Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Leben und Treiben in Alt-jBuchara zwei flankierenden Türmen neben dem Tor, unter dessen Kielbogen zurück¬ Auf dem Wege vom Basar zur Burg liegt das Staatsgefängnis. Ein Wachtdienst ist überhaupt die vornehmste Tätigkeit der Armee Seiner Der Öffentlichkeit fehlte also, was wir bisher noch nicht zu bedauern Leben und Treiben in Alt-jBuchara zwei flankierenden Türmen neben dem Tor, unter dessen Kielbogen zurück¬ Auf dem Wege vom Basar zur Burg liegt das Staatsgefängnis. Ein Wachtdienst ist überhaupt die vornehmste Tätigkeit der Armee Seiner Der Öffentlichkeit fehlte also, was wir bisher noch nicht zu bedauern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0206" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302194"/> <fw type="header" place="top"> Leben und Treiben in Alt-jBuchara</fw><lb/> <p xml:id="ID_920" prev="#ID_919"> zwei flankierenden Türmen neben dem Tor, unter dessen Kielbogen zurück¬<lb/> gezogen die dunkle Öffnung den Eingang zu den Regierungsgebäuden bildet.<lb/> Eine Galerie über dem Bogen gewährt einen jedenfalls reizvollen Überblick<lb/> über das Leben und Treiben auf dem Registan. Hier ist der offne Lebens¬<lb/> mittelmarkt, wo das männliche Geschlecht für den Hausbedarf einhandelt, da<lb/> das weibliche an das Haus gebannt ist. Für die häusliche Tätigkeit ent¬<lb/> schädigt man sich durch Zuhören bei irgendeinem Märchenerzähler. Da hockt<lb/> die weißbeturbante Gesellschaft in dicht gedrängtem Kreise an der Rampe um<lb/> den weisen Mann, und dieser läßt sich samt seinem Gehilfen durch uns Europäer<lb/> nicht im geringsten stören. Da das eintönig erzählte auch unserm Dragoman¬<lb/> portier gänzlich unverständlich ist, so wenden wir uns von der zum Tore<lb/> führenden Rampe nach dem wunderlichen Arsenal, der Sammlung alter, nur<lb/> zu einem Teil auf wackligen Lafetten ruhender Geschützrohre, die durch eine<lb/> großartige Palma ausgezeichnet sind, außer dem historischen und dem Bronze¬<lb/> wert aber keinen haben. Nichtsdestoweniger hat eine Wache die ehrenvolle<lb/> Aufgabe, diese Zeugen mehr oder weniger ruhmvoller Vergangenheit unter einem<lb/> an der einen Seite offnen Schuppen zu schützen.</p><lb/> <p xml:id="ID_921"> Auf dem Wege vom Basar zur Burg liegt das Staatsgefängnis. Ein<lb/> fideles Gefängnis auf einer ebenfalls wohl künstlichen Anhöhe. Zwei cm-<lb/> einandergekettete Verbrecher bettelten vor dem Eingang stehend mit hoher Er¬<lb/> laubnis die Vorübergehenden an. Kahlgeschoren, kläglich und doch frech der<lb/> eine, dabei hochgewachsen; ein Spitzbube, wie man erklärte. Im Hof andre<lb/> Gruppen, frei aber kettenklirrend. Und dann ein Raum, worin eng gepfercht<lb/> eine Unzahl Menschen lagerte, auf mitgebrachten Teppichen, an Bündel,<lb/> Kisten oder Truhen gelehnt — eine reizende buntgekleidete Gesellschaft, in der<lb/> sich wirkliche Verbrecher neben sonst ganz harmlosen Leuten befanden, die aus<lb/> irgendeinem Grunde willkürlich oder auch nach Gesetz und Recht ein bißchen<lb/> eingesperrt worden waren. Und der Geruch nach Menschenleibern! Eine kleine<lb/> Abteilung bucharischen Militärs mit anscheinend russischen Berdcmgewehren be¬<lb/> wachte die philanthropische Musteranstalt.</p><lb/> <p xml:id="ID_922"> Wachtdienst ist überhaupt die vornehmste Tätigkeit der Armee Seiner<lb/> Hoheit, von der man sonst blitzwenig zu sehen bekommt. Es ist ein stehendes<lb/> Heer von 15000 Mann, eingeteilt in Garde, Linienbataillone, Reiterei, be¬<lb/> rittene Schützen und ein Artilleriekorps mit 20 Geschützen, das den Emir<lb/> 12/2 Millionen Rubel kostet. Die Leute tragen karmoisinrote Hosen, dunkle<lb/> Röcke von dem Schnitt der russischen und sind überhaupt den Truppen des<lb/> Zaren nicht unähnlich im Aussehen, in der Ausbildung und den gemütlichen<lb/> militärischen Formen. Die Dienstzeit des Soldaten ist lebenslänglich, Alt<lb/> und Jung steht nebeneinander in der Front. Dafür wird der Krieger nur zwei<lb/> Tage der Woche in Anspruch genommen und darf sich an den übrigen seinem<lb/> Gewerbe widmen. Im Bedarfsfall wird das Heer durch 45000 Mann Land¬<lb/> sturm verstärkt.</p><lb/> <p xml:id="ID_923" next="#ID_924"> Der Öffentlichkeit fehlte also, was wir bisher noch nicht zu bedauern<lb/> brauchten, der Glanz der Uniformen, und noch eins, das weibliche Element.<lb/> Anders als sonst in Mittelasien scheut die Frau das Hinaustreten aus dem<lb/> Hause. Und wo sie es nicht vermeiden kann, verdeckt sie sich das Gesicht mit<lb/> einem dichten Roßhaarschleier. Wir sind eben in einer heiligen Stadt, in der<lb/> man streng nach dem Koran lebt. Sogar das alte Zigeunerweib, das uns auf<lb/> der Straße anbettelt, verdeckt mit der Hand die scheußliche Fratze und dreht<lb/> sie zur Seite. In der wärmenden Nachmittagssonne kauerten die braven<lb/> Familienväter auf dem schmalen Fußsteig vor ihrem Hause und sonnten die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0206]
Leben und Treiben in Alt-jBuchara
zwei flankierenden Türmen neben dem Tor, unter dessen Kielbogen zurück¬
gezogen die dunkle Öffnung den Eingang zu den Regierungsgebäuden bildet.
Eine Galerie über dem Bogen gewährt einen jedenfalls reizvollen Überblick
über das Leben und Treiben auf dem Registan. Hier ist der offne Lebens¬
mittelmarkt, wo das männliche Geschlecht für den Hausbedarf einhandelt, da
das weibliche an das Haus gebannt ist. Für die häusliche Tätigkeit ent¬
schädigt man sich durch Zuhören bei irgendeinem Märchenerzähler. Da hockt
die weißbeturbante Gesellschaft in dicht gedrängtem Kreise an der Rampe um
den weisen Mann, und dieser läßt sich samt seinem Gehilfen durch uns Europäer
nicht im geringsten stören. Da das eintönig erzählte auch unserm Dragoman¬
portier gänzlich unverständlich ist, so wenden wir uns von der zum Tore
führenden Rampe nach dem wunderlichen Arsenal, der Sammlung alter, nur
zu einem Teil auf wackligen Lafetten ruhender Geschützrohre, die durch eine
großartige Palma ausgezeichnet sind, außer dem historischen und dem Bronze¬
wert aber keinen haben. Nichtsdestoweniger hat eine Wache die ehrenvolle
Aufgabe, diese Zeugen mehr oder weniger ruhmvoller Vergangenheit unter einem
an der einen Seite offnen Schuppen zu schützen.
Auf dem Wege vom Basar zur Burg liegt das Staatsgefängnis. Ein
fideles Gefängnis auf einer ebenfalls wohl künstlichen Anhöhe. Zwei cm-
einandergekettete Verbrecher bettelten vor dem Eingang stehend mit hoher Er¬
laubnis die Vorübergehenden an. Kahlgeschoren, kläglich und doch frech der
eine, dabei hochgewachsen; ein Spitzbube, wie man erklärte. Im Hof andre
Gruppen, frei aber kettenklirrend. Und dann ein Raum, worin eng gepfercht
eine Unzahl Menschen lagerte, auf mitgebrachten Teppichen, an Bündel,
Kisten oder Truhen gelehnt — eine reizende buntgekleidete Gesellschaft, in der
sich wirkliche Verbrecher neben sonst ganz harmlosen Leuten befanden, die aus
irgendeinem Grunde willkürlich oder auch nach Gesetz und Recht ein bißchen
eingesperrt worden waren. Und der Geruch nach Menschenleibern! Eine kleine
Abteilung bucharischen Militärs mit anscheinend russischen Berdcmgewehren be¬
wachte die philanthropische Musteranstalt.
Wachtdienst ist überhaupt die vornehmste Tätigkeit der Armee Seiner
Hoheit, von der man sonst blitzwenig zu sehen bekommt. Es ist ein stehendes
Heer von 15000 Mann, eingeteilt in Garde, Linienbataillone, Reiterei, be¬
rittene Schützen und ein Artilleriekorps mit 20 Geschützen, das den Emir
12/2 Millionen Rubel kostet. Die Leute tragen karmoisinrote Hosen, dunkle
Röcke von dem Schnitt der russischen und sind überhaupt den Truppen des
Zaren nicht unähnlich im Aussehen, in der Ausbildung und den gemütlichen
militärischen Formen. Die Dienstzeit des Soldaten ist lebenslänglich, Alt
und Jung steht nebeneinander in der Front. Dafür wird der Krieger nur zwei
Tage der Woche in Anspruch genommen und darf sich an den übrigen seinem
Gewerbe widmen. Im Bedarfsfall wird das Heer durch 45000 Mann Land¬
sturm verstärkt.
Der Öffentlichkeit fehlte also, was wir bisher noch nicht zu bedauern
brauchten, der Glanz der Uniformen, und noch eins, das weibliche Element.
Anders als sonst in Mittelasien scheut die Frau das Hinaustreten aus dem
Hause. Und wo sie es nicht vermeiden kann, verdeckt sie sich das Gesicht mit
einem dichten Roßhaarschleier. Wir sind eben in einer heiligen Stadt, in der
man streng nach dem Koran lebt. Sogar das alte Zigeunerweib, das uns auf
der Straße anbettelt, verdeckt mit der Hand die scheußliche Fratze und dreht
sie zur Seite. In der wärmenden Nachmittagssonne kauerten die braven
Familienväter auf dem schmalen Fußsteig vor ihrem Hause und sonnten die
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