Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Luftreisen wir annahmen, durchschnittlich nur 15 Kilometer in der Stunde, eine mäßige Daß auch der Ballonführer sich ganz dem Genusse des Schaums hin¬ Der Wind hätte uus eigentlich längst schon über die Elbe treiben müssen, Luftreisen wir annahmen, durchschnittlich nur 15 Kilometer in der Stunde, eine mäßige Daß auch der Ballonführer sich ganz dem Genusse des Schaums hin¬ Der Wind hätte uus eigentlich längst schon über die Elbe treiben müssen, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0152" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302140"/> <fw type="header" place="top"> Luftreisen</fw><lb/> <p xml:id="ID_650" prev="#ID_649"> wir annahmen, durchschnittlich nur 15 Kilometer in der Stunde, eine mäßige<lb/> Bewegung der Luft, wie sie an kalten Wintertagen gewöhnlich ist. Ohne es<lb/> zu ahnen, flogen wir dann über Schildau, offenbar die Stadt mit dem tiefen<lb/> Glockengeläute, und den Sitzenrodaer Forst, nahe bei Lausci über die preußisch-<lb/> sächsische Grenze. Die Ortschaft, die wir beim ersten Zerreißen der Wolken am<lb/> Fuße bewaldeter Hügel erblickten, war jedenfalls Laas. Dort wars,. wo wir<lb/> also ganz richtig an einer Windmühle unsre Fahrtlinie als nach Südosten<lb/> gerichtet zu erkennen glaubten. Die Lförmigen Stromwindungen zeigten uns<lb/> die Elbe bei Strehla, die Stadt um dem nach Nordosten gerichteten Bogen des<lb/> Flusses mit den sich vereinigenden Bahnen war Riesa. Die von da nach<lb/> Rossen führende Bahnlinie begleitete uns zur Linken, das alte krummstraßige<lb/> und doch so anmutig gelegne Städtchen, bei der wir sie kreuzten, war die in<lb/> ihrer Anlage noch jetzt als solche erkennbare Wendengründuug Lommatzsch, der<lb/> Ort, wo der Zug zum zweitenmal hielt, das noch ältere Lenden. Das wellige<lb/> Hügelland war die gesegnete Lommatzscher Pflege gewesen. Alsdann hatte<lb/> ein wieder mehr von Westnordwcsten kommender Wind uns über einige zur<lb/> Afragemeinde gehörige Dörfer, unter denen wir nachträglich auf einer wohl-<lb/> gelungnen Ballonphotographie Sieglitz, Jesseritz und Neumohlis klar erkennen,<lb/> nach Meißen getrieben. Unsre Windrichtung erklärte sich leicht aus der Wetterlage<lb/> des Tages. Ein flaches Hoch hatte sich über Süddeutschland und dem östlichen<lb/> Frankreich gebildet, ein zweites im Norden über Schweden und Norwegen, ein<lb/> großes Tiefdruckgebiet befand sich im Osten über Rußland. Der Wind strömte<lb/> von dem Hoch im Westen dem östlichen Tief zu, und das Hoch im Norden<lb/> lenkte ihn in südöstlichster Richtung ab.</p><lb/> <p xml:id="ID_651"> Daß auch der Ballonführer sich ganz dem Genusse des Schaums hin¬<lb/> gegeben hat, bestraft sich: es ist ihm entgangen, daß wir mehrere hundert Meter<lb/> gefallen sind, Ohrensausen verrät ihm, daß es immer schneller abwärts geht.<lb/> Durch ein reichliches Ballastopfer wird der Schaden wieder gut gemacht. Aus<lb/> 600 Meter Höhe sehen wir nun in all die flachen Tälchen hinab, die sich oberhalb<lb/> Meißens von der Elbe nach der hohen Wilsdrufser Straße Heraufziehen und<lb/> uns durch Ausflüge wohl vertraut sind, in den Park von Siebeneichen mit<lb/> seinem zweitürmigen Schloß, dem um einen länglichen Hof herum noch ein<lb/> Flügelbau angefügt ist, in den Grund von Bockwen, in das liebliche Rehbocktal<lb/> nach dem Totenhäuschen, nach Batzdorf und Reichenbach zu, in die Täter von<lb/> Scharfenberg und Gauernitz, in das längste von ihnen, das Saubachtal von<lb/> Constappel bis aufwärts nach Wilsdruff selbst, und endlich in den Tünnicht-<lb/> grund von Nieder- nach Oberwartha, an den sich wieder afrcmische Erinnerungen<lb/> knüpfen.</p><lb/> <p xml:id="ID_652" next="#ID_653"> Der Wind hätte uus eigentlich längst schon über die Elbe treiben müssen,<lb/> aber was wir auf der Fahrt nach Spichern bei Main und Rhein erfuhren,<lb/> wiederholt sich auch hier: der Luftstrom über dem Flusse läßt uus nicht hinüber<lb/> und zwingt uns hart an seinem linken Ufer hin noch eine ganze Strecke aufwärts.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0152]
Luftreisen
wir annahmen, durchschnittlich nur 15 Kilometer in der Stunde, eine mäßige
Bewegung der Luft, wie sie an kalten Wintertagen gewöhnlich ist. Ohne es
zu ahnen, flogen wir dann über Schildau, offenbar die Stadt mit dem tiefen
Glockengeläute, und den Sitzenrodaer Forst, nahe bei Lausci über die preußisch-
sächsische Grenze. Die Ortschaft, die wir beim ersten Zerreißen der Wolken am
Fuße bewaldeter Hügel erblickten, war jedenfalls Laas. Dort wars,. wo wir
also ganz richtig an einer Windmühle unsre Fahrtlinie als nach Südosten
gerichtet zu erkennen glaubten. Die Lförmigen Stromwindungen zeigten uns
die Elbe bei Strehla, die Stadt um dem nach Nordosten gerichteten Bogen des
Flusses mit den sich vereinigenden Bahnen war Riesa. Die von da nach
Rossen führende Bahnlinie begleitete uns zur Linken, das alte krummstraßige
und doch so anmutig gelegne Städtchen, bei der wir sie kreuzten, war die in
ihrer Anlage noch jetzt als solche erkennbare Wendengründuug Lommatzsch, der
Ort, wo der Zug zum zweitenmal hielt, das noch ältere Lenden. Das wellige
Hügelland war die gesegnete Lommatzscher Pflege gewesen. Alsdann hatte
ein wieder mehr von Westnordwcsten kommender Wind uns über einige zur
Afragemeinde gehörige Dörfer, unter denen wir nachträglich auf einer wohl-
gelungnen Ballonphotographie Sieglitz, Jesseritz und Neumohlis klar erkennen,
nach Meißen getrieben. Unsre Windrichtung erklärte sich leicht aus der Wetterlage
des Tages. Ein flaches Hoch hatte sich über Süddeutschland und dem östlichen
Frankreich gebildet, ein zweites im Norden über Schweden und Norwegen, ein
großes Tiefdruckgebiet befand sich im Osten über Rußland. Der Wind strömte
von dem Hoch im Westen dem östlichen Tief zu, und das Hoch im Norden
lenkte ihn in südöstlichster Richtung ab.
Daß auch der Ballonführer sich ganz dem Genusse des Schaums hin¬
gegeben hat, bestraft sich: es ist ihm entgangen, daß wir mehrere hundert Meter
gefallen sind, Ohrensausen verrät ihm, daß es immer schneller abwärts geht.
Durch ein reichliches Ballastopfer wird der Schaden wieder gut gemacht. Aus
600 Meter Höhe sehen wir nun in all die flachen Tälchen hinab, die sich oberhalb
Meißens von der Elbe nach der hohen Wilsdrufser Straße Heraufziehen und
uns durch Ausflüge wohl vertraut sind, in den Park von Siebeneichen mit
seinem zweitürmigen Schloß, dem um einen länglichen Hof herum noch ein
Flügelbau angefügt ist, in den Grund von Bockwen, in das liebliche Rehbocktal
nach dem Totenhäuschen, nach Batzdorf und Reichenbach zu, in die Täter von
Scharfenberg und Gauernitz, in das längste von ihnen, das Saubachtal von
Constappel bis aufwärts nach Wilsdruff selbst, und endlich in den Tünnicht-
grund von Nieder- nach Oberwartha, an den sich wieder afrcmische Erinnerungen
knüpfen.
Der Wind hätte uus eigentlich längst schon über die Elbe treiben müssen,
aber was wir auf der Fahrt nach Spichern bei Main und Rhein erfuhren,
wiederholt sich auch hier: der Luftstrom über dem Flusse läßt uus nicht hinüber
und zwingt uns hart an seinem linken Ufer hin noch eine ganze Strecke aufwärts.
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