Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Haselnuß Er stülpte sich den Hut auf den Kopf, nahm sein Bündel unter den Arm und Diesesmal brachte Mutter Gerlach einen Topf voll Erbsbrei mit Speck nach Ihr Schmerz und Ärger waren zu groß, als daß sie sich hätten in Worten Am nächsten Morgen, als sie sich erhoben und angekleidet hatten, sagte Meister Wozu willst du ein Brodmesser? fragte sie erstaunt. Um Brot zu schneiden! Wozu sonst? Denkst du vielleicht, ich wollte die Leute Dir ist alles zuzutrauen, erwiderte die Frau, die ihren Schmerz immer noch Nun gib acht, wie man Brot schneidet, sagte er, dn wirsts in diesen bösen Er bückte sich und fuhr suchend mit der Hand unter dem Schranke hin und Mit einem Gesichtsausdruck, der nicht gerade geistreich zu nennen war, schaute Alte, weiß Gott, ich glaub, ich hab dir doch unrecht getan -- gestern und Immanuel, erwiderte die Gattin, weißt du, was ich glaube? Es kommt des Die Haselnuß Er stülpte sich den Hut auf den Kopf, nahm sein Bündel unter den Arm und Diesesmal brachte Mutter Gerlach einen Topf voll Erbsbrei mit Speck nach Ihr Schmerz und Ärger waren zu groß, als daß sie sich hätten in Worten Am nächsten Morgen, als sie sich erhoben und angekleidet hatten, sagte Meister Wozu willst du ein Brodmesser? fragte sie erstaunt. Um Brot zu schneiden! Wozu sonst? Denkst du vielleicht, ich wollte die Leute Dir ist alles zuzutrauen, erwiderte die Frau, die ihren Schmerz immer noch Nun gib acht, wie man Brot schneidet, sagte er, dn wirsts in diesen bösen Er bückte sich und fuhr suchend mit der Hand unter dem Schranke hin und Mit einem Gesichtsausdruck, der nicht gerade geistreich zu nennen war, schaute Alte, weiß Gott, ich glaub, ich hab dir doch unrecht getan — gestern und Immanuel, erwiderte die Gattin, weißt du, was ich glaube? Es kommt des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0159" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302147"/> <fw type="header" place="top"> Die Haselnuß</fw><lb/> <p xml:id="ID_706"> Er stülpte sich den Hut auf den Kopf, nahm sein Bündel unter den Arm und<lb/> ging ohne Gruß von dannen. Ein paar Minuten spater verließ auch die Frau die<lb/> Wohnung, und beide Gatten sahen sich erst am späten Abend wieder.</p><lb/> <p xml:id="ID_707"> Diesesmal brachte Mutter Gerlach einen Topf voll Erbsbrei mit Speck nach<lb/> Hause. Als das Paar leidlich gesättigt war, stellte die Alte den Nest wieder in die<lb/> Fensternische, löschte das Licht und plauderte mit ihrem Manne, bis die Stunde des<lb/> Zubettgehens kam. Dann aber befestigte sie heimlich einen Bindfaden am Topf, nahm<lb/> diesen, ohne daß ihr Eheherr etwas davon merkte, mit ins Bett und ließ ihn be¬<lb/> hutsam an der der Wand zugekehrten Seite auf den Boden hinab, wo sie ihn vor<lb/> jedem unberechtigten Eingriff gesichert glaubte. Das Ende des Bindfadens schlang<lb/> sie ein paarmal um ihre Hand und schlief mit dem angenehmen Bewußtsein ein, am<lb/> andern Morgen nicht wieder mit nüchternem Magen an ihre Arbeit gehn zu müssen.<lb/> Beim ersten Frühlicht haspelte sie dann triumphierend ihren Schatz empor, und siehe<lb/> da: der Topf war wieder leer!</p><lb/> <p xml:id="ID_708"> Ihr Schmerz und Ärger waren zu groß, als daß sie sich hätten in Worten<lb/> ausdrücken lassen können. Aber über die Wangen der guten Frau rannen unaufhaltsam<lb/> die bittersten Tränen, und Immanuel, der fest davon überzeugt war, seine Auguste<lb/> setze das Komödienspiel vom vergangnen Tage fort, wurde ernstlich zornig und warf<lb/> mit Redensarten um sich, die keineswegs geeignet waren, den zwischen den Gatten<lb/> klaffenden Abgrund zu überbrücken. Und als er dann ein Paar Stunden später<lb/> Wieder auf dem Schlachtfelde umher irrte, schenkte er den dort stehen gebliebneu<lb/> oder umgestürzten Brotwagen größere Aufmerksamkeit als den armen Verwundeten<lb/> und hatte schließlich das Glück, in einem der schon von andrer Seite gründlich durch¬<lb/> suchten und ausgeplünderten Wagen noch ein Brot zu finden, das er unter seinen<lb/> Rock knöpfte und unangefochten mit in sein Heim brachte. Auguste war, was er mit<lb/> Genugtuung wahrnahm, noch nicht zu Hause, er konnte seinen Raub also unbemerkt<lb/> unter dem Schranke verstecken. An diesem Abend sprach das Paar kein Wort miteinander,<lb/> und die Frau verzichtete darauf, vou dem Gerichte Bohnen, das sie zum Nachtmahle<lb/> aufgetragen hatte, Ersparnisse zum Frühstück für den kommenden Tag zu macheu.</p><lb/> <p xml:id="ID_709"> Am nächsten Morgen, als sie sich erhoben und angekleidet hatten, sagte Meister<lb/> Gerlach zu seiner Eheliebsten: Weib, gib ein Brodmesser her!</p><lb/> <p xml:id="ID_710"> Wozu willst du ein Brodmesser? fragte sie erstaunt.</p><lb/> <p xml:id="ID_711"> Um Brot zu schneiden! Wozu sonst? Denkst du vielleicht, ich wollte die Leute<lb/> damit balbieren?</p><lb/> <p xml:id="ID_712"> Dir ist alles zuzutrauen, erwiderte die Frau, die ihren Schmerz immer noch<lb/> «icht verwunden hatte. Aber sie holte doch ein Messer aus dem Tischkasten und<lb/> reichte es dem Manne hin.</p><lb/> <p xml:id="ID_713"> Nun gib acht, wie man Brot schneidet, sagte er, dn wirsts in diesen bösen<lb/> Zeitläuften wohl verlernt haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_714"> Er bückte sich und fuhr suchend mit der Hand unter dem Schranke hin und<lb/> her. Aber das Brot kam nicht zum Vorschein.</p><lb/> <p xml:id="ID_715"> Mit einem Gesichtsausdruck, der nicht gerade geistreich zu nennen war, schaute<lb/> er seine Frau an.</p><lb/> <p xml:id="ID_716"> Alte, weiß Gott, ich glaub, ich hab dir doch unrecht getan — gestern und<lb/> vorgestern. Das Brot ist auch zum Teufel. Hier, an dieser Stelle hatte ichs<lb/> gestern Abend unter den Schrank gesteckt, «ut nun ists weg. Du kannst nichts<lb/> davon gewußt haben, sonst würd ich denken, du hättest dich die Nacht dran ver¬<lb/> griffen. Aber das ist ja nicht möglich — es muß rein verhext sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_717" next="#ID_718"> Immanuel, erwiderte die Gattin, weißt du, was ich glaube? Es kommt des<lb/> Nachts einer in die Stube und räumt aus. Wir sollten die Tür abschließen.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0159]
Die Haselnuß
Er stülpte sich den Hut auf den Kopf, nahm sein Bündel unter den Arm und
ging ohne Gruß von dannen. Ein paar Minuten spater verließ auch die Frau die
Wohnung, und beide Gatten sahen sich erst am späten Abend wieder.
Diesesmal brachte Mutter Gerlach einen Topf voll Erbsbrei mit Speck nach
Hause. Als das Paar leidlich gesättigt war, stellte die Alte den Nest wieder in die
Fensternische, löschte das Licht und plauderte mit ihrem Manne, bis die Stunde des
Zubettgehens kam. Dann aber befestigte sie heimlich einen Bindfaden am Topf, nahm
diesen, ohne daß ihr Eheherr etwas davon merkte, mit ins Bett und ließ ihn be¬
hutsam an der der Wand zugekehrten Seite auf den Boden hinab, wo sie ihn vor
jedem unberechtigten Eingriff gesichert glaubte. Das Ende des Bindfadens schlang
sie ein paarmal um ihre Hand und schlief mit dem angenehmen Bewußtsein ein, am
andern Morgen nicht wieder mit nüchternem Magen an ihre Arbeit gehn zu müssen.
Beim ersten Frühlicht haspelte sie dann triumphierend ihren Schatz empor, und siehe
da: der Topf war wieder leer!
Ihr Schmerz und Ärger waren zu groß, als daß sie sich hätten in Worten
ausdrücken lassen können. Aber über die Wangen der guten Frau rannen unaufhaltsam
die bittersten Tränen, und Immanuel, der fest davon überzeugt war, seine Auguste
setze das Komödienspiel vom vergangnen Tage fort, wurde ernstlich zornig und warf
mit Redensarten um sich, die keineswegs geeignet waren, den zwischen den Gatten
klaffenden Abgrund zu überbrücken. Und als er dann ein Paar Stunden später
Wieder auf dem Schlachtfelde umher irrte, schenkte er den dort stehen gebliebneu
oder umgestürzten Brotwagen größere Aufmerksamkeit als den armen Verwundeten
und hatte schließlich das Glück, in einem der schon von andrer Seite gründlich durch¬
suchten und ausgeplünderten Wagen noch ein Brot zu finden, das er unter seinen
Rock knöpfte und unangefochten mit in sein Heim brachte. Auguste war, was er mit
Genugtuung wahrnahm, noch nicht zu Hause, er konnte seinen Raub also unbemerkt
unter dem Schranke verstecken. An diesem Abend sprach das Paar kein Wort miteinander,
und die Frau verzichtete darauf, vou dem Gerichte Bohnen, das sie zum Nachtmahle
aufgetragen hatte, Ersparnisse zum Frühstück für den kommenden Tag zu macheu.
Am nächsten Morgen, als sie sich erhoben und angekleidet hatten, sagte Meister
Gerlach zu seiner Eheliebsten: Weib, gib ein Brodmesser her!
Wozu willst du ein Brodmesser? fragte sie erstaunt.
Um Brot zu schneiden! Wozu sonst? Denkst du vielleicht, ich wollte die Leute
damit balbieren?
Dir ist alles zuzutrauen, erwiderte die Frau, die ihren Schmerz immer noch
«icht verwunden hatte. Aber sie holte doch ein Messer aus dem Tischkasten und
reichte es dem Manne hin.
Nun gib acht, wie man Brot schneidet, sagte er, dn wirsts in diesen bösen
Zeitläuften wohl verlernt haben.
Er bückte sich und fuhr suchend mit der Hand unter dem Schranke hin und
her. Aber das Brot kam nicht zum Vorschein.
Mit einem Gesichtsausdruck, der nicht gerade geistreich zu nennen war, schaute
er seine Frau an.
Alte, weiß Gott, ich glaub, ich hab dir doch unrecht getan — gestern und
vorgestern. Das Brot ist auch zum Teufel. Hier, an dieser Stelle hatte ichs
gestern Abend unter den Schrank gesteckt, «ut nun ists weg. Du kannst nichts
davon gewußt haben, sonst würd ich denken, du hättest dich die Nacht dran ver¬
griffen. Aber das ist ja nicht möglich — es muß rein verhext sein.
Immanuel, erwiderte die Gattin, weißt du, was ich glaube? Es kommt des
Nachts einer in die Stube und räumt aus. Wir sollten die Tür abschließen.
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