Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Sie Haselnuß Nicht nur des Abends, wenn wir uns zu Bett legen, sondern auch früh, wenn Daß das Haus, worin sie nun schon mehr als dreißig Jahre wohnten, nun In der nächsten Nacht lag Gerlach schlaflos im Bette und zermarterte sich Schnarch nicht so, Immanuel! sagte sie, ich kann ja kein Auge menn. Unsinn, Alte, du schnarchst ja selber, erwiderte er. Ich habe dir schon eine Auguste knurrte etwas unverständliches und legte sich auf die andre Seite. Ich bins doch nicht, Immanuel, antwortete die Frau. Du warst es wieder, Still, Weib! Du bist doch jetzt wach und ich auch, aber da schnarcht doch Sie saßen beide aufrecht im Bett und lauschten. Und in der Tat vernahmen Den beiden im Bette trat der kalte Schweiß auf die Stirn. Es ist einer in der Stube, flüsterte Auguste mit bebenden Lippen und klappernden Das merk ich selbst, Alte. Steh auf und mach Licht! Nicht um alles in der Welt. Tus selber, wenn du Courage hast. Sie legte Marsch aus dem Bett. Alte! Ich bin nur ein schwaches Weib, Immanuel. Was soll ich denn dabei tun? Mit einem gedämpften Fluch sprang der Alte aus den Federn, steckte einen Weiß Gott, da liegt einer! sagte er. Der Kerl schläft wie ein Murmeltier. Liebster Immanuel, wenn er nun wach wird und uns ermordet? Unsinn! Wir müssen ihn unschädlich machen, solange er noch schläft. Komm Gott soll mich behüten, daß ich den Kerl anfasse! stöhnte die geängstigte Frau. Wenn du nicht willst -- auch gut! Dann lege ich mich wieder ins Bett, Gib mir wenigstens den Unterrock, Immanuel. Ich schäme mich ja zu Tode. Sie Haselnuß Nicht nur des Abends, wenn wir uns zu Bett legen, sondern auch früh, wenn Daß das Haus, worin sie nun schon mehr als dreißig Jahre wohnten, nun In der nächsten Nacht lag Gerlach schlaflos im Bette und zermarterte sich Schnarch nicht so, Immanuel! sagte sie, ich kann ja kein Auge menn. Unsinn, Alte, du schnarchst ja selber, erwiderte er. Ich habe dir schon eine Auguste knurrte etwas unverständliches und legte sich auf die andre Seite. Ich bins doch nicht, Immanuel, antwortete die Frau. Du warst es wieder, Still, Weib! Du bist doch jetzt wach und ich auch, aber da schnarcht doch Sie saßen beide aufrecht im Bett und lauschten. Und in der Tat vernahmen Den beiden im Bette trat der kalte Schweiß auf die Stirn. Es ist einer in der Stube, flüsterte Auguste mit bebenden Lippen und klappernden Das merk ich selbst, Alte. Steh auf und mach Licht! Nicht um alles in der Welt. Tus selber, wenn du Courage hast. Sie legte Marsch aus dem Bett. Alte! Ich bin nur ein schwaches Weib, Immanuel. Was soll ich denn dabei tun? Mit einem gedämpften Fluch sprang der Alte aus den Federn, steckte einen Weiß Gott, da liegt einer! sagte er. Der Kerl schläft wie ein Murmeltier. Liebster Immanuel, wenn er nun wach wird und uns ermordet? Unsinn! Wir müssen ihn unschädlich machen, solange er noch schläft. Komm Gott soll mich behüten, daß ich den Kerl anfasse! stöhnte die geängstigte Frau. Wenn du nicht willst — auch gut! Dann lege ich mich wieder ins Bett, Gib mir wenigstens den Unterrock, Immanuel. Ich schäme mich ja zu Tode. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0160" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302148"/> <fw type="header" place="top"> Sie Haselnuß</fw><lb/> <p xml:id="ID_718" prev="#ID_717"> Nicht nur des Abends, wenn wir uns zu Bett legen, sondern auch früh, wenn<lb/> wir weggehn. Man kann sich auf die Menschen nicht mehr verlassen, und der<lb/> lahmen Möllern nebenan trau ich schon lange nicht über den Weg.</p><lb/> <p xml:id="ID_719"> Daß das Haus, worin sie nun schon mehr als dreißig Jahre wohnten, nun<lb/> plötzlich eine Räuberhöhle geworden sein sollte, wollte dem braven Meister nicht<lb/> recht in den Sinn, er mußte sich jedoch der höhern Einsicht Augustens fügen und<lb/> nahm sich vor, von jetzt an die Stube nie mehr unverschlossen zu lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_720"> In der nächsten Nacht lag Gerlach schlaflos im Bette und zermarterte sich<lb/> den Kopf mit dem Gedanken, wie der Dieb, der das Brot geholt hatte, wohl von<lb/> dem Versteck unter dem Schranke habe Kenntnis erhalten können. Da stieß ihn<lb/> seine Frau plötzlich in die Seite.</p><lb/> <p xml:id="ID_721"> Schnarch nicht so, Immanuel! sagte sie, ich kann ja kein Auge menn.</p><lb/> <p xml:id="ID_722"> Unsinn, Alte, du schnarchst ja selber, erwiderte er. 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Sie Haselnuß
Nicht nur des Abends, wenn wir uns zu Bett legen, sondern auch früh, wenn
wir weggehn. Man kann sich auf die Menschen nicht mehr verlassen, und der
lahmen Möllern nebenan trau ich schon lange nicht über den Weg.
Daß das Haus, worin sie nun schon mehr als dreißig Jahre wohnten, nun
plötzlich eine Räuberhöhle geworden sein sollte, wollte dem braven Meister nicht
recht in den Sinn, er mußte sich jedoch der höhern Einsicht Augustens fügen und
nahm sich vor, von jetzt an die Stube nie mehr unverschlossen zu lassen.
In der nächsten Nacht lag Gerlach schlaflos im Bette und zermarterte sich
den Kopf mit dem Gedanken, wie der Dieb, der das Brot geholt hatte, wohl von
dem Versteck unter dem Schranke habe Kenntnis erhalten können. Da stieß ihn
seine Frau plötzlich in die Seite.
Schnarch nicht so, Immanuel! sagte sie, ich kann ja kein Auge menn.
Unsinn, Alte, du schnarchst ja selber, erwiderte er. Ich habe dir schon eine
volle Stunde zugehört. Wirst wohl von deinem eignen Geschnarch wach ge¬
worden sein.
Auguste knurrte etwas unverständliches und legte sich auf die andre Seite.
Nach einer Weile sagte Immanuel: Merkst dus nun, daß dus selber bist?
Ich bins doch nicht, Immanuel, antwortete die Frau. Du warst es wieder,
und ich wollte dich gerade wieder wecken.
Still, Weib! Du bist doch jetzt wach und ich auch, aber da schnarcht doch
immer noch jemand.
Sie saßen beide aufrecht im Bett und lauschten. Und in der Tat vernahmen
sie in ihrer nächsten Nähe so vollkommen regelmäßige und langgezogne Schnarch¬
töne, wie sie nur aus der Verbindung von einem guten Gewissen mit einem zu
niedrig gebetteten Kopf bei halbgeöffneten Munde und flacher Rückenlage hervor¬
zugehen pflegen.
Den beiden im Bette trat der kalte Schweiß auf die Stirn.
Es ist einer in der Stube, flüsterte Auguste mit bebenden Lippen und klappernden
Zähnen.
Das merk ich selbst, Alte. Steh auf und mach Licht!
Nicht um alles in der Welt. Tus selber, wenn du Courage hast. Sie legte
sich nieder und zog das Deckbett über den Kopf.
Marsch aus dem Bett. Alte!
Ich bin nur ein schwaches Weib, Immanuel. Was soll ich denn dabei tun?
Laß mich doch, wo ich bin. Wenn ich nun einmal sterben soll, so will ich wenigstens
im Bette sterben.
Mit einem gedämpften Fluch sprang der Alte aus den Federn, steckte einen
Fidibus in die rote Glut des Ofens und zündete das Talglicht an. Dann fuhr
er in Hosen und Stiefel, nahm ein Rasiermesser zur Hand und schaute unter
das Bett.
Weiß Gott, da liegt einer! sagte er. Der Kerl schläft wie ein Murmeltier.
Liebster Immanuel, wenn er nun wach wird und uns ermordet?
Unsinn! Wir müssen ihn unschädlich machen, solange er noch schläft. Komm
einmal her! Wenn du dich dort an das Fußende stellst, kannst du ihn bei den
Beinen fassen und unter dem Bette vorziehen.
Gott soll mich behüten, daß ich den Kerl anfasse! stöhnte die geängstigte Frau.
Wenn du nicht willst — auch gut! Dann lege ich mich wieder ins Bett,
erklärte Meister Gerlach mit großer Bestimmtheit. Aber dann mache mir keine
Vorwürfe, wenn uns die Nachbarn morgen als Leichen finden.
Gib mir wenigstens den Unterrock, Immanuel. Ich schäme mich ja zu Tode.
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