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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Lin Frauenberuf

assistentin in Stuttgart, im Stuttgarter Neuen Tagblatt vom 25. und 28. Fe¬
bruar 1905 und dann eine Notiz der Münchner Neuesten Nachrichten vom
30. Dezember 1906 über die Verurteilung des Besitzers eines öffentlichen Hauses
in Nürnberg.

Aus dem Vortrage des Kieler Gelehrten, der früher im Dienste der tür¬
kischen Regierung in Kleinasien die Geschlechtskrankheiten bekämpfte, habe ich
ein klares Bild der furchtbaren Sittenkrankheit, die man Prostitution nennt, und
ihrer nicht minder furchtbaren Folgen gewonnen. Zugleich hat mich Professor
von Düring überzeugt, daß die Therapie, die die Polizeipraxis gegenüber der
Prostitution und den Geschlechtskrankheiten anwendet, nie und nirgends durch
eine radikale Heilung des Schadens, ja nicht einmal durch Palliativwirkungeu
gerechtfertigt wird. Düring beginnt "mit einer absoluten Verurteilung der gegen¬
wärtig bestehenden Systeme der Reglementierung, Bordellierung, der sittenpolizei¬
lichen Kontrolle und aller damit zusammenhängenden Einrichtungen. . .. Wenn
die Polizei eine Registrierung, Reglementierung und Assanierung der Prostitution
nur in irgendwie erheblichem Maße erreicht hätte, so würden sich sehr wenige
Stimmen gegen polizeiliche Überwachung der Prostitution finden." Er bezeichnet
mit dem Oberlandesgerichtsrat Schmölder*) "das Eindringen der (aus Frank¬
reich stammenden) Zwangseinschreibung auf preußischem und deutschem Boden
als ganz und gar gesetzwidrig", klagt "Wie viele Mädchen und Frauen, die
nicht zu den "Prostituierten" im engeren Sinne des Wortes gehören, sind durch
die Zwangseinschreibung dazu gemacht worden!", weist nach, daß die Reglemen¬
tierung, die Bordellierung und die Kasernierung der Prostitution "ethisch, ju¬
ristisch und hygienisch vollständig zu verwerfen sind", und fordert "Aufhebung
der Reglementierung, Unterdrückung der Sittenpolizei, Beseitigung der sanitüts-
polizeilichen Zwangsbehandlung". Er fügt hinzu: "Wenn nichts um die Stelle
träte, wäre das noch immer besser als das, was wir heute haben: eine unge¬
setzliche, ungerechte, wirkungslose, direkt schädigende und trügerische Maßregel."
Die Gedanken, die Düring in seinem Vortrag ausführt, decken sich zum Teil
und den" Inhalt eines Gutachtens, das er dem preußischen Kultusminister unter¬
breitet hat.

Der Kieler Gelehrte führt uuter anderm eine Äußerung des Geheimen
Oberregierungsrats C. von Massow an, die die Lage besonders scharf beleuchtet.
Massow sagt in einer Schrift über das preußische Fürsorgeerziehungsgesetz: "Die
öffentliche, von der Polizei autorisierte und konzessionierte Prostitution ist eine
der himmelschreiendsten Einrichtungen unseres öffentlichen Lebens; vor allem aber
spricht es dem Begriff des Staates geradezu Hohn, wenn diese Einrichtung auf
Minderjährige, über welche der Staat durch seine Beamten, Behörden und
Organe die Vormundschaft ausübt, Anwendung findet. .. . Hier ist der echte



Schmölder, Die gewerbsmäßige Unzucht und die zwangsweise Eintragung in die
Dirnenlisten. Berlin, 1894.
Lin Frauenberuf

assistentin in Stuttgart, im Stuttgarter Neuen Tagblatt vom 25. und 28. Fe¬
bruar 1905 und dann eine Notiz der Münchner Neuesten Nachrichten vom
30. Dezember 1906 über die Verurteilung des Besitzers eines öffentlichen Hauses
in Nürnberg.

Aus dem Vortrage des Kieler Gelehrten, der früher im Dienste der tür¬
kischen Regierung in Kleinasien die Geschlechtskrankheiten bekämpfte, habe ich
ein klares Bild der furchtbaren Sittenkrankheit, die man Prostitution nennt, und
ihrer nicht minder furchtbaren Folgen gewonnen. Zugleich hat mich Professor
von Düring überzeugt, daß die Therapie, die die Polizeipraxis gegenüber der
Prostitution und den Geschlechtskrankheiten anwendet, nie und nirgends durch
eine radikale Heilung des Schadens, ja nicht einmal durch Palliativwirkungeu
gerechtfertigt wird. Düring beginnt „mit einer absoluten Verurteilung der gegen¬
wärtig bestehenden Systeme der Reglementierung, Bordellierung, der sittenpolizei¬
lichen Kontrolle und aller damit zusammenhängenden Einrichtungen. . .. Wenn
die Polizei eine Registrierung, Reglementierung und Assanierung der Prostitution
nur in irgendwie erheblichem Maße erreicht hätte, so würden sich sehr wenige
Stimmen gegen polizeiliche Überwachung der Prostitution finden." Er bezeichnet
mit dem Oberlandesgerichtsrat Schmölder*) „das Eindringen der (aus Frank¬
reich stammenden) Zwangseinschreibung auf preußischem und deutschem Boden
als ganz und gar gesetzwidrig", klagt „Wie viele Mädchen und Frauen, die
nicht zu den »Prostituierten« im engeren Sinne des Wortes gehören, sind durch
die Zwangseinschreibung dazu gemacht worden!", weist nach, daß die Reglemen¬
tierung, die Bordellierung und die Kasernierung der Prostitution „ethisch, ju¬
ristisch und hygienisch vollständig zu verwerfen sind", und fordert „Aufhebung
der Reglementierung, Unterdrückung der Sittenpolizei, Beseitigung der sanitüts-
polizeilichen Zwangsbehandlung". Er fügt hinzu: „Wenn nichts um die Stelle
träte, wäre das noch immer besser als das, was wir heute haben: eine unge¬
setzliche, ungerechte, wirkungslose, direkt schädigende und trügerische Maßregel."
Die Gedanken, die Düring in seinem Vortrag ausführt, decken sich zum Teil
und den« Inhalt eines Gutachtens, das er dem preußischen Kultusminister unter¬
breitet hat.

Der Kieler Gelehrte führt uuter anderm eine Äußerung des Geheimen
Oberregierungsrats C. von Massow an, die die Lage besonders scharf beleuchtet.
Massow sagt in einer Schrift über das preußische Fürsorgeerziehungsgesetz: „Die
öffentliche, von der Polizei autorisierte und konzessionierte Prostitution ist eine
der himmelschreiendsten Einrichtungen unseres öffentlichen Lebens; vor allem aber
spricht es dem Begriff des Staates geradezu Hohn, wenn diese Einrichtung auf
Minderjährige, über welche der Staat durch seine Beamten, Behörden und
Organe die Vormundschaft ausübt, Anwendung findet. .. . Hier ist der echte



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Dirnenlisten. Berlin, 1894.
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[0238] Lin Frauenberuf assistentin in Stuttgart, im Stuttgarter Neuen Tagblatt vom 25. und 28. Fe¬ bruar 1905 und dann eine Notiz der Münchner Neuesten Nachrichten vom 30. Dezember 1906 über die Verurteilung des Besitzers eines öffentlichen Hauses in Nürnberg. Aus dem Vortrage des Kieler Gelehrten, der früher im Dienste der tür¬ kischen Regierung in Kleinasien die Geschlechtskrankheiten bekämpfte, habe ich ein klares Bild der furchtbaren Sittenkrankheit, die man Prostitution nennt, und ihrer nicht minder furchtbaren Folgen gewonnen. Zugleich hat mich Professor von Düring überzeugt, daß die Therapie, die die Polizeipraxis gegenüber der Prostitution und den Geschlechtskrankheiten anwendet, nie und nirgends durch eine radikale Heilung des Schadens, ja nicht einmal durch Palliativwirkungeu gerechtfertigt wird. Düring beginnt „mit einer absoluten Verurteilung der gegen¬ wärtig bestehenden Systeme der Reglementierung, Bordellierung, der sittenpolizei¬ lichen Kontrolle und aller damit zusammenhängenden Einrichtungen. . .. Wenn die Polizei eine Registrierung, Reglementierung und Assanierung der Prostitution nur in irgendwie erheblichem Maße erreicht hätte, so würden sich sehr wenige Stimmen gegen polizeiliche Überwachung der Prostitution finden." Er bezeichnet mit dem Oberlandesgerichtsrat Schmölder*) „das Eindringen der (aus Frank¬ reich stammenden) Zwangseinschreibung auf preußischem und deutschem Boden als ganz und gar gesetzwidrig", klagt „Wie viele Mädchen und Frauen, die nicht zu den »Prostituierten« im engeren Sinne des Wortes gehören, sind durch die Zwangseinschreibung dazu gemacht worden!", weist nach, daß die Reglemen¬ tierung, die Bordellierung und die Kasernierung der Prostitution „ethisch, ju¬ ristisch und hygienisch vollständig zu verwerfen sind", und fordert „Aufhebung der Reglementierung, Unterdrückung der Sittenpolizei, Beseitigung der sanitüts- polizeilichen Zwangsbehandlung". Er fügt hinzu: „Wenn nichts um die Stelle träte, wäre das noch immer besser als das, was wir heute haben: eine unge¬ setzliche, ungerechte, wirkungslose, direkt schädigende und trügerische Maßregel." Die Gedanken, die Düring in seinem Vortrag ausführt, decken sich zum Teil und den« Inhalt eines Gutachtens, das er dem preußischen Kultusminister unter¬ breitet hat. Der Kieler Gelehrte führt uuter anderm eine Äußerung des Geheimen Oberregierungsrats C. von Massow an, die die Lage besonders scharf beleuchtet. Massow sagt in einer Schrift über das preußische Fürsorgeerziehungsgesetz: „Die öffentliche, von der Polizei autorisierte und konzessionierte Prostitution ist eine der himmelschreiendsten Einrichtungen unseres öffentlichen Lebens; vor allem aber spricht es dem Begriff des Staates geradezu Hohn, wenn diese Einrichtung auf Minderjährige, über welche der Staat durch seine Beamten, Behörden und Organe die Vormundschaft ausübt, Anwendung findet. .. . Hier ist der echte Schmölder, Die gewerbsmäßige Unzucht und die zwangsweise Eintragung in die Dirnenlisten. Berlin, 1894.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/238>, abgerufen am 06.02.2025.