit eignen Augen gesehen. Mit<lb/> fremden in der pornographischen Literatur und Kunst, in der pornologischen<lb/> aus Dirnenbeichten und Jnsernoschilderungen von Juristen, Medizinern und<lb/> Laien bestehenden Literatur und in der schönen Literatur, soweit sie diese Tiefen<lb/> des Daseins darstellt. Mit eignen in untrüglichen Bildern nach dem Leben.<lb/> Aus vielen Tausenden von Aktphotographien, die nicht für Künstler bestimmt<lb/> und verwendbar waren, habe ich die industrielle Verwertung des Rohprodukts,<lb/> das man Kind und Jungfrau nennt, genau kennen gelernt. Endlich habe ich<lb/> das Leben unsrer armen Verlornen Schwestern auch mit eignen Augen aus der<lb/> Nähe betrachtet — man mag von mir denken, was man will, ich kann mit<lb/> ruhigem Gewissen davon reden. Auf meinen eignen nach dem Leben und nach<lb/> seinem treusten Spiegelbild, der Photographie, gemachten Beobachtungen beruht<lb/> meine unerschütterliche Überzeugung, daß das jetzige Verfahren gegen die Prosti¬<lb/> tution verbessert werden kann und verbessert werden muß. Durch Güte. So<lb/> manches Dirnenantlitz hat einen harten Zug. Laßt einen Strahl des Glücks<lb/> auf das im Kampfe mit dem harten, höhnischen Leben trotzig gesenkte Haupt<lb/> fallen, und die Güte lacht als Widerschein aus den das Licht suchenden Augen<lb/> der Armen. Sprecht ein gütiges Wort zu dem scheuen Mädchen, das euch naht.<lb/> Nicht alle antworten, wie die Menschenverächter behaupten, mit einer Zote. Oft<lb/> bringt ein warmes Wort das gemeine, gefrorne Berufs lächeln zum Schmelzen,<lb/> Tränen waschen die Schminke weg und zeigen die wahren Züge. Güte dringt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0240]
La Frauenberuf
in der Literatur. Goethe und Heyse zeigen uns Verlorne, denen sich gütig die
Gottheit neigt, durch den Hintergrund von Wilhelm Specks Roman „Zwei
Seelen" geht mit leisem Fuße eines von den armen Wesen, die sich nicht in
die Sonne trauen, weil sie keinen Schatten haben und noch unglücklicher sind
als Peter Schlemihl, Wilhelm Langewiesche sieht durch die Schminke eines
Dirnenantlitzes verhärmte Schwesterzüge, und in der Wüste des „Simplicissimus"
finden sich ein paar Bilder und Gedichte, die den Menschenwert der Ärmsten
hervorheben. Nicht alle Bajaderen tröstet ein Gott, nicht alle Magdalenen der
Erlöser. Aber in allen diesen Darstellungen ist das Dunkel des Dirnenlebens
erhellt durch das Licht der Liebe. Sie können nur Liebe lehren, nicht die
Kenntnis des Abgrunds, an dessen Rand sie führen.
Sonst gleiten die Dichtung und die Kunst über den Sumpf, der in den
Tiefen des Lebens ans lauter Tränen zusammengeronnen ist, ruhig und hoch
weg wie Wolken, oder sie wurzeln in seinem Grunde wie Nymphäen. Und der
Staat wäscht aus der Flut des Leides Gold. Ein Häuflein Menschenfreunde,
das den Hohn nicht scheut, sucht die still und stetig sickernden Tränenquellen
zu verstopfen. Ihr Streben wird Utopie, und der Faustgedanke, den Sumpf
trocken zu legen, wird Wahnsinn gescholten. Der Not- und Leidpfuhl aber ver¬
seucht mit seinem Gifthauch alle Schichten unsers Volkes. Wer das Höllen-
gewässer kennt, für den ist die Absicht der Menschenfreunde keine Utopie, der
weiß, daß es verkleinert werden kann. Ich glaube es zu kennen. Ich habe
das Leben der Verlornen mit fremden und mit eignen Augen gesehen. Mit
fremden in der pornographischen Literatur und Kunst, in der pornologischen
aus Dirnenbeichten und Jnsernoschilderungen von Juristen, Medizinern und
Laien bestehenden Literatur und in der schönen Literatur, soweit sie diese Tiefen
des Daseins darstellt. Mit eignen in untrüglichen Bildern nach dem Leben.
Aus vielen Tausenden von Aktphotographien, die nicht für Künstler bestimmt
und verwendbar waren, habe ich die industrielle Verwertung des Rohprodukts,
das man Kind und Jungfrau nennt, genau kennen gelernt. Endlich habe ich
das Leben unsrer armen Verlornen Schwestern auch mit eignen Augen aus der
Nähe betrachtet — man mag von mir denken, was man will, ich kann mit
ruhigem Gewissen davon reden. Auf meinen eignen nach dem Leben und nach
seinem treusten Spiegelbild, der Photographie, gemachten Beobachtungen beruht
meine unerschütterliche Überzeugung, daß das jetzige Verfahren gegen die Prosti¬
tution verbessert werden kann und verbessert werden muß. Durch Güte. So
manches Dirnenantlitz hat einen harten Zug. Laßt einen Strahl des Glücks
auf das im Kampfe mit dem harten, höhnischen Leben trotzig gesenkte Haupt
fallen, und die Güte lacht als Widerschein aus den das Licht suchenden Augen
der Armen. Sprecht ein gütiges Wort zu dem scheuen Mädchen, das euch naht.
Nicht alle antworten, wie die Menschenverächter behaupten, mit einer Zote. Oft
bringt ein warmes Wort das gemeine, gefrorne Berufs lächeln zum Schmelzen,
Tränen waschen die Schminke weg und zeigen die wahren Züge. Güte dringt
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