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Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr.

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Ratholische Belletristik und Publizistik

strengt man sich ein, die Lage zu verbessern, und versucht es teils aus diesem
materiellen Beweggrunde, teils aus ideellen Antriebe mit allerlei Gründungen.
So mit einem Musenalmanach für katholische Studenten. Dann hat man eine
deutsche Literaturgesellschaft gegründet, unter Hinweis auf Reclcim zu ähnlichen
Unternehmungen aufgemuntert. Einmal wird dem Bürgertum der Vorwurf
gemacht, daß es sich vom Proletariat beschämen lasse. Jenes lasse sich mit
jämmerlichen Feuilletons abspeisen und verlange besonders sogenannte Aktuali-
täteu. Ich habe seit Jahren, fährt der Kritiker fort, "den Zeitungsroman in
einem Blatte verfolgt, das sich an die ärmsten, im allgemeinen weniger ge¬
bildeten Leser wendet, in einem sozialdemokratischen nämlich. Was fand ich da
unter dem Strich? Einen der philosophischen Romane Emil Zolas, eine Reihe
von klassischen Novellen, so von Kleist, Gaudys "Schülerliebe" (worin nicht
einmal die lateinischen Zitate übersetzt waren), einen großen instruktiven Roman
über die französische Revolution (mit nicht übersetzten französischen Stellen), usw."
Von der literarischen Beilage des Vorwärts (diese hat unter anderen Otto
Ludwigs "Zwischen Himmel und Erde" gebracht) will er nicht sprechen, weil
er nur die Provinzpresse im Auge habe. Vor dieser Proletarierpresse müßten
sich die bürgerlichen Blätter schämen, namentlich die katholischen. (Sollte
nicht der "Idealismus" der sozialdemokratischen Redaktionen darauf zurück¬
zuführen sein, daß sie für alte klassische Sachen kein Honorar zu zahlen
brauchen? Und wenn sie fremdsprachige Stellen nicht übersetzen, so wird
wohl Unwissenheit oder Bequemlichkeit schuld sein, samt der Erfahrung, daß
sich ihr anspruchloses Publikum so ziemlich alles gefallen läßt. Als Probe
für die Unwissenheit mancher Geistlichen in literarischen Dingen wird folgende
Anekdote erzählt. Ein Pfarrer beschwert sich darüber, daß der Redakteur die
Leser mit seinen gar nicht interessanten persönlichen Angelegenheiten belästige.
Der gute Mann hat nämlich Ibsens Nora, der ein Feuilleton gewidmet worden
war, für eine Jugendliebe des Redakteurs gehalten. Unter den katholischen
Zeitschriften mögen nun wohl die liberalen, ein nicht ganz passender Name,
mit dem wir einmal in Ermangelung eines bessern unsre beiden bezeichnen
wollen, den schwersten Stand haben, einmal darum, weil sie neue Konkurrenten
sind, und dann ihrer Richtung wegen. Mit welchen Schwierigkeiten der
katholische Buchverlag und demgemäß auch die Autorschaft zu kämpfen hat,
schildert ein Artikel der Historisch-politischen Blätter, den die Literarische Warte
abdrückt. Es heißt darin: "Der katholische Student kommt wissensdurstig
auf die Universitätsbibliothek oder auf die öffentliche Bibliothek seiner Heimat¬
stadt und verlangt das Werk eines katholischen Verfassers. Da tönt ihm
entgegen: Wer hat Ihnen das Buch empfohlen? Oder: Dieses Buch ist mir
unbekannt, oder auch: Aus diesem Verlag haben wir nur sehr weniges. Manche
mißliebigen historischen Werke sind immer "verliehen". Bestenfalls wird das
Buch mit einem ironischen Lächeln übergeben. Bei solcher Erschwerung erlahmt
zuletzt auch der eifrigste." Es wird deswegen vorgeschlagen, eine Zentral¬
bibliothek für die deutschen Katholiken zu gründen.


Ratholische Belletristik und Publizistik

strengt man sich ein, die Lage zu verbessern, und versucht es teils aus diesem
materiellen Beweggrunde, teils aus ideellen Antriebe mit allerlei Gründungen.
So mit einem Musenalmanach für katholische Studenten. Dann hat man eine
deutsche Literaturgesellschaft gegründet, unter Hinweis auf Reclcim zu ähnlichen
Unternehmungen aufgemuntert. Einmal wird dem Bürgertum der Vorwurf
gemacht, daß es sich vom Proletariat beschämen lasse. Jenes lasse sich mit
jämmerlichen Feuilletons abspeisen und verlange besonders sogenannte Aktuali-
täteu. Ich habe seit Jahren, fährt der Kritiker fort, „den Zeitungsroman in
einem Blatte verfolgt, das sich an die ärmsten, im allgemeinen weniger ge¬
bildeten Leser wendet, in einem sozialdemokratischen nämlich. Was fand ich da
unter dem Strich? Einen der philosophischen Romane Emil Zolas, eine Reihe
von klassischen Novellen, so von Kleist, Gaudys „Schülerliebe" (worin nicht
einmal die lateinischen Zitate übersetzt waren), einen großen instruktiven Roman
über die französische Revolution (mit nicht übersetzten französischen Stellen), usw."
Von der literarischen Beilage des Vorwärts (diese hat unter anderen Otto
Ludwigs „Zwischen Himmel und Erde" gebracht) will er nicht sprechen, weil
er nur die Provinzpresse im Auge habe. Vor dieser Proletarierpresse müßten
sich die bürgerlichen Blätter schämen, namentlich die katholischen. (Sollte
nicht der „Idealismus" der sozialdemokratischen Redaktionen darauf zurück¬
zuführen sein, daß sie für alte klassische Sachen kein Honorar zu zahlen
brauchen? Und wenn sie fremdsprachige Stellen nicht übersetzen, so wird
wohl Unwissenheit oder Bequemlichkeit schuld sein, samt der Erfahrung, daß
sich ihr anspruchloses Publikum so ziemlich alles gefallen läßt. Als Probe
für die Unwissenheit mancher Geistlichen in literarischen Dingen wird folgende
Anekdote erzählt. Ein Pfarrer beschwert sich darüber, daß der Redakteur die
Leser mit seinen gar nicht interessanten persönlichen Angelegenheiten belästige.
Der gute Mann hat nämlich Ibsens Nora, der ein Feuilleton gewidmet worden
war, für eine Jugendliebe des Redakteurs gehalten. Unter den katholischen
Zeitschriften mögen nun wohl die liberalen, ein nicht ganz passender Name,
mit dem wir einmal in Ermangelung eines bessern unsre beiden bezeichnen
wollen, den schwersten Stand haben, einmal darum, weil sie neue Konkurrenten
sind, und dann ihrer Richtung wegen. Mit welchen Schwierigkeiten der
katholische Buchverlag und demgemäß auch die Autorschaft zu kämpfen hat,
schildert ein Artikel der Historisch-politischen Blätter, den die Literarische Warte
abdrückt. Es heißt darin: „Der katholische Student kommt wissensdurstig
auf die Universitätsbibliothek oder auf die öffentliche Bibliothek seiner Heimat¬
stadt und verlangt das Werk eines katholischen Verfassers. Da tönt ihm
entgegen: Wer hat Ihnen das Buch empfohlen? Oder: Dieses Buch ist mir
unbekannt, oder auch: Aus diesem Verlag haben wir nur sehr weniges. Manche
mißliebigen historischen Werke sind immer »verliehen«. Bestenfalls wird das
Buch mit einem ironischen Lächeln übergeben. Bei solcher Erschwerung erlahmt
zuletzt auch der eifrigste." Es wird deswegen vorgeschlagen, eine Zentral¬
bibliothek für die deutschen Katholiken zu gründen.


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[0644] Ratholische Belletristik und Publizistik strengt man sich ein, die Lage zu verbessern, und versucht es teils aus diesem materiellen Beweggrunde, teils aus ideellen Antriebe mit allerlei Gründungen. So mit einem Musenalmanach für katholische Studenten. Dann hat man eine deutsche Literaturgesellschaft gegründet, unter Hinweis auf Reclcim zu ähnlichen Unternehmungen aufgemuntert. Einmal wird dem Bürgertum der Vorwurf gemacht, daß es sich vom Proletariat beschämen lasse. Jenes lasse sich mit jämmerlichen Feuilletons abspeisen und verlange besonders sogenannte Aktuali- täteu. Ich habe seit Jahren, fährt der Kritiker fort, „den Zeitungsroman in einem Blatte verfolgt, das sich an die ärmsten, im allgemeinen weniger ge¬ bildeten Leser wendet, in einem sozialdemokratischen nämlich. Was fand ich da unter dem Strich? Einen der philosophischen Romane Emil Zolas, eine Reihe von klassischen Novellen, so von Kleist, Gaudys „Schülerliebe" (worin nicht einmal die lateinischen Zitate übersetzt waren), einen großen instruktiven Roman über die französische Revolution (mit nicht übersetzten französischen Stellen), usw." Von der literarischen Beilage des Vorwärts (diese hat unter anderen Otto Ludwigs „Zwischen Himmel und Erde" gebracht) will er nicht sprechen, weil er nur die Provinzpresse im Auge habe. Vor dieser Proletarierpresse müßten sich die bürgerlichen Blätter schämen, namentlich die katholischen. (Sollte nicht der „Idealismus" der sozialdemokratischen Redaktionen darauf zurück¬ zuführen sein, daß sie für alte klassische Sachen kein Honorar zu zahlen brauchen? Und wenn sie fremdsprachige Stellen nicht übersetzen, so wird wohl Unwissenheit oder Bequemlichkeit schuld sein, samt der Erfahrung, daß sich ihr anspruchloses Publikum so ziemlich alles gefallen läßt. Als Probe für die Unwissenheit mancher Geistlichen in literarischen Dingen wird folgende Anekdote erzählt. Ein Pfarrer beschwert sich darüber, daß der Redakteur die Leser mit seinen gar nicht interessanten persönlichen Angelegenheiten belästige. Der gute Mann hat nämlich Ibsens Nora, der ein Feuilleton gewidmet worden war, für eine Jugendliebe des Redakteurs gehalten. Unter den katholischen Zeitschriften mögen nun wohl die liberalen, ein nicht ganz passender Name, mit dem wir einmal in Ermangelung eines bessern unsre beiden bezeichnen wollen, den schwersten Stand haben, einmal darum, weil sie neue Konkurrenten sind, und dann ihrer Richtung wegen. Mit welchen Schwierigkeiten der katholische Buchverlag und demgemäß auch die Autorschaft zu kämpfen hat, schildert ein Artikel der Historisch-politischen Blätter, den die Literarische Warte abdrückt. Es heißt darin: „Der katholische Student kommt wissensdurstig auf die Universitätsbibliothek oder auf die öffentliche Bibliothek seiner Heimat¬ stadt und verlangt das Werk eines katholischen Verfassers. Da tönt ihm entgegen: Wer hat Ihnen das Buch empfohlen? Oder: Dieses Buch ist mir unbekannt, oder auch: Aus diesem Verlag haben wir nur sehr weniges. Manche mißliebigen historischen Werke sind immer »verliehen«. Bestenfalls wird das Buch mit einem ironischen Lächeln übergeben. Bei solcher Erschwerung erlahmt zuletzt auch der eifrigste." Es wird deswegen vorgeschlagen, eine Zentral¬ bibliothek für die deutschen Katholiken zu gründen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 66, 1907, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341885_301253/644>, abgerufen am 30.06.2024.