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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Beiträge zur Rassenkunde

wenigstens. In der Unterhaltung mag man immerhin unter den Bewohnern
eines Landes, die anthropologisch unzweifelhaft einer und derselben Rasse an¬
gehören, Leute von edlerer oder reinerer und von schlechterer Nasse unterscheiden.
Woltmann schreibt ganz richtig: "Alle Rassen gehören zu derselben Gattung, und
nichts ist natürlicher, als daß die Rassen nicht absolut voneinander geschieden
sind, sondern daß sie sich in den einen Merkmalen einander nähern, in den
andern voneinander entfernen. Aber Herr Finot will uns weis machen, daß
die Konstanz dieser Unterschiede und ihre Dauer absolut von der Umwelt ab¬
hängig sei, daß z. B. alle Farbendifferenzen nur Quautitütsdisferenzen seien, und
daß die Versetzung in ein andres Medium aus einem Blonden einen Braunen
mache. Das entspricht aber absolut nicht den tatsächlichen Beobachtungen. Das
"gewisse Medium" existiert nur in der Einbildung Wer schießt Woltmann über
das Ziels. Noch nie hat man beobachtet, daß durch die Umgebung aus einem
Blonden ein Brauner geworden ist. sWir haben in den Grenzbotenaufsätzeu
über "Anthropologische Fragen", die als drittes Kapitel in die Schrift "Sozial¬
auslese" aufgenommen worden sind, Zeugnisse dafür angeführt, daß Boden und
Klima den Knochenbau, die Körpergröße, die Farbe der Menschen so gut wie
die der Tiere verändern; für die Veränderung der Tiere existieren besonders
zahlreiche Beobachtungen der Pferde-, Rindvieh- und Schafzüchter.^ Wahr¬
scheinlich ist in einer vergangnen geologischen Epoche sPeriodes unter Milieu¬
einflüssen einmal die blonde Rasse aus einer brünetten hervorgegangen; aber
das ist eine ganz andre Auffassungsweise als die von Finot beliebte, als wenn
sich die anthropologischen Merkmale in einer oder ein paar Generationen um¬
wandelten."

In den letzten Sätzen liegt die Schlichtung des Streits. Die ganze Frage
ist eine Quantitütsfrage. Die einen überschätzen, die andern unterschätzen die Macht
des Milieus. Die einen fordern für die Entstehung einer neuen Rasse einen
länger" Zeitraum, als ihn die andern bewilligen wollen. Daß die Rassen durch
Milicueinflüsse entstanden sind, gibt auch Woltmann zu. Wie sollten sie auch
anders entstanden sein, wenn das ganze Menschengeschlecht eine Gattung aus¬
macht? Daß dieses von Woltmann klar und deutlich ausgesprochen wird, ist
ein Fortschritt, den die Biologie der Kritik der Opposition zu danken hat, denn
manche ältern Affenliebhaber waren geneigt, die Verwandtschaft zwischen dem
Menschen und dem Affen für näher zu halten als die zwischen den: Weißen
und dem Neger. Wenn aber Woltmann behauptet, in historischer Zeit könne
eine solche Verwandlung nicht vor sich gehen, dazu gehöre eine geologische, also
wohl nach Hunderttausenden von Jahren zu bemessende Periode, so behauptet
er zuviel. Es bleibt abzuwarten, ob nicht z. B. innerhalb tausend Jahren
eine sich in Nordamerika reinblütig fortpflanzende Negerfamilie den Typus des
Iwirw cmroxg.6U8 annimmt. Finot macht sich in Beziehung auf das genannte
Land zweier Übertreibungen schuldig. Er behauptet, die Europäer nähmen in
Nordamerika den Jndianerthpus an; bisher ist aber bloß beobachtet worden,


Beiträge zur Rassenkunde

wenigstens. In der Unterhaltung mag man immerhin unter den Bewohnern
eines Landes, die anthropologisch unzweifelhaft einer und derselben Rasse an¬
gehören, Leute von edlerer oder reinerer und von schlechterer Nasse unterscheiden.
Woltmann schreibt ganz richtig: „Alle Rassen gehören zu derselben Gattung, und
nichts ist natürlicher, als daß die Rassen nicht absolut voneinander geschieden
sind, sondern daß sie sich in den einen Merkmalen einander nähern, in den
andern voneinander entfernen. Aber Herr Finot will uns weis machen, daß
die Konstanz dieser Unterschiede und ihre Dauer absolut von der Umwelt ab¬
hängig sei, daß z. B. alle Farbendifferenzen nur Quautitütsdisferenzen seien, und
daß die Versetzung in ein andres Medium aus einem Blonden einen Braunen
mache. Das entspricht aber absolut nicht den tatsächlichen Beobachtungen. Das
»gewisse Medium« existiert nur in der Einbildung Wer schießt Woltmann über
das Ziels. Noch nie hat man beobachtet, daß durch die Umgebung aus einem
Blonden ein Brauner geworden ist. sWir haben in den Grenzbotenaufsätzeu
über »Anthropologische Fragen«, die als drittes Kapitel in die Schrift »Sozial¬
auslese« aufgenommen worden sind, Zeugnisse dafür angeführt, daß Boden und
Klima den Knochenbau, die Körpergröße, die Farbe der Menschen so gut wie
die der Tiere verändern; für die Veränderung der Tiere existieren besonders
zahlreiche Beobachtungen der Pferde-, Rindvieh- und Schafzüchter.^ Wahr¬
scheinlich ist in einer vergangnen geologischen Epoche sPeriodes unter Milieu¬
einflüssen einmal die blonde Rasse aus einer brünetten hervorgegangen; aber
das ist eine ganz andre Auffassungsweise als die von Finot beliebte, als wenn
sich die anthropologischen Merkmale in einer oder ein paar Generationen um¬
wandelten."

In den letzten Sätzen liegt die Schlichtung des Streits. Die ganze Frage
ist eine Quantitütsfrage. Die einen überschätzen, die andern unterschätzen die Macht
des Milieus. Die einen fordern für die Entstehung einer neuen Rasse einen
länger» Zeitraum, als ihn die andern bewilligen wollen. Daß die Rassen durch
Milicueinflüsse entstanden sind, gibt auch Woltmann zu. Wie sollten sie auch
anders entstanden sein, wenn das ganze Menschengeschlecht eine Gattung aus¬
macht? Daß dieses von Woltmann klar und deutlich ausgesprochen wird, ist
ein Fortschritt, den die Biologie der Kritik der Opposition zu danken hat, denn
manche ältern Affenliebhaber waren geneigt, die Verwandtschaft zwischen dem
Menschen und dem Affen für näher zu halten als die zwischen den: Weißen
und dem Neger. Wenn aber Woltmann behauptet, in historischer Zeit könne
eine solche Verwandlung nicht vor sich gehen, dazu gehöre eine geologische, also
wohl nach Hunderttausenden von Jahren zu bemessende Periode, so behauptet
er zuviel. Es bleibt abzuwarten, ob nicht z. B. innerhalb tausend Jahren
eine sich in Nordamerika reinblütig fortpflanzende Negerfamilie den Typus des
Iwirw cmroxg.6U8 annimmt. Finot macht sich in Beziehung auf das genannte
Land zweier Übertreibungen schuldig. Er behauptet, die Europäer nähmen in
Nordamerika den Jndianerthpus an; bisher ist aber bloß beobachtet worden,


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[0701] Beiträge zur Rassenkunde wenigstens. In der Unterhaltung mag man immerhin unter den Bewohnern eines Landes, die anthropologisch unzweifelhaft einer und derselben Rasse an¬ gehören, Leute von edlerer oder reinerer und von schlechterer Nasse unterscheiden. Woltmann schreibt ganz richtig: „Alle Rassen gehören zu derselben Gattung, und nichts ist natürlicher, als daß die Rassen nicht absolut voneinander geschieden sind, sondern daß sie sich in den einen Merkmalen einander nähern, in den andern voneinander entfernen. Aber Herr Finot will uns weis machen, daß die Konstanz dieser Unterschiede und ihre Dauer absolut von der Umwelt ab¬ hängig sei, daß z. B. alle Farbendifferenzen nur Quautitütsdisferenzen seien, und daß die Versetzung in ein andres Medium aus einem Blonden einen Braunen mache. Das entspricht aber absolut nicht den tatsächlichen Beobachtungen. Das »gewisse Medium« existiert nur in der Einbildung Wer schießt Woltmann über das Ziels. Noch nie hat man beobachtet, daß durch die Umgebung aus einem Blonden ein Brauner geworden ist. sWir haben in den Grenzbotenaufsätzeu über »Anthropologische Fragen«, die als drittes Kapitel in die Schrift »Sozial¬ auslese« aufgenommen worden sind, Zeugnisse dafür angeführt, daß Boden und Klima den Knochenbau, die Körpergröße, die Farbe der Menschen so gut wie die der Tiere verändern; für die Veränderung der Tiere existieren besonders zahlreiche Beobachtungen der Pferde-, Rindvieh- und Schafzüchter.^ Wahr¬ scheinlich ist in einer vergangnen geologischen Epoche sPeriodes unter Milieu¬ einflüssen einmal die blonde Rasse aus einer brünetten hervorgegangen; aber das ist eine ganz andre Auffassungsweise als die von Finot beliebte, als wenn sich die anthropologischen Merkmale in einer oder ein paar Generationen um¬ wandelten." In den letzten Sätzen liegt die Schlichtung des Streits. Die ganze Frage ist eine Quantitütsfrage. Die einen überschätzen, die andern unterschätzen die Macht des Milieus. Die einen fordern für die Entstehung einer neuen Rasse einen länger» Zeitraum, als ihn die andern bewilligen wollen. Daß die Rassen durch Milicueinflüsse entstanden sind, gibt auch Woltmann zu. Wie sollten sie auch anders entstanden sein, wenn das ganze Menschengeschlecht eine Gattung aus¬ macht? Daß dieses von Woltmann klar und deutlich ausgesprochen wird, ist ein Fortschritt, den die Biologie der Kritik der Opposition zu danken hat, denn manche ältern Affenliebhaber waren geneigt, die Verwandtschaft zwischen dem Menschen und dem Affen für näher zu halten als die zwischen den: Weißen und dem Neger. Wenn aber Woltmann behauptet, in historischer Zeit könne eine solche Verwandlung nicht vor sich gehen, dazu gehöre eine geologische, also wohl nach Hunderttausenden von Jahren zu bemessende Periode, so behauptet er zuviel. Es bleibt abzuwarten, ob nicht z. B. innerhalb tausend Jahren eine sich in Nordamerika reinblütig fortpflanzende Negerfamilie den Typus des Iwirw cmroxg.6U8 annimmt. Finot macht sich in Beziehung auf das genannte Land zweier Übertreibungen schuldig. Er behauptet, die Europäer nähmen in Nordamerika den Jndianerthpus an; bisher ist aber bloß beobachtet worden,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/701>, abgerufen am 04.07.2024.