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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.

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Luftreisen

So wird uns der Anblick der alten Elbschlösser Scharfenberg und Gauernitz
nun ganz von oben zuteil. Wir blicken in ihre Höfe hinein, und wie an der
Hand eines Grundrisses können wir ihre wagerechte Gliederung uns einprägen.
Besonders fesselt uns durch seine größere Mannigfaltigkeit Gauernitz, das
Besitztum des Prinzen Karl Ernst von Schönburg-Waldenburg, übrigens eines
ehemaligen Afraner Fürstenschülers. Erst der große langgestreckte Hof des
Rittergutes mit seinen Wirtschaftsgebäuden, dann zwischen ihm und dem Parke
ein kleinerer, ziemlich quadratischer Hof mit einer Baumgruppe, den mehr als
zur Hälfte auf drei Seiten das mit Turm und Nenaissaneegiebeln gezierte
Schloß umgibt, während im übrigen niedrigere Gebäude mit einem Torhaus
ihn einschließen.

Von all den Einzelheiten hinweg wendet sich das Auge der Betrachtung
des ganzen weiten Elbtals zu. Mit solcher Klarheit wird die anziehende Ober-
flücheugestaltung dieses Gebietes nur für deu Luftschiffer wahrnehmbar. Zwei
Hochflüchen, im Südwesten die viel, aber flach gegliederte, nur mit Feldern
bedeckte erzgebirgische und im Nordosten die geschlossenere, waldreiche Lausitzer
Hochfläche, werden durch einen breiten Graben getrennt, den die Elbe mit zwei
seeartigen Erweiterungen, nordwestlich nach Meißen, südöstlich nach Dresden
zu, einstmals ausgefüllt hat, bis sie die Pforte im Nordwesten erweiterte und
durch Auswaschung ihr jetziges Bett in die Talsohle vertiefte. Die Ränder
dieses Grabens nach der Lausitzer Seite zu sind uns noch nie so steil er¬
schienen wie jetzt aus der Höhe, dazu steigert die Schneebedeckung ihren Ge-
birgscharakter. Als wir sie heute zunächst aus weiter Ferne erblickt hatten,
erinnerten sie uns an die schroffen Abhänge des Elbsandsteingebirges, freilich
sind sie dort beträchtlich höher und bis an den Fluß heran reichend, hier
mildert überdies eine vorgelagerte niedrige Terrasse, ehemalige Anhäufung von
Küstensand, den Übergang zur Ebene. Dagegen zeigt die erzgebirgische Seite,
das Meißner Hügelland, sanftere Böschungen, wie auf ihr überhaupt die ur¬
sprünglichen Unebenheiten des Granit-Syenit-Massivs durch Löß mehr aus¬
geglichen und abgerundet sind. Nur unmittelbar unter uns, an der engsten
Stelle des großen Elbgmbens, bei Niederwartha, fällt auch dieses Plateau
steil ab, da wo es von der weithin sichtbaren Kirche von Weistropp be¬
herrscht wird.

Lassen uns die eben gemachten Wahrnehmungen auf gewaltige vorge¬
schichtliche Umformungen des Landes schließen, so ist ihm andrerseits deutlich
der Stempel menschlicher Kultur aufgeprägt in dem Netz großer und kleiner
Landstraßen, in den teils parallel zueinander verlaufenden, teils sich schneidenden
und verzweigenden Eisenbahnen, durch die im Flusse angelegten Winterhäfen,
w denen die Fahrzeuge vor Strömung und Treibeis geschützt liegen, in der
an vielen Stellen zu bemerkenden Regelung des Stromlaufes durch feste Ufer-
nlaueru, an denen die Schollen sich scheuernd und berstend abwärts gleiten,
sodaß die früher so gefürchteten Eisversetzungen kaum noch möglich sind. Dazu


Luftreisen

So wird uns der Anblick der alten Elbschlösser Scharfenberg und Gauernitz
nun ganz von oben zuteil. Wir blicken in ihre Höfe hinein, und wie an der
Hand eines Grundrisses können wir ihre wagerechte Gliederung uns einprägen.
Besonders fesselt uns durch seine größere Mannigfaltigkeit Gauernitz, das
Besitztum des Prinzen Karl Ernst von Schönburg-Waldenburg, übrigens eines
ehemaligen Afraner Fürstenschülers. Erst der große langgestreckte Hof des
Rittergutes mit seinen Wirtschaftsgebäuden, dann zwischen ihm und dem Parke
ein kleinerer, ziemlich quadratischer Hof mit einer Baumgruppe, den mehr als
zur Hälfte auf drei Seiten das mit Turm und Nenaissaneegiebeln gezierte
Schloß umgibt, während im übrigen niedrigere Gebäude mit einem Torhaus
ihn einschließen.

Von all den Einzelheiten hinweg wendet sich das Auge der Betrachtung
des ganzen weiten Elbtals zu. Mit solcher Klarheit wird die anziehende Ober-
flücheugestaltung dieses Gebietes nur für deu Luftschiffer wahrnehmbar. Zwei
Hochflüchen, im Südwesten die viel, aber flach gegliederte, nur mit Feldern
bedeckte erzgebirgische und im Nordosten die geschlossenere, waldreiche Lausitzer
Hochfläche, werden durch einen breiten Graben getrennt, den die Elbe mit zwei
seeartigen Erweiterungen, nordwestlich nach Meißen, südöstlich nach Dresden
zu, einstmals ausgefüllt hat, bis sie die Pforte im Nordwesten erweiterte und
durch Auswaschung ihr jetziges Bett in die Talsohle vertiefte. Die Ränder
dieses Grabens nach der Lausitzer Seite zu sind uns noch nie so steil er¬
schienen wie jetzt aus der Höhe, dazu steigert die Schneebedeckung ihren Ge-
birgscharakter. Als wir sie heute zunächst aus weiter Ferne erblickt hatten,
erinnerten sie uns an die schroffen Abhänge des Elbsandsteingebirges, freilich
sind sie dort beträchtlich höher und bis an den Fluß heran reichend, hier
mildert überdies eine vorgelagerte niedrige Terrasse, ehemalige Anhäufung von
Küstensand, den Übergang zur Ebene. Dagegen zeigt die erzgebirgische Seite,
das Meißner Hügelland, sanftere Böschungen, wie auf ihr überhaupt die ur¬
sprünglichen Unebenheiten des Granit-Syenit-Massivs durch Löß mehr aus¬
geglichen und abgerundet sind. Nur unmittelbar unter uns, an der engsten
Stelle des großen Elbgmbens, bei Niederwartha, fällt auch dieses Plateau
steil ab, da wo es von der weithin sichtbaren Kirche von Weistropp be¬
herrscht wird.

Lassen uns die eben gemachten Wahrnehmungen auf gewaltige vorge¬
schichtliche Umformungen des Landes schließen, so ist ihm andrerseits deutlich
der Stempel menschlicher Kultur aufgeprägt in dem Netz großer und kleiner
Landstraßen, in den teils parallel zueinander verlaufenden, teils sich schneidenden
und verzweigenden Eisenbahnen, durch die im Flusse angelegten Winterhäfen,
w denen die Fahrzeuge vor Strömung und Treibeis geschützt liegen, in der
an vielen Stellen zu bemerkenden Regelung des Stromlaufes durch feste Ufer-
nlaueru, an denen die Schollen sich scheuernd und berstend abwärts gleiten,
sodaß die früher so gefürchteten Eisversetzungen kaum noch möglich sind. Dazu


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[0153] Luftreisen So wird uns der Anblick der alten Elbschlösser Scharfenberg und Gauernitz nun ganz von oben zuteil. Wir blicken in ihre Höfe hinein, und wie an der Hand eines Grundrisses können wir ihre wagerechte Gliederung uns einprägen. Besonders fesselt uns durch seine größere Mannigfaltigkeit Gauernitz, das Besitztum des Prinzen Karl Ernst von Schönburg-Waldenburg, übrigens eines ehemaligen Afraner Fürstenschülers. Erst der große langgestreckte Hof des Rittergutes mit seinen Wirtschaftsgebäuden, dann zwischen ihm und dem Parke ein kleinerer, ziemlich quadratischer Hof mit einer Baumgruppe, den mehr als zur Hälfte auf drei Seiten das mit Turm und Nenaissaneegiebeln gezierte Schloß umgibt, während im übrigen niedrigere Gebäude mit einem Torhaus ihn einschließen. Von all den Einzelheiten hinweg wendet sich das Auge der Betrachtung des ganzen weiten Elbtals zu. Mit solcher Klarheit wird die anziehende Ober- flücheugestaltung dieses Gebietes nur für deu Luftschiffer wahrnehmbar. Zwei Hochflüchen, im Südwesten die viel, aber flach gegliederte, nur mit Feldern bedeckte erzgebirgische und im Nordosten die geschlossenere, waldreiche Lausitzer Hochfläche, werden durch einen breiten Graben getrennt, den die Elbe mit zwei seeartigen Erweiterungen, nordwestlich nach Meißen, südöstlich nach Dresden zu, einstmals ausgefüllt hat, bis sie die Pforte im Nordwesten erweiterte und durch Auswaschung ihr jetziges Bett in die Talsohle vertiefte. Die Ränder dieses Grabens nach der Lausitzer Seite zu sind uns noch nie so steil er¬ schienen wie jetzt aus der Höhe, dazu steigert die Schneebedeckung ihren Ge- birgscharakter. Als wir sie heute zunächst aus weiter Ferne erblickt hatten, erinnerten sie uns an die schroffen Abhänge des Elbsandsteingebirges, freilich sind sie dort beträchtlich höher und bis an den Fluß heran reichend, hier mildert überdies eine vorgelagerte niedrige Terrasse, ehemalige Anhäufung von Küstensand, den Übergang zur Ebene. Dagegen zeigt die erzgebirgische Seite, das Meißner Hügelland, sanftere Böschungen, wie auf ihr überhaupt die ur¬ sprünglichen Unebenheiten des Granit-Syenit-Massivs durch Löß mehr aus¬ geglichen und abgerundet sind. Nur unmittelbar unter uns, an der engsten Stelle des großen Elbgmbens, bei Niederwartha, fällt auch dieses Plateau steil ab, da wo es von der weithin sichtbaren Kirche von Weistropp be¬ herrscht wird. Lassen uns die eben gemachten Wahrnehmungen auf gewaltige vorge¬ schichtliche Umformungen des Landes schließen, so ist ihm andrerseits deutlich der Stempel menschlicher Kultur aufgeprägt in dem Netz großer und kleiner Landstraßen, in den teils parallel zueinander verlaufenden, teils sich schneidenden und verzweigenden Eisenbahnen, durch die im Flusse angelegten Winterhäfen, w denen die Fahrzeuge vor Strömung und Treibeis geschützt liegen, in der an vielen Stellen zu bemerkenden Regelung des Stromlaufes durch feste Ufer- nlaueru, an denen die Schollen sich scheuernd und berstend abwärts gleiten, sodaß die früher so gefürchteten Eisversetzungen kaum noch möglich sind. Dazu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301987/153>, abgerufen am 06.02.2025.