Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Die Haselnuß Dann schlief auch er, von der Müdigkeit überwältigt, so behaglich und fest ein, Am andern Morgen fuhr Mutter Gerlach zuerst aus den Federn, machte, Aber Immanuel! Was gibts denn, Alte? klang es vom Bette her zurück. Na, tu nur nicht, als ob du von nichts wüßtest! Was soll ich denn wissen? Wo die Linsen geblieben sind. Ich kann mirs schon denken. Was kannst du dir denke"? Es wird sie jemand gegessen haben. Ich wars nicht, Auguste. Also wirst dus Nun hört aber doch alles auf! Daß du den Topf aufgeleckt hast, das ist Alte, spiel keine Komödie, sagte er, während er den Kopf vorsichtig ein wenig Ja! sagte sie und schlug dabei auf de" Tisch, daß der leere Topf einen Luft¬ Bist du um fertig, Alte? Ich will mit dir nicht länger streiten, denn bei euch Damit warf er das Oberbett zurück, setzte sich aufrecht, gähnte ein paarmal Du willst schon wieder vors Tor und den Chirurgen ins Handwerk pfuschen? Jetzt gleich nicht, aber später. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Heute Die Haselnuß Dann schlief auch er, von der Müdigkeit überwältigt, so behaglich und fest ein, Am andern Morgen fuhr Mutter Gerlach zuerst aus den Federn, machte, Aber Immanuel! Was gibts denn, Alte? klang es vom Bette her zurück. Na, tu nur nicht, als ob du von nichts wüßtest! Was soll ich denn wissen? Wo die Linsen geblieben sind. Ich kann mirs schon denken. Was kannst du dir denke»? Es wird sie jemand gegessen haben. Ich wars nicht, Auguste. Also wirst dus Nun hört aber doch alles auf! Daß du den Topf aufgeleckt hast, das ist Alte, spiel keine Komödie, sagte er, während er den Kopf vorsichtig ein wenig Ja! sagte sie und schlug dabei auf de« Tisch, daß der leere Topf einen Luft¬ Bist du um fertig, Alte? Ich will mit dir nicht länger streiten, denn bei euch Damit warf er das Oberbett zurück, setzte sich aufrecht, gähnte ein paarmal Du willst schon wieder vors Tor und den Chirurgen ins Handwerk pfuschen? Jetzt gleich nicht, aber später. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Heute <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0158" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302146"/> <fw type="header" place="top"> Die Haselnuß</fw><lb/> <p xml:id="ID_689"> Dann schlief auch er, von der Müdigkeit überwältigt, so behaglich und fest ein,<lb/> als seien die Erlebnisse der letzten Tage nur ein Trauerspiel gewesen, das man sich<lb/> mit gemütlichen Gruseln ansieht und auf dem Heimwege wieder vergißt.</p><lb/> <p xml:id="ID_690"> Am andern Morgen fuhr Mutter Gerlach zuerst aus den Federn, machte,<lb/> während sich ihr Eheherr noch eine Weile im warmen Bette reckte und streckte, Feuer<lb/> und holte den Topf mit den Linsen aus der Fensternische, die der Hausfrau als<lb/> Speisekammer diente. Aber, o Schreck! Als die gute Alte genauer zusah, fand sie,<lb/> daß der Topf leer war. Sie wandte sich nach dem Bette um, wo zwischen den<lb/> hochgetürmten Kissen nur ein grauer Schöpf sichtbar war, und sagte mit einer<lb/> Betonung, in der zugleich Kummer, Vorwurf und Verachtung lagen:</p><lb/> <p xml:id="ID_691"> Aber Immanuel!</p><lb/> <p xml:id="ID_692"> Was gibts denn, Alte? klang es vom Bette her zurück.</p><lb/> <p xml:id="ID_693"> Na, tu nur nicht, als ob du von nichts wüßtest!</p><lb/> <p xml:id="ID_694"> Was soll ich denn wissen?</p><lb/> <p xml:id="ID_695"> Wo die Linsen geblieben sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_696"> Ich kann mirs schon denken.</p><lb/> <p xml:id="ID_697"> Was kannst du dir denke»?</p><lb/> <p xml:id="ID_698"> Es wird sie jemand gegessen haben. Ich wars nicht, Auguste. Also wirst dus<lb/> Wohl gewesen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_699"> Nun hört aber doch alles auf! Daß du den Topf aufgeleckt hast, das ist<lb/> schlimm. Und daß dus abstreitest, das ist gemein. Aber daß du noch sagst, ich wärs<lb/> gewesen, siehst du, Immanuel, das ist ordinär. Sie sank auf das Sofa und schluchzte<lb/> zum Erbarmen.</p><lb/> <p xml:id="ID_700"> Alte, spiel keine Komödie, sagte er, während er den Kopf vorsichtig ein wenig<lb/> aus den Kissen heraussteckte, ich Habs gestern Abend schon gemerkt. Jeden Löffel<lb/> hast du mir in den Mund gezählt, und eh ich noch recht wußte, daß ich angefangen<lb/> hatte, war der Topf wieder weg. Meinethalben hättest du die ganze Portion allein<lb/> essen können. Ich bin nicht futterneidisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_701"> Ja! sagte sie und schlug dabei auf de« Tisch, daß der leere Topf einen Luft¬<lb/> sprung machte, daß ich dir die Löffel in den Mund gezählt habe, das ist wahr, und<lb/> daß ich dir den Topf aus den Fingern gerückt habe, das ist auch wahr. Aber<lb/> warum, Immanuel? Warum? Damit wir heute früh was zu schlucken hätten! Und<lb/> da steht der alte Fresser mitten in der Nacht heimlich ans und macht sich über die<lb/> Linsen, als wenn er sein Lebtag nicht satt gekriegt hatte. 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Die Haselnuß
Dann schlief auch er, von der Müdigkeit überwältigt, so behaglich und fest ein,
als seien die Erlebnisse der letzten Tage nur ein Trauerspiel gewesen, das man sich
mit gemütlichen Gruseln ansieht und auf dem Heimwege wieder vergißt.
Am andern Morgen fuhr Mutter Gerlach zuerst aus den Federn, machte,
während sich ihr Eheherr noch eine Weile im warmen Bette reckte und streckte, Feuer
und holte den Topf mit den Linsen aus der Fensternische, die der Hausfrau als
Speisekammer diente. Aber, o Schreck! Als die gute Alte genauer zusah, fand sie,
daß der Topf leer war. Sie wandte sich nach dem Bette um, wo zwischen den
hochgetürmten Kissen nur ein grauer Schöpf sichtbar war, und sagte mit einer
Betonung, in der zugleich Kummer, Vorwurf und Verachtung lagen:
Aber Immanuel!
Was gibts denn, Alte? klang es vom Bette her zurück.
Na, tu nur nicht, als ob du von nichts wüßtest!
Was soll ich denn wissen?
Wo die Linsen geblieben sind.
Ich kann mirs schon denken.
Was kannst du dir denke»?
Es wird sie jemand gegessen haben. Ich wars nicht, Auguste. Also wirst dus
Wohl gewesen sein.
Nun hört aber doch alles auf! Daß du den Topf aufgeleckt hast, das ist
schlimm. Und daß dus abstreitest, das ist gemein. Aber daß du noch sagst, ich wärs
gewesen, siehst du, Immanuel, das ist ordinär. Sie sank auf das Sofa und schluchzte
zum Erbarmen.
Alte, spiel keine Komödie, sagte er, während er den Kopf vorsichtig ein wenig
aus den Kissen heraussteckte, ich Habs gestern Abend schon gemerkt. Jeden Löffel
hast du mir in den Mund gezählt, und eh ich noch recht wußte, daß ich angefangen
hatte, war der Topf wieder weg. Meinethalben hättest du die ganze Portion allein
essen können. Ich bin nicht futterneidisch.
Ja! sagte sie und schlug dabei auf de« Tisch, daß der leere Topf einen Luft¬
sprung machte, daß ich dir die Löffel in den Mund gezählt habe, das ist wahr, und
daß ich dir den Topf aus den Fingern gerückt habe, das ist auch wahr. Aber
warum, Immanuel? Warum? Damit wir heute früh was zu schlucken hätten! Und
da steht der alte Fresser mitten in der Nacht heimlich ans und macht sich über die
Linsen, als wenn er sein Lebtag nicht satt gekriegt hatte. Ne so was!
Bist du um fertig, Alte? Ich will mit dir nicht länger streiten, denn bei euch
Weibern zieht man ja immer den kürzern. Und das letzte Wort müßt ihr ja doch
haben. Die Linsen sind weg, daran läßt sich nichts ändern. Wer sie im Magen
hat, der wirds schon wissen, und dran sterben wird er auch nicht. Nun red von
was anderm!
Damit warf er das Oberbett zurück, setzte sich aufrecht, gähnte ein paarmal
herzhaft und schlüpfte in die Kleider, ohne der Gattin, die ihn unausgesetzt mit
mißtrauischen Blicken musterte, weiter Beachtung zu schenken. Dann langte er sich
einen Apfel vom Schrank, steckte ihn als Proviant in die Tasche und Päckte sein
Handwerkszeug zusammen.
Du willst schon wieder vors Tor und den Chirurgen ins Handwerk pfuschen?
fragte die Gattin.
Jetzt gleich nicht, aber später. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Heute
haben wir Mittwoch, da hab ich achtzehn Kunden zu balbieren, ohne die, die mich
ans der Gasse anhalten. Und deren werden heut genug sein, denn seit die Schießerei
angefangen hat, laufen die Leute so borstig herum wie die Schuhbürsten.
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