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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Luftreise"

Wird. Auf dem andern Elbufer das alte Cölln, dahinter die schon aus weiter
Ferne von uns bemerkte schnurgerade Straße, die sogenannte Seelenachse nach
Niederau und dem Moritzburger Walde, vorn über der Elbe auf dem Rats¬
weinberge, durch Lage und Große auffallend, das eben im Bau vollendete
Realgymnasium, für den Luftschiffer in Zukunft eines der Wahrzeichen Meißens,
ferner der Bahnhof, die Johanniskirche mit ihrem schlanken Turm und von
ihr stromaufwärts, nach allen Seiten scharf begrenzt, das kleine Spaargebirge
von Fürsten- und Kalkberg bis zur felsigen Poselspitze, für uns so recht er¬
kennbar als abgesprengter östlichster Rest des erzgebirgischen Elbplateaus, durch
das sich der Strom nach Aufgeben seines alten Laufes über Zaschendorf später
durchgewühlt hat.

Über das Rauhental hinweg schwebend sehen wir vor uns die hoch und
freigelegne kleine Schule von Questenberg. Ihr gegenüber im Tale der Triebisch
macht sich unter den Häuserreihen des südwestlichen Stadtteiles durch ihren
Umfang und ihre rechtwinklige Anlage die Königliche Porzellanmanufaktur
bemerkbar, während sonst Meißen, wenigstens links der Elbe, infolge der An¬
passung an das bergige Gelände nur wenig gerade Linien zeigt. Jetzt sind wir
über der Stadt selbst, über der Lutherkirche und der Eisbahn vor dem Schützen¬
hause. Dort wimmelts wie von Ameisen immer im Kreise links herum zu den
Klängen der Musik. Unser Balkon ist bemerkt worden, die Schlittschuhläufer
schwenken Tücher und Hüte und rufen uns zu. Wie ein Gebilde aus Eis -- so
berichtete man uns später --, wie ein leuchtender Kristall erscheint ihnen in
den Strahlen der Nachmittagssonne unser noch immer schwach bereifter Ballon.
Es ist schaurig kalt und zugig im Tale, man denkt mit Grausen an die Luft¬
schiffer hoch da oben und wähnt sie zu Eiszapfen erstarrt. Das tief bis auf
die Felsenhöhle ein geschnittene und sich immer mehr verengende Triebischtal und
in ihm die Döbeln-Leipziger Eisenbahn verfolgen wir mit unsern Blicken weit
hinauf, wir überfliegen beide, nahe der Hohen Eifer und schauen im Geiste aus
dem Götterfelsen zu unsrer Rechten die afranische Schulgemeinde andächtig zu
festlichem Gebete bei Sonnenaufgang um den Hebdomadar versammelt.

Wie seltsam, daß die ersten Punkte, die wir mit Sicherheit an diesem
Tage bestimmen konnten, und die nun auch Rückschlüsse auf das vorher über-
flogne Gebiet ermöglichen, gerade der Meißner Dom und Se. Afra sein mußten!
Der Weg, den wir über den Wolken zurückgelegt hatten, dürfte danach folgender
gewesen sein. Die anfänglich östliche Richtung ging, der so oft beobachteten
Nechtsdrehung des Windes entsprechend, allmählich immer mehr in eine süd¬
östliche über. Der Ort, dessen Namen man uns durch die Wolken zugerufen
hatte, ohne daß wir ihn jedoch recht verstehen konnten, war Battauna nordöstlich
von Eilenburg gewesen. Daß uns Torgau als die nächste Stadt bezeichnet
wurde, hatte uns irre geführt. Der Wald, dessen Wipfel wir bald darauf fast
streiften, war der Forst zwischen Doberschütz und Mokrehna. Die Elbe hatten
wir nicht überflogen, überhaupt war die Geschwindigkeit geringer gewesen, als


Luftreise»

Wird. Auf dem andern Elbufer das alte Cölln, dahinter die schon aus weiter
Ferne von uns bemerkte schnurgerade Straße, die sogenannte Seelenachse nach
Niederau und dem Moritzburger Walde, vorn über der Elbe auf dem Rats¬
weinberge, durch Lage und Große auffallend, das eben im Bau vollendete
Realgymnasium, für den Luftschiffer in Zukunft eines der Wahrzeichen Meißens,
ferner der Bahnhof, die Johanniskirche mit ihrem schlanken Turm und von
ihr stromaufwärts, nach allen Seiten scharf begrenzt, das kleine Spaargebirge
von Fürsten- und Kalkberg bis zur felsigen Poselspitze, für uns so recht er¬
kennbar als abgesprengter östlichster Rest des erzgebirgischen Elbplateaus, durch
das sich der Strom nach Aufgeben seines alten Laufes über Zaschendorf später
durchgewühlt hat.

Über das Rauhental hinweg schwebend sehen wir vor uns die hoch und
freigelegne kleine Schule von Questenberg. Ihr gegenüber im Tale der Triebisch
macht sich unter den Häuserreihen des südwestlichen Stadtteiles durch ihren
Umfang und ihre rechtwinklige Anlage die Königliche Porzellanmanufaktur
bemerkbar, während sonst Meißen, wenigstens links der Elbe, infolge der An¬
passung an das bergige Gelände nur wenig gerade Linien zeigt. Jetzt sind wir
über der Stadt selbst, über der Lutherkirche und der Eisbahn vor dem Schützen¬
hause. Dort wimmelts wie von Ameisen immer im Kreise links herum zu den
Klängen der Musik. Unser Balkon ist bemerkt worden, die Schlittschuhläufer
schwenken Tücher und Hüte und rufen uns zu. Wie ein Gebilde aus Eis — so
berichtete man uns später —, wie ein leuchtender Kristall erscheint ihnen in
den Strahlen der Nachmittagssonne unser noch immer schwach bereifter Ballon.
Es ist schaurig kalt und zugig im Tale, man denkt mit Grausen an die Luft¬
schiffer hoch da oben und wähnt sie zu Eiszapfen erstarrt. Das tief bis auf
die Felsenhöhle ein geschnittene und sich immer mehr verengende Triebischtal und
in ihm die Döbeln-Leipziger Eisenbahn verfolgen wir mit unsern Blicken weit
hinauf, wir überfliegen beide, nahe der Hohen Eifer und schauen im Geiste aus
dem Götterfelsen zu unsrer Rechten die afranische Schulgemeinde andächtig zu
festlichem Gebete bei Sonnenaufgang um den Hebdomadar versammelt.

Wie seltsam, daß die ersten Punkte, die wir mit Sicherheit an diesem
Tage bestimmen konnten, und die nun auch Rückschlüsse auf das vorher über-
flogne Gebiet ermöglichen, gerade der Meißner Dom und Se. Afra sein mußten!
Der Weg, den wir über den Wolken zurückgelegt hatten, dürfte danach folgender
gewesen sein. Die anfänglich östliche Richtung ging, der so oft beobachteten
Nechtsdrehung des Windes entsprechend, allmählich immer mehr in eine süd¬
östliche über. Der Ort, dessen Namen man uns durch die Wolken zugerufen
hatte, ohne daß wir ihn jedoch recht verstehen konnten, war Battauna nordöstlich
von Eilenburg gewesen. Daß uns Torgau als die nächste Stadt bezeichnet
wurde, hatte uns irre geführt. Der Wald, dessen Wipfel wir bald darauf fast
streiften, war der Forst zwischen Doberschütz und Mokrehna. Die Elbe hatten
wir nicht überflogen, überhaupt war die Geschwindigkeit geringer gewesen, als


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[0151] Luftreise» Wird. Auf dem andern Elbufer das alte Cölln, dahinter die schon aus weiter Ferne von uns bemerkte schnurgerade Straße, die sogenannte Seelenachse nach Niederau und dem Moritzburger Walde, vorn über der Elbe auf dem Rats¬ weinberge, durch Lage und Große auffallend, das eben im Bau vollendete Realgymnasium, für den Luftschiffer in Zukunft eines der Wahrzeichen Meißens, ferner der Bahnhof, die Johanniskirche mit ihrem schlanken Turm und von ihr stromaufwärts, nach allen Seiten scharf begrenzt, das kleine Spaargebirge von Fürsten- und Kalkberg bis zur felsigen Poselspitze, für uns so recht er¬ kennbar als abgesprengter östlichster Rest des erzgebirgischen Elbplateaus, durch das sich der Strom nach Aufgeben seines alten Laufes über Zaschendorf später durchgewühlt hat. Über das Rauhental hinweg schwebend sehen wir vor uns die hoch und freigelegne kleine Schule von Questenberg. Ihr gegenüber im Tale der Triebisch macht sich unter den Häuserreihen des südwestlichen Stadtteiles durch ihren Umfang und ihre rechtwinklige Anlage die Königliche Porzellanmanufaktur bemerkbar, während sonst Meißen, wenigstens links der Elbe, infolge der An¬ passung an das bergige Gelände nur wenig gerade Linien zeigt. Jetzt sind wir über der Stadt selbst, über der Lutherkirche und der Eisbahn vor dem Schützen¬ hause. Dort wimmelts wie von Ameisen immer im Kreise links herum zu den Klängen der Musik. Unser Balkon ist bemerkt worden, die Schlittschuhläufer schwenken Tücher und Hüte und rufen uns zu. Wie ein Gebilde aus Eis — so berichtete man uns später —, wie ein leuchtender Kristall erscheint ihnen in den Strahlen der Nachmittagssonne unser noch immer schwach bereifter Ballon. Es ist schaurig kalt und zugig im Tale, man denkt mit Grausen an die Luft¬ schiffer hoch da oben und wähnt sie zu Eiszapfen erstarrt. Das tief bis auf die Felsenhöhle ein geschnittene und sich immer mehr verengende Triebischtal und in ihm die Döbeln-Leipziger Eisenbahn verfolgen wir mit unsern Blicken weit hinauf, wir überfliegen beide, nahe der Hohen Eifer und schauen im Geiste aus dem Götterfelsen zu unsrer Rechten die afranische Schulgemeinde andächtig zu festlichem Gebete bei Sonnenaufgang um den Hebdomadar versammelt. Wie seltsam, daß die ersten Punkte, die wir mit Sicherheit an diesem Tage bestimmen konnten, und die nun auch Rückschlüsse auf das vorher über- flogne Gebiet ermöglichen, gerade der Meißner Dom und Se. Afra sein mußten! Der Weg, den wir über den Wolken zurückgelegt hatten, dürfte danach folgender gewesen sein. Die anfänglich östliche Richtung ging, der so oft beobachteten Nechtsdrehung des Windes entsprechend, allmählich immer mehr in eine süd¬ östliche über. Der Ort, dessen Namen man uns durch die Wolken zugerufen hatte, ohne daß wir ihn jedoch recht verstehen konnten, war Battauna nordöstlich von Eilenburg gewesen. Daß uns Torgau als die nächste Stadt bezeichnet wurde, hatte uns irre geführt. Der Wald, dessen Wipfel wir bald darauf fast streiften, war der Forst zwischen Doberschütz und Mokrehna. Die Elbe hatten wir nicht überflogen, überhaupt war die Geschwindigkeit geringer gewesen, als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/151>, abgerufen am 06.02.2025.