Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Zweites Vierteljahr.Der kleine Napoleon Sowie du geborgen bist, rief der Student, komme ich nach! Er ließ die Pferde langsamer gehen und bog hart um die Ecke auf den ge¬ Gleich darauf standen die Pferde, und das Fräulein, das sich schon fertig Im gleichen Augenblick sauste aber die Peitsche auf die Tiere, und das Ge¬ Die Harsfelder Füchse waren auch diesmal auf der Spur geblieben. Der Wagen Eins der Pferde kam dabei zu Fall. Wild schlugen die Hufe durch die Luft, Das andre Pferd wollte von der Stelle und zog an. Wider Erwarten tum Nun ging der Lauf weiter. Angst um das Leben des Studenten erfüllte das Herz der Tante. Sie stürzte Ihre breite weiße Tüllkrawatte hatte sie an deu hellen Sonnenschirm gebunden, Sie vergaß der eignen Lebensgefahr und wagte sich aus der Heide heraus mit Aber die Pferde, nun des Wagens ledig, stürzten in ebner Bahn an ihr Als der Wagen umgefallen war, hatte der Klang zerbrechender Glasscheiben Der Platz, wo der Wagen lag, bildete eine wüste Schneestelle, das Sofa war Die Tante hatte kaum einen halben Blick dafür. Sie lief, so schnell sie konnte, Von den Harsfelder Pferden war nichts mehr zu scheu. Aber als sie an das Sie kamen dann bald an die Trümmerstelle, die der Student in Augenschein nahm. Er rcinsperte sich und sagte mit unbeholfner Stimme: Es sieht schlimmer aus, Ein Holzarbeiter kam, den stellte er als Hüter zu den Sachen. Den Reisekorb Und dann suchte er sich zu orientieren. Hast du eine Ahnung, Tauenden, fragte er sauft, wo wir nach Harsfelde kommen? Sie antwortete dumpf: Nach Hause! Mit versagender Stimme brachte sie Grenzboten II 1907 13
Der kleine Napoleon Sowie du geborgen bist, rief der Student, komme ich nach! Er ließ die Pferde langsamer gehen und bog hart um die Ecke auf den ge¬ Gleich darauf standen die Pferde, und das Fräulein, das sich schon fertig Im gleichen Augenblick sauste aber die Peitsche auf die Tiere, und das Ge¬ Die Harsfelder Füchse waren auch diesmal auf der Spur geblieben. Der Wagen Eins der Pferde kam dabei zu Fall. Wild schlugen die Hufe durch die Luft, Das andre Pferd wollte von der Stelle und zog an. Wider Erwarten tum Nun ging der Lauf weiter. Angst um das Leben des Studenten erfüllte das Herz der Tante. Sie stürzte Ihre breite weiße Tüllkrawatte hatte sie an deu hellen Sonnenschirm gebunden, Sie vergaß der eignen Lebensgefahr und wagte sich aus der Heide heraus mit Aber die Pferde, nun des Wagens ledig, stürzten in ebner Bahn an ihr Als der Wagen umgefallen war, hatte der Klang zerbrechender Glasscheiben Der Platz, wo der Wagen lag, bildete eine wüste Schneestelle, das Sofa war Die Tante hatte kaum einen halben Blick dafür. Sie lief, so schnell sie konnte, Von den Harsfelder Pferden war nichts mehr zu scheu. Aber als sie an das Sie kamen dann bald an die Trümmerstelle, die der Student in Augenschein nahm. Er rcinsperte sich und sagte mit unbeholfner Stimme: Es sieht schlimmer aus, Ein Holzarbeiter kam, den stellte er als Hüter zu den Sachen. Den Reisekorb Und dann suchte er sich zu orientieren. Hast du eine Ahnung, Tauenden, fragte er sauft, wo wir nach Harsfelde kommen? Sie antwortete dumpf: Nach Hause! Mit versagender Stimme brachte sie Grenzboten II 1907 13
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/302093"/> <fw type="header" place="top"> Der kleine Napoleon</fw><lb/> <p xml:id="ID_426"> Sowie du geborgen bist, rief der Student, komme ich nach!</p><lb/> <p xml:id="ID_427"> Er ließ die Pferde langsamer gehen und bog hart um die Ecke auf den ge¬<lb/> fährlichen Rand, der mit Heidekraut durchwuchert war.</p><lb/> <p xml:id="ID_428"> Gleich darauf standen die Pferde, und das Fräulein, das sich schon fertig<lb/> gemacht hatte, klomm zitternd zur Erde und lief in die Heide.</p><lb/> <p xml:id="ID_429"> Im gleichen Augenblick sauste aber die Peitsche auf die Tiere, und das Ge¬<lb/> spann flog weiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_430"> Die Harsfelder Füchse waren auch diesmal auf der Spur geblieben. Der Wagen<lb/> polterte herauf auf den Scheideling, schwankte durch die Löcher, sprang über die<lb/> Steine. Er neigte sich — stürzte um.</p><lb/> <p xml:id="ID_431"> Eins der Pferde kam dabei zu Fall. Wild schlugen die Hufe durch die Luft,<lb/> der Körper versuchte vergebens sich zu erheben, die Deichsel zerbrach.</p><lb/> <p xml:id="ID_432"> Das andre Pferd wollte von der Stelle und zog an. Wider Erwarten tum<lb/> das Gefallene dadurch auf die Beine.</p><lb/> <p xml:id="ID_433"> Nun ging der Lauf weiter.</p><lb/> <p xml:id="ID_434"> Angst um das Leben des Studenten erfüllte das Herz der Tante. Sie stürzte<lb/> an den Saum der Heide.</p><lb/> <p xml:id="ID_435"> Ihre breite weiße Tüllkrawatte hatte sie an deu hellen Sonnenschirm gebunden,<lb/> wehte damit, um die Tiere zurückzuscheuchen, riß ihren Hut vom Kopf und wehte<lb/> damit. Und sie stieß fürchterliche Schreitöne aus, so sehr sie konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_436"> Sie vergaß der eignen Lebensgefahr und wagte sich aus der Heide heraus mit<lb/> ihrer weißen flatternden Fahne, mit ihrem hellen flatternden Mantel.</p><lb/> <p xml:id="ID_437"> Aber die Pferde, nun des Wagens ledig, stürzten in ebner Bahn an ihr<lb/> vorbei, und sie schrie und schwenkte — und weinte — und weinte.</p><lb/> <p xml:id="ID_438"> Als der Wagen umgefallen war, hatte der Klang zerbrechender Glasscheiben<lb/> das Ohr des Fräuleins erreicht. Das waren die Scheiben von ihren Schränken, die<lb/> da zerbrachen. Mochten sie immerhin zerbrechen! Was kümmerten sie die Schränke!</p><lb/> <p xml:id="ID_439"> Der Platz, wo der Wagen lag, bildete eine wüste Schneestelle, das Sofa war<lb/> herausgefallen, die Teile der Bettstelle ragten hoch auf, das Stroh, das zum Ver¬<lb/> packen benutzt worden war, bedeckte den Platz weit in der Runde.</p><lb/> <p xml:id="ID_440"> Die Tante hatte kaum einen halben Blick dafür. Sie lief, so schnell sie konnte,<lb/> in der Fahrtrichtung dahin.</p><lb/> <p xml:id="ID_441"> Von den Harsfelder Pferden war nichts mehr zu scheu. Aber als sie an das<lb/> Ende des Scheidelings kam, war es ihr, als erblicke sie eine Himmelserscheinnng,<lb/> denn um die Ecke der Schonung bog rin seinem kleinen Gespann der Student<lb/> herum, in sanftem, gemachem Trab. Er hielt an. damit sie aufsteigen konnte.</p><lb/> <p xml:id="ID_442"> Sie kamen dann bald an die Trümmerstelle, die der Student in Augenschein nahm.</p><lb/> <p xml:id="ID_443"> Er rcinsperte sich und sagte mit unbeholfner Stimme: Es sieht schlimmer aus,<lb/> als es ist. Sieh mal, Tauenden, sagte er und faßte seinen Rockaufschlag, ich konnte<lb/> nicht anders, ich mußte hier herauf, damit die Fuhre unischmiß. In dem Tempo<lb/> konnte ich nicht weiter fahren. Und die Harsfelder Füchse sind Beißer. Und was<lb/> haben die Kranken für Kraft in ihren Gebissen.</p><lb/> <p xml:id="ID_444"> Ein Holzarbeiter kam, den stellte er als Hüter zu den Sachen. Den Reisekorb<lb/> nahm er später zu sich auf den Wagen, der Bettsack kam hinten zur Tante hinein.<lb/> 6en ^rab der Tiere mäßigte er.</p><lb/> <p xml:id="ID_445"> Und dann suchte er sich zu orientieren.</p><lb/> <p xml:id="ID_446"> Hast du eine Ahnung, Tauenden, fragte er sauft, wo wir nach Harsfelde kommen?</p><lb/> <p xml:id="ID_447"> Sie antwortete dumpf: Nach Hause! Mit versagender Stimme brachte sie<lb/> hervor: Nach Hause! Sie erhob sich und umfing ihn von hinten: Mein geliebtes<lb/> Kind, bring mich doch nur nach Hause!</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1907 13</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0105]
Der kleine Napoleon
Sowie du geborgen bist, rief der Student, komme ich nach!
Er ließ die Pferde langsamer gehen und bog hart um die Ecke auf den ge¬
fährlichen Rand, der mit Heidekraut durchwuchert war.
Gleich darauf standen die Pferde, und das Fräulein, das sich schon fertig
gemacht hatte, klomm zitternd zur Erde und lief in die Heide.
Im gleichen Augenblick sauste aber die Peitsche auf die Tiere, und das Ge¬
spann flog weiter.
Die Harsfelder Füchse waren auch diesmal auf der Spur geblieben. Der Wagen
polterte herauf auf den Scheideling, schwankte durch die Löcher, sprang über die
Steine. Er neigte sich — stürzte um.
Eins der Pferde kam dabei zu Fall. Wild schlugen die Hufe durch die Luft,
der Körper versuchte vergebens sich zu erheben, die Deichsel zerbrach.
Das andre Pferd wollte von der Stelle und zog an. Wider Erwarten tum
das Gefallene dadurch auf die Beine.
Nun ging der Lauf weiter.
Angst um das Leben des Studenten erfüllte das Herz der Tante. Sie stürzte
an den Saum der Heide.
Ihre breite weiße Tüllkrawatte hatte sie an deu hellen Sonnenschirm gebunden,
wehte damit, um die Tiere zurückzuscheuchen, riß ihren Hut vom Kopf und wehte
damit. Und sie stieß fürchterliche Schreitöne aus, so sehr sie konnte.
Sie vergaß der eignen Lebensgefahr und wagte sich aus der Heide heraus mit
ihrer weißen flatternden Fahne, mit ihrem hellen flatternden Mantel.
Aber die Pferde, nun des Wagens ledig, stürzten in ebner Bahn an ihr
vorbei, und sie schrie und schwenkte — und weinte — und weinte.
Als der Wagen umgefallen war, hatte der Klang zerbrechender Glasscheiben
das Ohr des Fräuleins erreicht. Das waren die Scheiben von ihren Schränken, die
da zerbrachen. Mochten sie immerhin zerbrechen! Was kümmerten sie die Schränke!
Der Platz, wo der Wagen lag, bildete eine wüste Schneestelle, das Sofa war
herausgefallen, die Teile der Bettstelle ragten hoch auf, das Stroh, das zum Ver¬
packen benutzt worden war, bedeckte den Platz weit in der Runde.
Die Tante hatte kaum einen halben Blick dafür. Sie lief, so schnell sie konnte,
in der Fahrtrichtung dahin.
Von den Harsfelder Pferden war nichts mehr zu scheu. Aber als sie an das
Ende des Scheidelings kam, war es ihr, als erblicke sie eine Himmelserscheinnng,
denn um die Ecke der Schonung bog rin seinem kleinen Gespann der Student
herum, in sanftem, gemachem Trab. Er hielt an. damit sie aufsteigen konnte.
Sie kamen dann bald an die Trümmerstelle, die der Student in Augenschein nahm.
Er rcinsperte sich und sagte mit unbeholfner Stimme: Es sieht schlimmer aus,
als es ist. Sieh mal, Tauenden, sagte er und faßte seinen Rockaufschlag, ich konnte
nicht anders, ich mußte hier herauf, damit die Fuhre unischmiß. In dem Tempo
konnte ich nicht weiter fahren. Und die Harsfelder Füchse sind Beißer. Und was
haben die Kranken für Kraft in ihren Gebissen.
Ein Holzarbeiter kam, den stellte er als Hüter zu den Sachen. Den Reisekorb
nahm er später zu sich auf den Wagen, der Bettsack kam hinten zur Tante hinein.
6en ^rab der Tiere mäßigte er.
Und dann suchte er sich zu orientieren.
Hast du eine Ahnung, Tauenden, fragte er sauft, wo wir nach Harsfelde kommen?
Sie antwortete dumpf: Nach Hause! Mit versagender Stimme brachte sie
hervor: Nach Hause! Sie erhob sich und umfing ihn von hinten: Mein geliebtes
Kind, bring mich doch nur nach Hause!
Grenzboten II 1907 13
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |