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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Aunstgeschichtliche Umschau

hat, und das hob unsre Zuversicht. Aber zugleich trat der Gedanke als An¬
kläger auf: Warum hat Deutschland nichts von ihr wissen wollen? Das sollte
uns recht nachdenklich stimmen.

Immerhin: Priester und Propheten, Pfaffen und Laien waren und sind
einig im Ruhme dieses kunstgeschichtlichen Berichtigungsversuchs, des größten
und einschneidendsten, den die deutsche Kunst erlebt hat. Nie haben lebendig
Begrabne uns besser gelohnt, daß ihnen Raum und Licht geschafft wurde zum
Aufatmen. Wir wissen nun, daß sich die heute so merkwürdig gesteigerte Teil¬
nahme unsers Volkes an den Schöpfungen der bildenden Künste in der stillen
Arbeit bescheidner Meister jahrzehntelang kundgab, daß die, die uns als Sterne
erster Ordnung über das Jahrhundert hinleuchten: die Schwind und Böcklin,
Menzel, Feuerbach, Maries und Klinger, Leiht und Trübner, die Schadow,
Rauch und Rietschel nicht in einsam kalter Pracht am Firmament erglänzt,
sondern daß sie umgeben und angekündigt sind von einem stillern Geleucht
heimlicher Himmelswanderer. Ist es doch nun, als tauchten ganz neue Planeten
aus dem Dunkel. Und dankbar hängt unser geschärftes Auge an ihnen und
sucht ihre Bahn zu erkunden.

Damit sich die neuen Erkenntnisse mit der Auflösung der Ausstellung nicht
allzu schnell verflüchtigen, hat der umsichtige Vorstand die Herstellung eines
Bilderwerkes angeordnet, das die wichtigsten, genauer: so ziemlich alle irgend¬
wie bedeutenden Werke der Jahrhundertausstellung dokumentarisch sammelt und
so für die Zukunft festlegt. Ein ganz großartiges, der großen und seltnen
Gelegenheit wahrhaft würdiges Werk! Ein Atlas zur Kunstgeschichte, der auch
ohne den vortrefflich einleitenden Text Hugo von Tschudis eine höchst bered¬
same Geschichte selber erzählt. Der erste, etwas schwächere Band enthält außer
den Vorworten nur Abbildungen, Netzätzungen und Mezzotinten (236 S. und
viele Beilagen, gebunden 20 Mark), die der Verlag Bruckmann in München in
Anbetracht der kurzen Herstellungsfrist des Buches musterhaft gedruckt hat. Es
ist die Auswahl der Auswahl, die hier, nach den Landschaften geordnet, gezeigt
wird. Der zweite Band (620 Seiten und 1137 Abbildungen, 60 Mark gebunden)
bringt neben den zahlreichen Ergänzungsbildern die eigentliche Katalogarbeit:
genaue Bilderbeschreibungen, Größenangaben und Nennung der Eigentümer.
Jul. Meier-Gräfe hat diese mühsame Arbeit auf sich genommen. Spätere
Geschlechter werden sie ihm mit uns besser danken als manches andre, was er
geschrieben hat. Alles in allem: ein Monument. Und noch einmal, wie wir
unsre Erinnerung an ihm beleben und ersättigen, bemächtigt sich unser mit dem
Gefühl des Stolzes auch ein freudiger Dank für die vielen, die sich um das
Zustandekommen der Ausstellung verdient gemacht haben, vor andern die Herren
Tschudi, Lichtwark und Seidlitz.

Als Anton Springer 1884 die zweite Auflage seines Textbuches zur
Kunst des neunzehnten Jahrhunderts herausgab, stand die Geschichts- und
patriotische Kriegsmalerei, stand die malerische Geschichten- und Anekdoten¬
erzählung, stand die literarisch beschreibende Kunst noch weit voran im öffentlichen


Aunstgeschichtliche Umschau

hat, und das hob unsre Zuversicht. Aber zugleich trat der Gedanke als An¬
kläger auf: Warum hat Deutschland nichts von ihr wissen wollen? Das sollte
uns recht nachdenklich stimmen.

Immerhin: Priester und Propheten, Pfaffen und Laien waren und sind
einig im Ruhme dieses kunstgeschichtlichen Berichtigungsversuchs, des größten
und einschneidendsten, den die deutsche Kunst erlebt hat. Nie haben lebendig
Begrabne uns besser gelohnt, daß ihnen Raum und Licht geschafft wurde zum
Aufatmen. Wir wissen nun, daß sich die heute so merkwürdig gesteigerte Teil¬
nahme unsers Volkes an den Schöpfungen der bildenden Künste in der stillen
Arbeit bescheidner Meister jahrzehntelang kundgab, daß die, die uns als Sterne
erster Ordnung über das Jahrhundert hinleuchten: die Schwind und Böcklin,
Menzel, Feuerbach, Maries und Klinger, Leiht und Trübner, die Schadow,
Rauch und Rietschel nicht in einsam kalter Pracht am Firmament erglänzt,
sondern daß sie umgeben und angekündigt sind von einem stillern Geleucht
heimlicher Himmelswanderer. Ist es doch nun, als tauchten ganz neue Planeten
aus dem Dunkel. Und dankbar hängt unser geschärftes Auge an ihnen und
sucht ihre Bahn zu erkunden.

Damit sich die neuen Erkenntnisse mit der Auflösung der Ausstellung nicht
allzu schnell verflüchtigen, hat der umsichtige Vorstand die Herstellung eines
Bilderwerkes angeordnet, das die wichtigsten, genauer: so ziemlich alle irgend¬
wie bedeutenden Werke der Jahrhundertausstellung dokumentarisch sammelt und
so für die Zukunft festlegt. Ein ganz großartiges, der großen und seltnen
Gelegenheit wahrhaft würdiges Werk! Ein Atlas zur Kunstgeschichte, der auch
ohne den vortrefflich einleitenden Text Hugo von Tschudis eine höchst bered¬
same Geschichte selber erzählt. Der erste, etwas schwächere Band enthält außer
den Vorworten nur Abbildungen, Netzätzungen und Mezzotinten (236 S. und
viele Beilagen, gebunden 20 Mark), die der Verlag Bruckmann in München in
Anbetracht der kurzen Herstellungsfrist des Buches musterhaft gedruckt hat. Es
ist die Auswahl der Auswahl, die hier, nach den Landschaften geordnet, gezeigt
wird. Der zweite Band (620 Seiten und 1137 Abbildungen, 60 Mark gebunden)
bringt neben den zahlreichen Ergänzungsbildern die eigentliche Katalogarbeit:
genaue Bilderbeschreibungen, Größenangaben und Nennung der Eigentümer.
Jul. Meier-Gräfe hat diese mühsame Arbeit auf sich genommen. Spätere
Geschlechter werden sie ihm mit uns besser danken als manches andre, was er
geschrieben hat. Alles in allem: ein Monument. Und noch einmal, wie wir
unsre Erinnerung an ihm beleben und ersättigen, bemächtigt sich unser mit dem
Gefühl des Stolzes auch ein freudiger Dank für die vielen, die sich um das
Zustandekommen der Ausstellung verdient gemacht haben, vor andern die Herren
Tschudi, Lichtwark und Seidlitz.

Als Anton Springer 1884 die zweite Auflage seines Textbuches zur
Kunst des neunzehnten Jahrhunderts herausgab, stand die Geschichts- und
patriotische Kriegsmalerei, stand die malerische Geschichten- und Anekdoten¬
erzählung, stand die literarisch beschreibende Kunst noch weit voran im öffentlichen


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[0646] Aunstgeschichtliche Umschau hat, und das hob unsre Zuversicht. Aber zugleich trat der Gedanke als An¬ kläger auf: Warum hat Deutschland nichts von ihr wissen wollen? Das sollte uns recht nachdenklich stimmen. Immerhin: Priester und Propheten, Pfaffen und Laien waren und sind einig im Ruhme dieses kunstgeschichtlichen Berichtigungsversuchs, des größten und einschneidendsten, den die deutsche Kunst erlebt hat. Nie haben lebendig Begrabne uns besser gelohnt, daß ihnen Raum und Licht geschafft wurde zum Aufatmen. Wir wissen nun, daß sich die heute so merkwürdig gesteigerte Teil¬ nahme unsers Volkes an den Schöpfungen der bildenden Künste in der stillen Arbeit bescheidner Meister jahrzehntelang kundgab, daß die, die uns als Sterne erster Ordnung über das Jahrhundert hinleuchten: die Schwind und Böcklin, Menzel, Feuerbach, Maries und Klinger, Leiht und Trübner, die Schadow, Rauch und Rietschel nicht in einsam kalter Pracht am Firmament erglänzt, sondern daß sie umgeben und angekündigt sind von einem stillern Geleucht heimlicher Himmelswanderer. Ist es doch nun, als tauchten ganz neue Planeten aus dem Dunkel. Und dankbar hängt unser geschärftes Auge an ihnen und sucht ihre Bahn zu erkunden. Damit sich die neuen Erkenntnisse mit der Auflösung der Ausstellung nicht allzu schnell verflüchtigen, hat der umsichtige Vorstand die Herstellung eines Bilderwerkes angeordnet, das die wichtigsten, genauer: so ziemlich alle irgend¬ wie bedeutenden Werke der Jahrhundertausstellung dokumentarisch sammelt und so für die Zukunft festlegt. Ein ganz großartiges, der großen und seltnen Gelegenheit wahrhaft würdiges Werk! Ein Atlas zur Kunstgeschichte, der auch ohne den vortrefflich einleitenden Text Hugo von Tschudis eine höchst bered¬ same Geschichte selber erzählt. Der erste, etwas schwächere Band enthält außer den Vorworten nur Abbildungen, Netzätzungen und Mezzotinten (236 S. und viele Beilagen, gebunden 20 Mark), die der Verlag Bruckmann in München in Anbetracht der kurzen Herstellungsfrist des Buches musterhaft gedruckt hat. Es ist die Auswahl der Auswahl, die hier, nach den Landschaften geordnet, gezeigt wird. Der zweite Band (620 Seiten und 1137 Abbildungen, 60 Mark gebunden) bringt neben den zahlreichen Ergänzungsbildern die eigentliche Katalogarbeit: genaue Bilderbeschreibungen, Größenangaben und Nennung der Eigentümer. Jul. Meier-Gräfe hat diese mühsame Arbeit auf sich genommen. Spätere Geschlechter werden sie ihm mit uns besser danken als manches andre, was er geschrieben hat. Alles in allem: ein Monument. Und noch einmal, wie wir unsre Erinnerung an ihm beleben und ersättigen, bemächtigt sich unser mit dem Gefühl des Stolzes auch ein freudiger Dank für die vielen, die sich um das Zustandekommen der Ausstellung verdient gemacht haben, vor andern die Herren Tschudi, Lichtwark und Seidlitz. Als Anton Springer 1884 die zweite Auflage seines Textbuches zur Kunst des neunzehnten Jahrhunderts herausgab, stand die Geschichts- und patriotische Kriegsmalerei, stand die malerische Geschichten- und Anekdoten¬ erzählung, stand die literarisch beschreibende Kunst noch weit voran im öffentlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/646>, abgerufen am 30.06.2024.