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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Leben

Der Alte rollt seinen Strick auseinander, merkt sich mit blinzelndem Umsehen
nach allen Himmelsrichtungen den Platz und fängt gestützt auf seinen Stock mit
der freien Hand zu sammeln an, wobei es oft geschieht, daß er nach einer kriechenden
Wurzel greift und denkt, es sei ein guter trockner Ast.

Es liegt viel dürres Holz da herum. Den Kindern aus dem Dorf ist es zu
weit, nur im Winter kommen ein paar Frierende zum Sammeln.

Aber jetzt nicht, jetzt ist er ganz allein, und während er scharrt und bricht
und zusammenträgt, wächst in ihm ein schwaches Gefühl von Freude am eignen
nützlichen Tun -- von Freude eigentlich nicht, aber es glimmt doch etwas auf wie
ein winziger silberner Punkt in seinem Leben, und er wird eifrig und arbeitet sich
in Schweiß und hat für jeden Zweig, den er findet, Freundschaft oder auch ein
bißchen Nachsicht: bald ist es ein dicker von der besten dankbarsten Art, dann ein
dünnes widerhaariges Gestrüpp -- aber gut, wenn anfangs das Feuer nicht brennen
will --, bald ein glatter Gabelast, grün abgebrochen vom Stamm und mit zäh
festsitzenden Laubwerk.

Alles trägt er ans einen Haufen, alles, was er findet, soviel der Strick fassen
will, und dann bindet er lose zu, wägt, ob er es wird schleppen können, steckt noch
ein paar kleine Zweige hinein und knotet fest und sorglich zusammen.

Und wie nun fertig zum Hinuntertragen das braune Bündel da vor ihm im
braunen Moos liegt, da ist es mit einemmal so etwas ärgerlich Fertiges und liegt
so tot da, und mit ihm der ganze Nachmittag, und mit ihm im Gründe alle Zeit,
die noch kommen soll ...

seufzend sitzt der alte Mann auf einem Baumstumpf, wirft die Mütze von
sich, nimmt die Brille ab, die von Schweiß beschlagen ist, putzt sie und blickt in
verschwommnem Erkennen von Hell und Dunkel um sich.

Wie still es hier ist.

Wie stark und schrecklich still.

Die Stille macht seinen einen einzigen Wunsch, immer beklommen und nieder¬
gehalten, unheimlich wach.

Niemand ist ja da und sieht, was man tut.

Und nachher ist doch alles einerlei . . .

Der Alte faßt mit der Hand nach dem niedrigen geraden Ast der jungen
Buche hinter sich -- er sieht ihn nicht, aber er weiß, daß er da ist, er hat ihn
schon oft, ach oft an andern Tagen angesehen. Und dann tastet dieselbe Hand hin
nach dem Strick, der das Holz zusammenhält . . .

In der Nähe klopft ein Specht, die Hand erschrickt, fährt zurück und tastet
von neuem hin.

Man wird ihn ja finden hier, das wird man, und sie werden ein paar Zweige
zusammenschlagen und ihn seiner Tochter in Haus bringen.

Und sie wird an zu schreien fangen und ein paar Wochen traurig sein und
es dann vergessen haben.

Aber die Schande über seinem ehrlichen Haus, wenn nur die Schande über
seinem Haus nicht wär.

Seufzend läßt der Greis den Strick los, wischt noch einmal an den Brillen¬
gläsern und hockelt sich nach ein paar mißglückter Versuchen mühsam hoch vom
niedrigen Stumpf.

Es hilft nichts, so muß denn sein trauriges Leben wieder mit ihm ins Tal
hinab.

Er wirds Wohl noch schaffen vor dem Gewitter.


Leben

Der Alte rollt seinen Strick auseinander, merkt sich mit blinzelndem Umsehen
nach allen Himmelsrichtungen den Platz und fängt gestützt auf seinen Stock mit
der freien Hand zu sammeln an, wobei es oft geschieht, daß er nach einer kriechenden
Wurzel greift und denkt, es sei ein guter trockner Ast.

Es liegt viel dürres Holz da herum. Den Kindern aus dem Dorf ist es zu
weit, nur im Winter kommen ein paar Frierende zum Sammeln.

Aber jetzt nicht, jetzt ist er ganz allein, und während er scharrt und bricht
und zusammenträgt, wächst in ihm ein schwaches Gefühl von Freude am eignen
nützlichen Tun — von Freude eigentlich nicht, aber es glimmt doch etwas auf wie
ein winziger silberner Punkt in seinem Leben, und er wird eifrig und arbeitet sich
in Schweiß und hat für jeden Zweig, den er findet, Freundschaft oder auch ein
bißchen Nachsicht: bald ist es ein dicker von der besten dankbarsten Art, dann ein
dünnes widerhaariges Gestrüpp — aber gut, wenn anfangs das Feuer nicht brennen
will —, bald ein glatter Gabelast, grün abgebrochen vom Stamm und mit zäh
festsitzenden Laubwerk.

Alles trägt er ans einen Haufen, alles, was er findet, soviel der Strick fassen
will, und dann bindet er lose zu, wägt, ob er es wird schleppen können, steckt noch
ein paar kleine Zweige hinein und knotet fest und sorglich zusammen.

Und wie nun fertig zum Hinuntertragen das braune Bündel da vor ihm im
braunen Moos liegt, da ist es mit einemmal so etwas ärgerlich Fertiges und liegt
so tot da, und mit ihm der ganze Nachmittag, und mit ihm im Gründe alle Zeit,
die noch kommen soll ...

seufzend sitzt der alte Mann auf einem Baumstumpf, wirft die Mütze von
sich, nimmt die Brille ab, die von Schweiß beschlagen ist, putzt sie und blickt in
verschwommnem Erkennen von Hell und Dunkel um sich.

Wie still es hier ist.

Wie stark und schrecklich still.

Die Stille macht seinen einen einzigen Wunsch, immer beklommen und nieder¬
gehalten, unheimlich wach.

Niemand ist ja da und sieht, was man tut.

Und nachher ist doch alles einerlei . . .

Der Alte faßt mit der Hand nach dem niedrigen geraden Ast der jungen
Buche hinter sich — er sieht ihn nicht, aber er weiß, daß er da ist, er hat ihn
schon oft, ach oft an andern Tagen angesehen. Und dann tastet dieselbe Hand hin
nach dem Strick, der das Holz zusammenhält . . .

In der Nähe klopft ein Specht, die Hand erschrickt, fährt zurück und tastet
von neuem hin.

Man wird ihn ja finden hier, das wird man, und sie werden ein paar Zweige
zusammenschlagen und ihn seiner Tochter in Haus bringen.

Und sie wird an zu schreien fangen und ein paar Wochen traurig sein und
es dann vergessen haben.

Aber die Schande über seinem ehrlichen Haus, wenn nur die Schande über
seinem Haus nicht wär.

Seufzend läßt der Greis den Strick los, wischt noch einmal an den Brillen¬
gläsern und hockelt sich nach ein paar mißglückter Versuchen mühsam hoch vom
niedrigen Stumpf.

Es hilft nichts, so muß denn sein trauriges Leben wieder mit ihm ins Tal
hinab.

Er wirds Wohl noch schaffen vor dem Gewitter.


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[0718] Leben Der Alte rollt seinen Strick auseinander, merkt sich mit blinzelndem Umsehen nach allen Himmelsrichtungen den Platz und fängt gestützt auf seinen Stock mit der freien Hand zu sammeln an, wobei es oft geschieht, daß er nach einer kriechenden Wurzel greift und denkt, es sei ein guter trockner Ast. Es liegt viel dürres Holz da herum. Den Kindern aus dem Dorf ist es zu weit, nur im Winter kommen ein paar Frierende zum Sammeln. Aber jetzt nicht, jetzt ist er ganz allein, und während er scharrt und bricht und zusammenträgt, wächst in ihm ein schwaches Gefühl von Freude am eignen nützlichen Tun — von Freude eigentlich nicht, aber es glimmt doch etwas auf wie ein winziger silberner Punkt in seinem Leben, und er wird eifrig und arbeitet sich in Schweiß und hat für jeden Zweig, den er findet, Freundschaft oder auch ein bißchen Nachsicht: bald ist es ein dicker von der besten dankbarsten Art, dann ein dünnes widerhaariges Gestrüpp — aber gut, wenn anfangs das Feuer nicht brennen will —, bald ein glatter Gabelast, grün abgebrochen vom Stamm und mit zäh festsitzenden Laubwerk. Alles trägt er ans einen Haufen, alles, was er findet, soviel der Strick fassen will, und dann bindet er lose zu, wägt, ob er es wird schleppen können, steckt noch ein paar kleine Zweige hinein und knotet fest und sorglich zusammen. Und wie nun fertig zum Hinuntertragen das braune Bündel da vor ihm im braunen Moos liegt, da ist es mit einemmal so etwas ärgerlich Fertiges und liegt so tot da, und mit ihm der ganze Nachmittag, und mit ihm im Gründe alle Zeit, die noch kommen soll ... seufzend sitzt der alte Mann auf einem Baumstumpf, wirft die Mütze von sich, nimmt die Brille ab, die von Schweiß beschlagen ist, putzt sie und blickt in verschwommnem Erkennen von Hell und Dunkel um sich. Wie still es hier ist. Wie stark und schrecklich still. Die Stille macht seinen einen einzigen Wunsch, immer beklommen und nieder¬ gehalten, unheimlich wach. Niemand ist ja da und sieht, was man tut. Und nachher ist doch alles einerlei . . . Der Alte faßt mit der Hand nach dem niedrigen geraden Ast der jungen Buche hinter sich — er sieht ihn nicht, aber er weiß, daß er da ist, er hat ihn schon oft, ach oft an andern Tagen angesehen. Und dann tastet dieselbe Hand hin nach dem Strick, der das Holz zusammenhält . . . In der Nähe klopft ein Specht, die Hand erschrickt, fährt zurück und tastet von neuem hin. Man wird ihn ja finden hier, das wird man, und sie werden ein paar Zweige zusammenschlagen und ihn seiner Tochter in Haus bringen. Und sie wird an zu schreien fangen und ein paar Wochen traurig sein und es dann vergessen haben. Aber die Schande über seinem ehrlichen Haus, wenn nur die Schande über seinem Haus nicht wär. Seufzend läßt der Greis den Strick los, wischt noch einmal an den Brillen¬ gläsern und hockelt sich nach ein paar mißglückter Versuchen mühsam hoch vom niedrigen Stumpf. Es hilft nichts, so muß denn sein trauriges Leben wieder mit ihm ins Tal hinab. Er wirds Wohl noch schaffen vor dem Gewitter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/718>, abgerufen am 02.07.2024.