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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Liu Frauenberuf

und rechte Weg für Frauen tätigkeit und Fmueuvereine gegeben, und es kommt
nur darauf an, daß er betreten wird." Mit dieser von Düring angeführten
Äußerung eines hohen preußischen Verwaltungsbeamten verband sich folgende
Notiz in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 30. Dezember 1906 zu einem
erschreckenden Bilde der Lage: "Der Besitzer eines öffentlichen Hauses in Nürn¬
berg, der sich von den Prostituierten für Beherbergung und Verpflegung den
hohen Betrag von täglich acht Mark bezahlen ließ, wurde vom Schöffengericht
wegen Kuppelei zu drei Tagen Gefängnis verurteilt, welche Strafe das Land¬
gericht als Berufungsgericht auf einen Tag Gefängnis ermäßigte. In seiner
Revision macht der Verurteilte geltend, es habe ihm das Bewußtsein der Rechts-
widrigkeit gefehlt, da sein Betrieb polizeilich konzessioniert und überwacht und
seitens des Staates auch besteuert sei. Seine Verurteilung verstoße gegen den Para¬
graphen 361 des Reichsstrafgesetzbuches, welcher die Ausübung der Prostitution
unter Beobachtung der polizeilichen Vorschriften gestatte. Diese Gestattung setze
das Vorhandensein von geeigneten Räumen voraus. Der Nürnberger Magistrat
habe auch 1875 angeordnet, daß Prostituierte in bestimmten Häusern wohnen
müssen. -- Die Revision wurde als unbegründet kostenfällig verworfen. Der
Staatsanwalt am Obersten Landesgericht gab zu, daß darin, daß der Staat sich
in der Form der Besteuerung an der Fruktifizierung des Betriebes beteiligt, der
Besitzer aber dem Strafrecht verfällt, ein gewisser Widerspruch liegt, bemerkte
aber, diesen Widerspruch könne nicht die Rechtsprechung, sondern nur die Gesetz¬
gebung lösen."

Das ist das Bild der Lage, das sich mir durch eine zufällige Gruppierung
meines Lesestoffs mit verletzender Häßlichkeit enthüllte. Die Kenntnis dieser
Verhältnisse ist nicht verbreitet, man verschließt sich dagegen, daher fehlt der
Wille zum Helfen. Düring sagt am Ende seines Vortrags: "Ich habe den
Eindruck, als ob auch der Staat -- von weitaus dem größten Teil der bürger¬
lichen Gesellschaft gilt das sicher -- der ganzen Frage der Sanierung der
Prostitution mit einem mehr gezwungenen und -- durch die von verschiedenen
Seiten gleichzeitig erregte Bewegung auf diesem Gebiete getrieben -- mehr mit
einem neugierigen Interesse gegenübersteht als mit dem Gefühle der ihm ob¬
liegenden Verpflichtung, hier wirklich zu helfen." Ich spreche sogar dem weit¬
aus größten Teil der bürgerlichen Gesellschaft die dürftige Teilnahme an dem
Lose der Ärmsten ab. die ihm Düring zugesteht, und klage diesen Teil der
Gesellschaft der bewußten Gleichgiltigkeit gegen die Not der Prostituierten an.
Falsche Scham, Menschenkenntnis, die über das tout oomxrenärs und das Wut
parcloimsr nicht zur Hilfsbereitschaft, soudern zur Menschenverachtung geführt
hat, Schuldbewußtseins Pharisäertum habe" es dazu gebracht, daß man der
Prostitution, ihren Folgen und ihren Opfern gegenüber handelt wie der Vogel
Strauß.

Allerdings erscheinen, von Menschenliebe aus der Schmach halb aufgerichtet
und milde beleuchtet, Erlösungshoffnung in den Zügen ein paar Dirnengestalten


Liu Frauenberuf

und rechte Weg für Frauen tätigkeit und Fmueuvereine gegeben, und es kommt
nur darauf an, daß er betreten wird." Mit dieser von Düring angeführten
Äußerung eines hohen preußischen Verwaltungsbeamten verband sich folgende
Notiz in den Münchner Neuesten Nachrichten vom 30. Dezember 1906 zu einem
erschreckenden Bilde der Lage: „Der Besitzer eines öffentlichen Hauses in Nürn¬
berg, der sich von den Prostituierten für Beherbergung und Verpflegung den
hohen Betrag von täglich acht Mark bezahlen ließ, wurde vom Schöffengericht
wegen Kuppelei zu drei Tagen Gefängnis verurteilt, welche Strafe das Land¬
gericht als Berufungsgericht auf einen Tag Gefängnis ermäßigte. In seiner
Revision macht der Verurteilte geltend, es habe ihm das Bewußtsein der Rechts-
widrigkeit gefehlt, da sein Betrieb polizeilich konzessioniert und überwacht und
seitens des Staates auch besteuert sei. Seine Verurteilung verstoße gegen den Para¬
graphen 361 des Reichsstrafgesetzbuches, welcher die Ausübung der Prostitution
unter Beobachtung der polizeilichen Vorschriften gestatte. Diese Gestattung setze
das Vorhandensein von geeigneten Räumen voraus. Der Nürnberger Magistrat
habe auch 1875 angeordnet, daß Prostituierte in bestimmten Häusern wohnen
müssen. — Die Revision wurde als unbegründet kostenfällig verworfen. Der
Staatsanwalt am Obersten Landesgericht gab zu, daß darin, daß der Staat sich
in der Form der Besteuerung an der Fruktifizierung des Betriebes beteiligt, der
Besitzer aber dem Strafrecht verfällt, ein gewisser Widerspruch liegt, bemerkte
aber, diesen Widerspruch könne nicht die Rechtsprechung, sondern nur die Gesetz¬
gebung lösen."

Das ist das Bild der Lage, das sich mir durch eine zufällige Gruppierung
meines Lesestoffs mit verletzender Häßlichkeit enthüllte. Die Kenntnis dieser
Verhältnisse ist nicht verbreitet, man verschließt sich dagegen, daher fehlt der
Wille zum Helfen. Düring sagt am Ende seines Vortrags: „Ich habe den
Eindruck, als ob auch der Staat — von weitaus dem größten Teil der bürger¬
lichen Gesellschaft gilt das sicher — der ganzen Frage der Sanierung der
Prostitution mit einem mehr gezwungenen und — durch die von verschiedenen
Seiten gleichzeitig erregte Bewegung auf diesem Gebiete getrieben — mehr mit
einem neugierigen Interesse gegenübersteht als mit dem Gefühle der ihm ob¬
liegenden Verpflichtung, hier wirklich zu helfen." Ich spreche sogar dem weit¬
aus größten Teil der bürgerlichen Gesellschaft die dürftige Teilnahme an dem
Lose der Ärmsten ab. die ihm Düring zugesteht, und klage diesen Teil der
Gesellschaft der bewußten Gleichgiltigkeit gegen die Not der Prostituierten an.
Falsche Scham, Menschenkenntnis, die über das tout oomxrenärs und das Wut
parcloimsr nicht zur Hilfsbereitschaft, soudern zur Menschenverachtung geführt
hat, Schuldbewußtseins Pharisäertum habe» es dazu gebracht, daß man der
Prostitution, ihren Folgen und ihren Opfern gegenüber handelt wie der Vogel
Strauß.

Allerdings erscheinen, von Menschenliebe aus der Schmach halb aufgerichtet
und milde beleuchtet, Erlösungshoffnung in den Zügen ein paar Dirnengestalten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/239>, abgerufen am 06.02.2025.