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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Beiträge zur Rassenkunde

Generationen vorm Aussterbenj unfehlbar als eine besondre Rasse bezeichnet
werden würde, um so mehr, als es manche äußern Merkmale ganz deutlich von
den übrigen unterscheiden." Da zu den genannten abändernden Einflüssen nun
auch noch unaufhörliche Mischungen kommen, so schwinde jede Möglichkeit,
zwischen den unzähligen Spielarten feste Grenzen zu ziehen und jede so um¬
grenzte Menschenzahl als eine besondre Rasse von den übrigen Menschen abzu¬
sperren. Namentlich die Bevölkerung Frankreichs sei stärker und aus zahl¬
reichern Bestandteilen gemischt als die irgendeines andern Landes, und gerade
dieser Mischung verdanke es seine hohe Kultur; der französische Geist sei die
Quintessenz der europäischen Zivilisation und des allgemeinen Fortschritts; keine
Hauptstadt erfreue sich eines so zahlreichen Fremdenzuflusses wie Paris.

Woltmann hat Finots Buch im vorigen Dezemberheft der Politisch-Anthro¬
pologischen Revue unter der Überschrift "Ein vorurteilsvolles Buch über
das Rassenvorurteil" kritisiert. Finot stehe ja nicht allein, auch Ludwig Stein,
Nordau, Herz und viele andre kämpften gegen die Nassenanthropologie. Aber
sie alle überrage Finot "in der Folgerichtigkeit des Vorurteils und in der Un¬
wissenheit sowie in der Dreistigkeit der Verdrehungskünste". Doch gebe es einen
Abschnitt in dem Buche, dem man ein Verdienst nicht absprechen könne: er
handle von der vulgären Völkerpsychologie, denn ans diesem Gebiete sei viel
gesündigt worden. (Wundes großes Werk hat mit dieser "vulgären" Völker¬
psychologie nichts gemein.) Wir finden Finots Buch doch auch noch in andrer
Beziehung verdienstlich. Es ist notwendig, von Zeit zu Zeit auf die Unsicher¬
heit der Ergebnisse der Rassenlehre und auf die vielfachen Meinungsverschieden¬
heiten ihrer Vertreter hinzuweisen sowie auch gewissen falschen Anwendungen
entgegenzutreten, wie wir das denn selbst namentlich Ammon und Tille gegen¬
über sehr energisch getan haben. Um nur einen Punkt von untergeordneter
Bedeutung hervorzuheben: für die Abschätzung der Schülerleistungen nach der
Haar- und Augenfarbe ist das von Ammon bearbeitete Material viel zu dürftig,
und die Ergänzung: der Nachweis, daß nach der Schulzeit die Braunen von
den Blonden überflügelt werden, fehlt vorläufig noch. Freilich schießt Finot
mit seiner Kritik weit über das Ziel. Es mag viele häßliche und dunkelge-
fkrbte Europäer geben, die, neben einen Mongolen gestellt, sich von diesem im
Typus gar nicht unterscheiden lassen; aber wer den durchschnittlichen Kaukasier
vom Durchschnittsmongolen, Neger, Indianer nicht unterscheiden kann, der ist
blind. Dagegen stehen wir dem hypothetischen llomo msäiwrrWsu8 und alpinus
unsrer Nassentheoretiker skeptisch gegenüber. Falls diese Menschenarten existiert
haben, sind sie entweder durch Vermischung der Weißen mit Mongolen und
Negern entstanden, oder sie sind verschlechterte Abarten der weißen Rasse ge¬
wesen. Man sollte das Wort Nasse nur im ursprünglichen Sinne Blumenbachs
anwenden oder noch besser auf die Unterscheidung von Weißen, schwarzen und
gelben Menschen einschränken, die Verschiedenheiten der Europäer und der Vorder-
astaten aber nur als Spielarten bezeichnen. In der wissenschaftlichen Sprache


Beiträge zur Rassenkunde

Generationen vorm Aussterbenj unfehlbar als eine besondre Rasse bezeichnet
werden würde, um so mehr, als es manche äußern Merkmale ganz deutlich von
den übrigen unterscheiden." Da zu den genannten abändernden Einflüssen nun
auch noch unaufhörliche Mischungen kommen, so schwinde jede Möglichkeit,
zwischen den unzähligen Spielarten feste Grenzen zu ziehen und jede so um¬
grenzte Menschenzahl als eine besondre Rasse von den übrigen Menschen abzu¬
sperren. Namentlich die Bevölkerung Frankreichs sei stärker und aus zahl¬
reichern Bestandteilen gemischt als die irgendeines andern Landes, und gerade
dieser Mischung verdanke es seine hohe Kultur; der französische Geist sei die
Quintessenz der europäischen Zivilisation und des allgemeinen Fortschritts; keine
Hauptstadt erfreue sich eines so zahlreichen Fremdenzuflusses wie Paris.

Woltmann hat Finots Buch im vorigen Dezemberheft der Politisch-Anthro¬
pologischen Revue unter der Überschrift „Ein vorurteilsvolles Buch über
das Rassenvorurteil" kritisiert. Finot stehe ja nicht allein, auch Ludwig Stein,
Nordau, Herz und viele andre kämpften gegen die Nassenanthropologie. Aber
sie alle überrage Finot „in der Folgerichtigkeit des Vorurteils und in der Un¬
wissenheit sowie in der Dreistigkeit der Verdrehungskünste". Doch gebe es einen
Abschnitt in dem Buche, dem man ein Verdienst nicht absprechen könne: er
handle von der vulgären Völkerpsychologie, denn ans diesem Gebiete sei viel
gesündigt worden. (Wundes großes Werk hat mit dieser „vulgären" Völker¬
psychologie nichts gemein.) Wir finden Finots Buch doch auch noch in andrer
Beziehung verdienstlich. Es ist notwendig, von Zeit zu Zeit auf die Unsicher¬
heit der Ergebnisse der Rassenlehre und auf die vielfachen Meinungsverschieden¬
heiten ihrer Vertreter hinzuweisen sowie auch gewissen falschen Anwendungen
entgegenzutreten, wie wir das denn selbst namentlich Ammon und Tille gegen¬
über sehr energisch getan haben. Um nur einen Punkt von untergeordneter
Bedeutung hervorzuheben: für die Abschätzung der Schülerleistungen nach der
Haar- und Augenfarbe ist das von Ammon bearbeitete Material viel zu dürftig,
und die Ergänzung: der Nachweis, daß nach der Schulzeit die Braunen von
den Blonden überflügelt werden, fehlt vorläufig noch. Freilich schießt Finot
mit seiner Kritik weit über das Ziel. Es mag viele häßliche und dunkelge-
fkrbte Europäer geben, die, neben einen Mongolen gestellt, sich von diesem im
Typus gar nicht unterscheiden lassen; aber wer den durchschnittlichen Kaukasier
vom Durchschnittsmongolen, Neger, Indianer nicht unterscheiden kann, der ist
blind. Dagegen stehen wir dem hypothetischen llomo msäiwrrWsu8 und alpinus
unsrer Nassentheoretiker skeptisch gegenüber. Falls diese Menschenarten existiert
haben, sind sie entweder durch Vermischung der Weißen mit Mongolen und
Negern entstanden, oder sie sind verschlechterte Abarten der weißen Rasse ge¬
wesen. Man sollte das Wort Nasse nur im ursprünglichen Sinne Blumenbachs
anwenden oder noch besser auf die Unterscheidung von Weißen, schwarzen und
gelben Menschen einschränken, die Verschiedenheiten der Europäer und der Vorder-
astaten aber nur als Spielarten bezeichnen. In der wissenschaftlichen Sprache


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[0700] Beiträge zur Rassenkunde Generationen vorm Aussterbenj unfehlbar als eine besondre Rasse bezeichnet werden würde, um so mehr, als es manche äußern Merkmale ganz deutlich von den übrigen unterscheiden." Da zu den genannten abändernden Einflüssen nun auch noch unaufhörliche Mischungen kommen, so schwinde jede Möglichkeit, zwischen den unzähligen Spielarten feste Grenzen zu ziehen und jede so um¬ grenzte Menschenzahl als eine besondre Rasse von den übrigen Menschen abzu¬ sperren. Namentlich die Bevölkerung Frankreichs sei stärker und aus zahl¬ reichern Bestandteilen gemischt als die irgendeines andern Landes, und gerade dieser Mischung verdanke es seine hohe Kultur; der französische Geist sei die Quintessenz der europäischen Zivilisation und des allgemeinen Fortschritts; keine Hauptstadt erfreue sich eines so zahlreichen Fremdenzuflusses wie Paris. Woltmann hat Finots Buch im vorigen Dezemberheft der Politisch-Anthro¬ pologischen Revue unter der Überschrift „Ein vorurteilsvolles Buch über das Rassenvorurteil" kritisiert. Finot stehe ja nicht allein, auch Ludwig Stein, Nordau, Herz und viele andre kämpften gegen die Nassenanthropologie. Aber sie alle überrage Finot „in der Folgerichtigkeit des Vorurteils und in der Un¬ wissenheit sowie in der Dreistigkeit der Verdrehungskünste". Doch gebe es einen Abschnitt in dem Buche, dem man ein Verdienst nicht absprechen könne: er handle von der vulgären Völkerpsychologie, denn ans diesem Gebiete sei viel gesündigt worden. (Wundes großes Werk hat mit dieser „vulgären" Völker¬ psychologie nichts gemein.) Wir finden Finots Buch doch auch noch in andrer Beziehung verdienstlich. Es ist notwendig, von Zeit zu Zeit auf die Unsicher¬ heit der Ergebnisse der Rassenlehre und auf die vielfachen Meinungsverschieden¬ heiten ihrer Vertreter hinzuweisen sowie auch gewissen falschen Anwendungen entgegenzutreten, wie wir das denn selbst namentlich Ammon und Tille gegen¬ über sehr energisch getan haben. Um nur einen Punkt von untergeordneter Bedeutung hervorzuheben: für die Abschätzung der Schülerleistungen nach der Haar- und Augenfarbe ist das von Ammon bearbeitete Material viel zu dürftig, und die Ergänzung: der Nachweis, daß nach der Schulzeit die Braunen von den Blonden überflügelt werden, fehlt vorläufig noch. Freilich schießt Finot mit seiner Kritik weit über das Ziel. Es mag viele häßliche und dunkelge- fkrbte Europäer geben, die, neben einen Mongolen gestellt, sich von diesem im Typus gar nicht unterscheiden lassen; aber wer den durchschnittlichen Kaukasier vom Durchschnittsmongolen, Neger, Indianer nicht unterscheiden kann, der ist blind. Dagegen stehen wir dem hypothetischen llomo msäiwrrWsu8 und alpinus unsrer Nassentheoretiker skeptisch gegenüber. Falls diese Menschenarten existiert haben, sind sie entweder durch Vermischung der Weißen mit Mongolen und Negern entstanden, oder sie sind verschlechterte Abarten der weißen Rasse ge¬ wesen. Man sollte das Wort Nasse nur im ursprünglichen Sinne Blumenbachs anwenden oder noch besser auf die Unterscheidung von Weißen, schwarzen und gelben Menschen einschränken, die Verschiedenheiten der Europäer und der Vorder- astaten aber nur als Spielarten bezeichnen. In der wissenschaftlichen Sprache

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/700>, abgerufen am 04.07.2024.